Leitsatz (amtlich)

›Für eine Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht ist grundsätzlich kein Raum, wenn ein Rechtsmittelgericht eine vorinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Sache zurückverwiesen hat und wenn das Gericht der Vorinstanz die weitere Bearbeitung der Sache verweigert mit der Begründung, die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts leide an schwerwiegenden Verfahrensverstößen, entfalte daher keine Bindungswirkung und die Sache sei deshalb noch bei dem Rechtsmittelgericht anhängig.‹

 

Tatbestand

I. Das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - hat durch Beschluß vom 16. Dezember 1992 die Anträge der Beteiligten zu 2 und der (inzwischen verstorbenen) Beteiligten zu 2 (der Eheleute W) zurückgewiesen, die Annahme der Beteiligten zu 1 als Kind der Beteiligen zu 2 auszusprechen. Durch Beschluß vom 18. Juni 1993 hat das Landgericht Frankfurt am Main die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen diesen Beschluß zurückgewiesen. An diesem Beschluß des Landgerichts Frankfurt am Main haben zwei Richterinnen auf Probe mitgewirkt. Auf weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Beschluß vom 18. Juni 1993 aufgehoben und die Sache zu neuer Prüfung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, auch nach § 29 Satz 1 DRiG i.d.F. des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 (BGBl. I 50, 52) dürften an einer gerichtlichen Entscheidung nur dann zwei Richter auf Probe mitwirken, wenn dies unumgänglich sei, um eine geordnete Rechtsprechung des Gerichts zu sichern. Danach sei die Zivilkammer des Landgerichts nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Das Landgericht hat das Verfahren durch Beschluß vom 22. Oktober 1993 an das Oberlandesgericht "zurückverwiesen" mit der Begründung, der Beschluß des Oberlandesgerichts leide an schwerwiegenden, das Grundgesetz verletzenden Fehlern, entfalte daher keine Bindungswirkung und deshalb sei die Sache bei dem Oberlandesgericht anhängig geblieben. Mit Beschluß vom 8. November 1993 hat das Oberlandesgericht die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Alle aufgeführten Beschlüsse sind den Beteiligten bekanntgegeben worden.

II. Die Vorlage ist unzulässig. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung durch den Bundesgerichtshof als gemeinschaftliches oberes Gericht sind nicht gegeben.

1. Eine Zuständigkeitsbestimmung scheitert allerdings nicht schon daran, daß es sich vorliegend um ein Verfahren der (allgemeinen) freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt. § 5 FGG enthält zwar nur eine Regelung für die Lösung eines die örtliche Zuständigkeit betreffenden Zuständigkeitsstreits. Für einen negativen Kompetenzkonflikt zweier Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der nicht die örtliche Zuständigkeit betrifft, enthält das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Regelung. Entgegen Stimmen in der Literatur, im Bereich der allgemeinen freiwilligen Gerichtsbarkeit könnten negative Kompetenzkonflikte, die nicht die örtliche Zuständigkeit betreffen, nur im Rechtsmittelwege ausgetragen werden (vgl. BGHZ 78, 108, 110 m.N.), ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in solchen Fällen § 36 Nr. 6 ZPO zur Ausfüllung der im Verfahrensrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit sonst bestehenden Lücke entsprechend anzuwenden (BGHZ 104, 363, 364 ff).

2. § 36 Nr. 6 ZPO ist auch anwendbar auf Kompetenzkonflikte, die die funktionelle (auch instanzielle) Zuständigkeit betreffen (vgl. BGH, Beschluß vom 18. Oktober 1978 - IV ARZ 92/78 - NJW 1979, 719 m.N.; Stein/Jonas/Schumann, ZPO 21. Aufl. 1993, § 36 Rdn. 20). Damit sind allerdings nur Fälle gemeint, in denen zwei Gerichte darüber streiten, welches von ihnen über ein bestimmtes Rechtsmittel zu entscheiden hat. So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Die beiden beteiligten Gerichte gehen übereinstimmend davon aus, daß das Landgericht über die Beschwerde und das Oberlandesgericht über die weitere Beschwerde zu befinden hat. Ihr Streit geht vielmehr darum, ob die vom Oberlandesgericht auf die sofortige Beschwerde hin ausgesprochene Zurückweisung für das Landgericht verbindlich ist mit der Folge, daß die Sache dort erneut zu behandeln und zu entscheiden ist.

3. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen, die § 36 Nr. 6 ZPO vergleichbare Bestimmung der Verwaltungsgerichtsordnung (§ 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO) in solchen Fällen analog anzuwenden, diese Frage aber letztlich offengelassen (Beschluß vom 22. August 1988 - 1 ER 401/88 - NVwZ-RR 1989, 506, 507). Nach Meinung des Senats ist § 36 Nr. 6 ZPO jedoch auf Fälle der vorliegenden Art grundsätzlich nicht (entsprechend) anzuwenden. Das Verfahren nach dieser Regelung bietet eine einfache, praktikable und kostengünstige Möglichkeit, den Streit über die Zuständigkeit im Interesse der Beteiligten und im Interesse der Rechtssicherheit rasch zu beenden, damit sich das zuständige Gericht möglichst bald mit der Sache selbst befassen kann. Deshalb hat der Bundesgerichtshof diese Vorschrift mehrfach in Fällen analog angewandt, die zwar von dem Wortlaut der Vorschrift nicht unmittelbar erfaßt werden, in denen aber ebenfalls eine Unklarheit darüber bestehen kann, welches Gericht dazu berufen ist, über einen Antrag, eine Klage oder ein Rechtsmittel zu entscheiden (vgl. BGHZ 78 aaO. S. 111; 104 aaO. S. 365). Voraussetzung für eine solche analoge Anwendung ist aber, daß zumindest Anhaltspunkte für eine Unklarheit darüber vorhanden sind, welches Gericht zuständig ist, und daß deshalb eine Zuständigkeitsbestimmung durch das gemeinschaftliche obere Gericht erforderlich ist (vgl. für eine Zuständigkeitsbestimmung nach §§ 14, 19 StPO: BGHSt 39, 162).

Eine solche Unklarheit besteht im vorliegenden Fall nicht. Es steht rechtskräftig fest, daß dem Landgericht das weitere Verfahren übertragen ist. Das Landgericht ist an die auf die weitere Beschwerde vom Oberlandesgericht ausgesprochene Zurückverweisung gebunden. Erachtet das Rechtsmittelgericht - sei es im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder im Verfahren nach der Zivilprozeßordnung - eine Beschwerde oder eine weitere Beschwerde für begründet, so kann es, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache zur anderweiten Behandlung und Entscheidung an das Gericht der Vorinstanz zurückverweisen (vgl. BGHZ 51, 131, 134 m.N.). Ob die rechtlichen Voraussetzungen für eine Aufhebung und Zurückverweisung gegeben sind oder nicht, entscheidet das Rechtsmittelgericht. Das Gericht, an das es zurückverweist, ist nicht nur an die Zurückverweisung gebunden, sondern auch an die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt. Es hat diese rechtliche Beurteilung bei der ihm übertragenen erneuten Behandlung und Entscheidung der Sache zu beachten (BVerfGE 65, 132, 137 ff; BGHZ aaO. S. 135 m.N.; Zöller/Schneider, ZPO 18. Aufl. § 575 Rdn. 24 ff). Dies gilt unabhängig davon, ob die rechtliche Beurteilung des Rechtsmittelgerichts zutreffend ist oder nicht. Im vorliegenden Fall darf das Landgericht deshalb bei seinem weiteren Vorgehen nicht mehr die Rechtsansicht zugrunde legen, die Kammer sei bei dem Erlaß der aufgehobenen Entscheidung ordnungsgemäß besetzt gewesen.

Bei dieser Verfahrenslage besteht kein Bedürfnis, das zur Entscheidung berufene Gericht zu bestimmen. Es besteht deshalb auch keine Veranlassung und kein Raum für eine Einschaltung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts in entsprechender Anwendung der Vorschriften über das Gerichtsstandsbestimmungsverfahren nach § 36 Nr. 6 ZPO.

In der Literatur werden (eher theoretische) Fallgestaltungen erörtert, in denen eine gerichtliche Entscheidung von vornherein nichtig und wirkungslos sein soll (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer aaO. vor § 300 Rdn. 15 ff; Thomas/Putzo ZPO 18. Aufl. Vorbemerkung § 300 Rdn. 11 ff). Ob eine Bestimmung des zuständigen Gerichts analog § 36 Nr. 6 ZPO ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn die (zurückverweisende) Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nach diesen Grundsätzen nichtig ist, erscheint zweifelhaft, kann aber offenbleiben, da ein derartiger Fall hier offensichtlich nicht vorliegt.

4. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß auch im Falle einer Verweisung nach § 281 Abs. 1 ZPO der Verweisungsbeschluß für das in ihm bezeichnete Gericht bindend ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO) und daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (entgegen einer früher in der Literatur und in der Rechtsprechung vertretenen Meinung: vgl. Wieczorek, ZPO 2. Aufl. 1976, § D VI a m.N.) die Bindungswirkung eines solchen Verweisungsbeschlusses der Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Nr. 6 ZPO nicht entgegensteht, sondern im Rahmen dieser Bestimmung zu. berücksichtigen ist (BGHZ 17, 168, 171; 102, 338, 340 ff). Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses ist nicht zu vergleichen mit der Bindung, die von einer zurückverweisenden Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ausgeht. Bei § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO liegt ein Zuständigkeitsstreit zweier oder mehrerer Gerichte derselben Instanz vor, der nach § 36 Nr. 6 ZPO durch eine Entscheidung des übergeordneten Gerichts geklärt wird. Bei einer Aufhebung und Zurückverweisung durch das Rechtsmittelgericht liegt bereits eine Entscheidung des übergeordneten Gerichts vor, durch die das Gericht der Vorinstanz nicht nur hinsichtlich der Zurückverweisung der Sache, sondern - wie dargelegt - auch hinsichtlich der tragenden Gründe umfassend gebunden wird. Würde in einem solchen Falle ein Verfahren eröffnet, wie es § 36 Nr. 6 ZPO vorsieht, so könnte die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts im Ergebnis jedenfalls zum Teil einer weiteren rechtsmittelartigen Überprüfung zugeführt werden, und zwar ohne daß ein Beteiligter ein Rechtsmittel eingelegt hat und ohne Rücksicht darauf, ob gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts ein weiteres Rechtsmittel vorgesehen ist oder nicht. Das wäre mit den Regelungsanlässen und -möglichkeiten des Verfahrens nach § 36 Nr. 6 ZPO nicht mehr in Einklang zu bringen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993267

NJW 1994, 2956

LM ZPO § 36 Ziff 6 Nr. 33

BGHR ZPO § 36 Nr. 6 Rechtsmittelgericht 2

DRsp IV(418)270g-h

FamRZ 1994, 1097

EzFamR aktuell 1994, 300

EzFamR ZPO § 36 Nr. 9

MDR 1994, 1144

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