Leitsatz (amtlich)

Wird eine Submissionsabsprache unter dem Gesichtspunkt des Betrugs rechtskräftig abgeurteilt, dann besteht ein Verfolgungshindernis hinsichtlich sämtlicher Handlungen des Hinwegsetzens i. S. d. § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. (vgl. § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB n. F.), die sich auf diese Absprache beziehen.

 

Normenkette

StPO § 264; GWB § 38 Abs. 1 Nr. 1 a.F., § 81 Abs. 1 Nr. 1 n.F.

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 25.04.2003; Aktenzeichen 7 W 29/02)

 

Tenor

1. Auf die Rechtsbeschwerden des Betroffenen und der Nebenbeteiligten wird der Beschluss des OLG Frankfurt am Main - 1. Kartellsenat - v. 25.4.2003 gem. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 4 StPO

a) in den Fällen 3 (nach der Falliste des Bußgeldbescheids: B 197/93), 4 (F 1/95), 22 (B 63/94), 27 (F 7/95), 37 (F 32/95) und 48 (F 91/95) der Beschlussgründe aufgehoben; in diesen Fällen wird das Verfahren gem. § 260 Abs. 3 StPO eingestellt; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten und die notwendigen ausscheidbaren Auslagen des Betroffenen und der Nebenbeteiligten;

b) in den übrigen Fällen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.

2. Die weiter gehenden Rechtsbeschwerden werden nach § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

3. Hinsichtlich der nach Ziff. 1. b) verbliebenen Fälle wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die noch offenen Kosten der Rechtsmittel, an einen anderen Kartellsenat des OLG zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kartellsenat des OLG hat im Beschlusswege gegen den Betroffenen wegen wettbewerbsbeschränkender Absprachen in 53 Fällen eine Geldbuße i. H. v. insgesamt 3.350 EURfestgelegt. Die Nebenbeteiligte, deren Geschäftsführer der Betroffene war, hat das OLG wegen dessen Zuwiderhandlungen mit einer Geldbuße von 58.700 EUR belegt. Gegen diese Entscheidung wenden sich der Betroffene und die Nebenbeteiligte mit ihren Rechtsbeschwerden. Ihre Rechtsmittel haben in dem sich aus dem Beschlusstenor ergebenden Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie unbegründet i. S. d. § 349 Abs. 2 StPO.

I. Nach den Feststellungen des Kartellsenats des OLG gab die Nebenbeteiligte, die Montage- sowie Kabelverlegearbeiten durchführte, zusammen mit weiteren Firmen zwischen 1992 und 1996 Angebote für den Bau kommunikationstechnischer Anlagen im Bereich des Flughafens F. ab. Die Arbeiten, welche die F. AG (FAG) in Auftrag gab, wurden überwiegend nur beschränkt ausgeschrieben. In einzelnen Fällen holte die FAG Preisangebote per Telefax ein (sog. "Fax-Anfragen"). Dabei bestimmten Mitarbeiter der FAG schon vor der Ausschreibung, welches Unternehmen den Auftrag für ein bestimmtes Gewerk erhalten sollte. Dem ausgewählten Unternehmen wurde die Höhe des maximalen Volumens des Angebots vorgegeben. Den anderen Betrieben, die sich an dem Ausschreibungsverfahren beteiligten, teilten die Mitarbeiter der FAG bestimmte Mindestpreise mit. Auf diese Weise stellten die FAG-Bediensteten sicher, dass die in dieses Vergabesystem einbezogenen Unternehmen jeweils in einer bestimmten Anzahl von Fällen Aufträge erhielten, ohne sich einem Preiswettbewerb stellen zu müssen. In diese wechselseitigen Bieterabsprachen ließ sich auch der Betroffene einbinden, der in 53 Fällen für die Nebenbeteiligte vorher abgestimmte Angebote abgab, auf deren Grundlage die Nebenbeteiligte in etlichen Fällen auch den Zuschlag erhielt.

Im Zusammenhang mit dem Gesamtkomplex der Submissionsabsprachen für das Bauvorhaben im Bereich des Flughafens F. erging am 15.6.1998 ein (rechtskräftig gewordener) Strafbefehl des AG F.. Gegenstand dieses Strafbefehls waren u. a. Bestechungshandlungen des Betroffenen gegenüber Mitarbeitern der FAG. Weiterhin wurde der Betroffene in elf Fällen wegen Betrugs verurteilt, weil er sich nach vorheriger Preisabsprache mit anderen Bietern an den Ausschreibungen beteiligt hatte, worauf es jeweils zu einer Auftragserteilung zu überhöhten Preisen gekommen war.

Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Betroffenen wegen Betrugs in den hier in Rede stehenden Fällen nach § 154 StPO eingestellt hatte, hat sie das Verfahren insoweit zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten an die Landeskartellbehörde abgegeben. Diese hat am 7.4.2000 einen Bußgeldbescheid erlassen und gegen den Betroffenen eine Geldbuße i. H. v. 13.200 DM verhängt. Gegen die Nebenbeteiligte hat die Landeskartellbehörde eine Geldbuße i. H. v. 160.000 DM festgesetzt.

II. Die Rechtsbeschwerden führen zu einer Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Einstellung des Verfahrens in den Fällen 3 (Falliste des Bußgeldbescheids: B 197/93), 4 (F 1/95), 22 (B 63/94), 27 (F 7/95), 37 (F 32/95) und 48 (F 91/95). In den verbliebenen Fällen sind die Rechtsbeschwerden hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs erfolgreich; im Übrigen sind sie unbegründet i. S. d. § 349 Abs. 2 StPO.

1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer liegt lediglich in den vorgenannten Fällen ein Verfahrenshindernis vor.

a) Nur diese oben aufgeführten Fälle betreffen Tathandlungen, die zugleich in dem rechtskräftigen Strafbefehl des AG F. als Betrugshandlungen erfasst sind.

aa) Die Beteiligung an Submissionsabsprachen kann neben dem Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. auch den Straftatbestand des Betrugs erfüllen (BGHSt 38, 186; BGHSt 41, 385 [388]). Verfolgt die Staatsanwaltschaft die Absprache unter dem Gesichtspunkt des Betrugs, ist sie grundsätzlich auch für die Verfolgung unter dem Gesichtspunkt einer Ordnungswidrigkeit zuständig (§ 40 OWiG). Die für die Verfolgung solcher Ordnungswidrigkeiten an sich zuständige Kartellbehörde ist dabei an die Entschließung der Staatsanwaltschaft gebunden, ob eine Tat als Straftat verfolgt wird (§ 44 OWiG). Eine Verfolgung der Tat als Ordnungswidrigkeit kommt dann nicht mehr in Betracht, wenn hinsichtlich derselben prozessualen Tat eine Ahndung wegen einer Straftat erfolgt. Eine hierbei ggf. gleichzeitig vorliegende Ordnungswidrigkeit wird nach § 21 Abs. 1 S. 1 OWiG durch die Straftat verdrängt.

bb) Die durch den Strafbefehl bewirkte rechtskräftige Ahndung der Absprache als Betrug steht in den genannten Fällen einer neuerlichen Verfolgung der Tat als Ordnungswidrigkeit entgegen. Die kartellrechtliche Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. erfasst jedes Handeln, das der Durchführung eines unwirksamen Vertrages dient, mithin jede Tätigkeit, die darauf abzielt, den Vertrag oder Beschluss als gültig anzusehen und zu behandeln, obwohl ihm das Gesetz die Wirksamkeit abspricht (st. Rspr.; vgl. BGHSt 14, 55 [59]; BGHSt 41, 385 [389] m. w. N.). Die Abgabe eines entsprechenden Angebotes, das auf einer solchen Absprache beruht, ist auf die Umsetzung einer solchen unwirksamen Absprache gerichtet und erfüllt damit den Tatbestand des § 38 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 1 GWB a. F. Zugleich stellt aber die Abgabe des Angebots die Täuschungshandlung i. S. d. § 263 StGB dar, weil darin konkludent gegenüber dem Auftraggeber erklärt wird, dass das Angebot ohne eine vorherige Preisabsprache zwischen den Bietern zustande gekommen ist (BGHSt 47, 83). In der Angebotsabgabe fallen die Tathandlungen des Betrugs und der Kartellordnungswidrigkeit in einer Handlung zusammen und stehen damit im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 StGB) zueinander.

Für die Bewertung des Konkurrenzverhältnisses ist es unerheblich, dass es weitere Einzelakte geben kann, die ihrerseits wiederum den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. erfüllen, weil sich die Beteiligten in anderer Art und Weise über die Unwirksamkeit der Kartellvereinbarung hinweggesetzt haben. Die auf einer unwirksamen Kartellvereinbarung beruhenden Ausführungshandlungen werden zu einer Bewertungseinheit verbunden und verlieren dadurch ihre rechtliche Selbstständigkeit. Deshalb liegt nur eine einheitliche Ordnungswidrigkeit vor, die sämtliche Teilakte umfasst, die auf die Durchsetzung einer konkreten Kartellabsprache gerichtet sind (BGHSt 41, 385 [394]). Bei solchen mehraktigen Delikten wird eine Tateinheit zwischen zwei Delikten bereits dann begründet, wenn die Verwirklichung beider Tatbestände wenigstens in einer Ausführungshandlung zusammentrifft (BGHSt 47, 22 [26]; Rissing-van Saan in LK, 11. Aufl., § 52 StGB Rz. 19 m. w. N.).

Es reicht deshalb aus, dass die Tathandlungen des Betrugs und der Kartellordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. jeweils in der Abgabe der Preisangebote zusammenfallen. Damit stehen der Betrug und die Kartellordnungswidrigkeit im Verhältnis der Tateinheit i. S. d. § 52 StGB. Das tateinheitliche Konkurrenzverhältnis führt in prozessualer Hinsicht regelmäßig zur Annahme einer einheitlich prozessualen Tat i. S. d. § 264 StPO. Die durch den rechtskräftigen Strafbefehl des AG F. erfolgte Verurteilung wegen Betrugs verbraucht die Strafklage im Hinblick auf den gesamten Lebenssachverhalt, der den Gegenstand der prozessualen Tat i. S. d. § 264 StPO bildet. Der Strafklageverbrauch erfasst sämtliche Ausführungshandlungen, die auf der Grundlage der unwirksamen Kartellvereinbarung erfolgt sind. Von der Verfolgung als Kartellordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. sind deshalb alle Handlungen ausgeschlossen, die sich auf Absprachen hinsichtlich desjenigen Projekts beziehen, das auch dem Betrugsvorwurf zugrunde liegt. Dies ist bei den oben genannten Taten der Fall.

cc) Entgegen den Ausführungen des Generalbundesanwalts betreffen die vom Strafbefehl erfassten Taten erkennbar dieselben Gewerke, die auch den einzustellenden Bußgeldfällen zu Grunde liegen. Die Beschreibungen der jeweiligen Gegenstände der Projekte stimmen dabei ebenso überein wie ihre numerischen Bezeichnungen. Für den Senat bestehen keine Zweifel, dass es sich insoweit auch um identische Gewerke gehandelt hat.

Im Strafbefehl liegt allerdings eine darüber hinausgehende Beschreibung der einzelnen Taten vor. Sämtlichen dort unter Nummer 8. bis 18. genannten Fällen ist dabei aber gemeinsam, dass die Betrugsvorwürfe auf der Abgabe von Angeboten beruhen, denen abgesprochene und überhöhte Preise zu Grunde lagen. Dass daneben im Strafbefehl über die Abgabe überhöhter Angebote hinaus dem Betroffenen weitere unselbstständige Betrugshandlungen (etwa durch falsche Mengenangaben im Leistungsverzeichnis oder der Schlussrechnung) zur Last gelegt wurden, beseitigt die allein durch die Angebotsabgabe vermittelte Tatidentität (§ 264 StPO) nicht.

b) Ein weiter reichendes Verfahrenshindernis liegt dagegen nicht vor.

aa) Hinsichtlich der übrigen Taten besteht keine Tatidentität i. S. d. § 264 StPO, weil die jeweils verfahrensgegenständlichen Projekte unterschiedlich sind. Die hierfür vorgenommenen Ausschreibungen bzw. Faxanfragen haben jeweils eine neue kartellrechtswidrige Preisabstimmung erforderlich gemacht. Beruhen die Tathandlungen des Hinwegsetzens auf selbstständigen kartellrechtswidrigen Unrechtsvereinbarungen, so liegen ungeachtet ihres kriminologisch fassbaren Zusammenhangs unterschiedliche Tathandlungen i. S. d. § 53 StGB vor. Im Hinblick auf die jeweils unterschiedlichen Vorhaben stehen die übrigen Kartellordnungswidrigkeiten zu den vom Strafbefehl erfassten Betrugsvorwürfen im Verhältnis der Tatmehrheit. Dies führt - von hier offensichtlich nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen - zu jeweils unterschiedlichen Taten i. S. d. § 264 StPO (vgl. BGHSt 41, 385 [394 f.]).

bb) Keiner Prüfung bedarf es, ob die vom Strafbefehl erfassten Bestechungshandlungen des Betroffenen in einem Zusammenhang mit Tathandlungen stehen, die im Bußgeldbescheid als Ordnungswidrigkeiten nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. geahndet werden. Selbst wenn die Bestechung im Hinblick auf die Durchführung einer vom Bußgeldbescheid erfassten kartellrechtswidrigen Absprache erfolgt sein sollte, bestünde im Hinblick auf die jeweils unterschiedlichen Schutzgüter und die jeweils unterschiedlichen Tathandlungen keine derart innere Verknüpfung zwischen beiden Vorwürfen, dass von einer einheitlichen prozessualen Tat i. S. d. § 264 StPO auszugehen wäre (vgl. BGHSt 41, 385 [389 f.]).

c) Die Ordnungswidrigkeiten nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. sind auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist für die Verfolgung der Ordnungswidrigkeit nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. betrug ursprünglich drei Jahre (§ 38 Abs. 5 S. 1 GWB a. F. i. V. m. § 31 Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Durch das am 20.8.1997 in Kraft getretene Korruptionsbekämpfungsgesetz v. 13.8.1997 (BGBl. I, 2038) ist die Verjährungsfrist auf nunmehr fünf Jahre verlängert worden. Gegen eine Verlängerung der Verjährungsfrist auch für bereits abgeschlossene Taten bestehen aus verfassungsrechtlicher Sicht keine Bedenken, solange die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist (vgl. BVerfG v. 29.11.1989 - 2 BvR 1491/87, 2 BvR 1492/87, BVerfGE 81, 132 [135]; NStZ 2000, 251; vgl. auch BGHSt 46, 310 [317 ff.]).

Hinsichtlich der abgeurteilten Ordnungswidrigkeit war die dreijährige Verjährungsfrist noch in keinem Fall verstrichen. Die Verjährung beginnt nach § 31 Abs. 3 S. 1 OWiG mit Beendigung der Tat. Bei Ordnungswidrigkeiten nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 GWB a. F. wird die Tat erst durch den letzten Teilakt beendet, der die kartellrechtswidrige Absprache umsetzt. Kommt es zu einer Auftragserteilung, tritt eine Beendigung erst dann ein, wenn der auf Grund der kartellrechtswidrigen Absprache erteilte Auftrag durchgeführt und die Schlussrechnung gelegt wurde. Dies gilt im Hinblick auf sämtliche Bieter, die sich an der Absprache beteiligt haben, unabhängig davon, ob sie den Auftrag erhalten haben (BGH, Beschl. v. 21.10.1986 - KRB 5/86, WuW/E 2329, 2334 - Prüfgruppe).

Die Schlussrechnungen wurden frühestens 1995 erstellt. Soweit in einigen Fällen keine Schlussrechnungen feststellbar sind (F 79/95; F 88/95; B 192/95; B 230/95), führt dies gleichfalls nicht zum Eintritt der Verjährung. In diesen Fällen fand die Submission jeweils erst in den Jahren 1995 bzw. 1996 statt. Da die Verjährung spätestens mit dem Erlass des richterlichen Durchsuchungsbeschlusses v. 26.8.1998 (§ 33 Abs. 1 Nr. 4 OWiG) und wiederum durch den Erlass des Bußgeldbescheides v. 7.4.2000 (§ 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG) unterbrochen wurde, sind sämtliche Taten nicht verjährt.

2. Hinsichtlich der übrigen Fälle haben die Rechtsbeschwerden nur insoweit Erfolg, als der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben kann.

Bei der Bemessung der Bußgelder muss der zeitliche Abstand zwischen den kartellrechtswidrigen Absprachen und ihrer Ahndung berücksichtigt werden. Es besteht schon wegen des langen Zeitraums zwischen den Submissionsabsprachen und ihrer Aburteilung ein geringeres Bedürfnis, das ordnungswidrige Verhalten zu ahnden (vgl. BGH, Beschl. v. 21.10.1986 - KRB 7/86, WuW/E 2336 f. - U-Bahn-Bau Frankfurt). Allein dieser erhebliche (hier teilweise über zehn Jahre betragende) zeitliche Abstand zwischen den Taten und dem gerichtlichen Urteil kann zu einem Milderungsgrund führen (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6, 13). Dies hat das OLG nicht erkennbar bedacht.

Im vorliegenden Fall werden daneben noch Feststellungen zu dem erheblichen Zeitraum zu treffen sein, der zwischen dem Erlass des Bußgeldbescheides (7.4.2000) und der Entscheidung des OLG (25.4.2003) verstrichen ist. Im Hinblick auf die über dreijährige Dauer des gerichtlichen Bußgeldverfahrens ist eine Darlegung der Hinderungsgründe geboten, die einer zeitnahen gerichtlichen Entscheidung entgegenstanden. Der neue Tatrichter hat dabei zu prüfen, ob es im vorliegenden Fall zu einer gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 MRK verstoßenden Verfahrensverzögerung gekommen ist. Die Gewährleistungen der Menschenrechtskonvention, zu denen auch das Beschleunigungsgebot zählt, gelten gleichermaßen für das Bußgeldverfahren (vgl. EGMR, Urt. v. 21.2.1984 - Fall Öztürk, NJW 1985, 1273 f.). Auch Bußgeldsachen müssen in einer unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten noch angemessenen Zeit erledigt werden (BVerfG v. 19.3.1992 - 2 BvR 1/91, NJW 1992, 2472 f.). Wenngleich in Bußgeldsachen wegen der im Verhältnis zum Strafverfahren geringeren psychischen Belastung der Beteiligten die Anforderungen an die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung abgemildert sind, lässt sich im Hinblick auf die über dreijährige Verfahrensdauer nicht ausschließen, dass ein Maß an Untätigkeit vorliegt, das zur Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nötigt. Eine solche wird ggf. genau festzustellen sein; ihr müsste insbesondere durch eine - regelmäßig unerlässliche - spezielle Zumessung der Geldbuße Rechnung getragen werden, in der das Maß der hierfür zugebilligten Kompensation genau bestimmt wird (vgl. BGHSt 45, 308 [309]; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13; BGH, Beschl. v. 20.8.2002 - 5 StR 215/02, wistra 2002, 420 f.).

Bei dem hier vorliegenden Wertungsfehler bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Der neue Tatrichter wird zur Bemessung der Bußgelder aber zusätzliche Feststellungen, die freilich den bisherigen nicht widersprechen dürfen, treffen können.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1127095

NJW 2004, 1539

BGHR 2004, 899

NStZ 2004, 567

wistra 2004, 270

WRP 2004, 625

NZBau 2004, 286

WuW 2004, 515

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