Leitsatz (amtlich)

Die einem bevollmächtigten Rechtsanwalt für die Tätigkeit in steuerlichen Einspruchsverfahren gewährten Vergütungen sind nach § 316 Abs. 1 AO insoweit erstattungsfähig, als der Steuerpflichtige durch die Zuziehung eigene erstattungsfähige Auslagen (z. B. Reisekosten) erspart hat.

 

Normenkette

AO § 316 Abs. 1, 2 S. 1

 

Tatbestand

Streitig ist die Frage der Erstattungsfähigkeit von Auslagen des Bf. nach § 316 Abs. 1 AO.

Der Bf. hält sich seit 1933 (mit Unterbrechungen) im Ausland auf; seit 1947 hat er seinen ständigen Wohnsitz in den USA. Durch Bescheide vom 24. Februar 1955 wurde er vom Finanzamt unter anderem zur Vermögensteuer 1949 und zur Vermögensabgabe herangezogen. Die sofortige Fälligkeit der Vermögensabgabe wurde angeordnet. Mit Pfändungsverfügung vom gleichen Tage wurden wegen dieser und wegen anderer angeblicher Abgabenansprüche im Betrage von über 204 000 DM Forderungen des Bf. auf Lizenzgebühren gepfändet. Die Einsprüche des Bf. gegen die Bescheide des Finanzamts vom 24. Februar 1955 hatten nur zum Teil Erfolg. Auf seine Berufungen hob das Finanzgericht durch inzwischen rechtskräftig gewordene Entscheidungen die Bescheide des Finanzamts ersatzlos auf; die Kosten des Verfahrens wurden dem Land auferlegt.

Der Bf. hat sich in den Einspruchs- und Berufungsverfahren durch einen in München ansässigen Rechtsanwalt vertreten lassen. Er hat durch diesen beim Finanzamt beantragt, ihm die Kosten -- insbesondere die Anwaltsgebühren --, die ihm der Rechtsanwalt gemäß den Sätzen der Gebührenordnung für Rechtsanwälte berechnet hat, auch für die Einspruchsverfahren zu erstatten. Das Finanzamt hat für die Einspruchsverfahren den Anträgen zwar hinsichtlich einiger kleiner Auslagen (wie Porto- und Fernsprechkosten) entsprochen, jedoch die Erstattung der Anwaltsgebühren für die Einspruchsinstanz abgelehnt. Die vom Bf. durch seinen Anwalt eingelegte Erinnerung wurde vom Finanzamt als unbegründet zurückgewiesen .

Desgleichen blieb die vom Bf. gegen den Erinnerungsbescheid eingelegte Berufung ohne Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und der Erinnerungsentscheidung des Finanzamts sowie zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzamt zur erneuten Entscheidung.

Die Vorinstanzen haben die Erstattungsfähigkeit der Anwaltsgebühren für die Einspruchsverfahren unter Berufung auf die Vorschrift des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO abgelehnt, nach der, wenn ein Bevollmächtigter oder Beistand zugezogen wird, die "dadurch entstehenden" Kosten nur zu erstatten sind, soweit sie für Personen, die geschäftsmäßig Hilfe in Steuersachen leisten, in Verfahren vor den Finanzgerichten entstanden sind. Der erkennende Senat hat in dem Urteil II 245/57 S vom 30. Juni 1960 (BStBl 1960 III S. 337) seinerseits ausgesprochen, daß die Erstattung von Gebühren, die durch die Hinzuziehung von Rechtsanwälten und anderen Bevollmächtigten für deren Tätigkeit in Einspruchsverfahren entstanden sind, nach § 316 Abs. 2 AO nicht verlangt werden kann. Die Vorinstanzen haben aber die Vorschrift des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO, der die Vorschrift des § 316 Abs. 1 AO einschränkt, in dem Verhältnis zu § 316 Abs. 1 AO nicht zutreffend ausgelegt. Die Vorschrift des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO spricht bereits dem Wortlaut nach nicht von Kosten für die Zuziehung eines Bevollmächtigten oder Beistands, sondern von Kosten, die durch die Zuziehung ("dadurch") entstehen. Das ist von Bedeutung für die vom Reichsfinanzhof in dem Gutachten Gr. S. D 1/32 vom 9. Juli 1932 (RStBl 1932 S. 699, Slg. Bd. 31 S. 313) offengelassene Frage, ob auch die von dem Steuerpflichtigen dem zugezogenen Bevollmächtigten für die Tätigkeit in den Einspruchsverfahren gewährten (angemessenen) Vergütungen (Gebühren) als Auslagen nach § 316 Abs. 1 AO wenigstens insoweit als erstattungsfähig anzuerkennen sind, als der Steuerpflichtige durch die Zuziehung des Bevollmächtigten Auslagen anderer Art (z. B. eigene Reisekosten) erspart hat, die ohne die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen wären. Diese Frage ist nach Wortlaut und Sinnzusammenhang der Vorschriften des § 316 Abs. 1 und Abs. 2 AO zu bejahen. Es handelt sich hierbei nicht um Auslagen, die durch die Zuziehung des Bevollmächtigten erwachsen sind. Sie wären -- wenn auch in anderer Art -- ohne die Zuziehung ebenfalls entstanden. Die Erstattungsfähigkeit dieser Auslagen sollte durch die Neufassung des § 316 AO durch das Gesetz zur Änderung von einzelnen Vorschriften der Reichsabgabenordnung und anderer Gesetze vom 11. Juli 1953 (BGBl I S. 511) nicht ausgeschlossen werden. Es wäre auch kein innerer Grund vorhanden, die Erstattungsfähigkeit solcher Auslagen zu versagen. Den gleichen Standpunkt haben im Schrifttum vertreten: Boeker, Kostenerstattung im steuerlichen Rechtsmittelverfahren 1957, S. 29/30 IX 6; Klempt-Meyer, Rechtsmittelverfahren und Rechtsmittelkosten in Steuerstreitsachen, 2. Aufl. 1959, S. 165 Ziff. 114; Mattern-Wittneben, Das Abgabenänderungsgesetz, 1954, S. 113 unter hh.

Bei dieser Auslegung der Vorschrift des § 316 Abs. 2 Satz 1 AO im Verhältnis zu § 316 Abs. 1 AO hätte es im Streitfall der Prüfung durch die Vorinstanzen bedurft, ob und inwieweit der Bf. durch die Zuziehung des Rechtsanwalts in München in den Einspruchsverfahren Auslagen anderer Art erspart hat, die ohne die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen wären. Es wäre also zu prüfen gewesen, ob dem Bf. ohne die Zuziehung des Rechtsanwalts in München zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in den Einspruchsverfahren Auslagen für eine Reise von Amerika nach Europa nebst einem zeitweisen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland als notwendig erwachsen wären. Für die Notwendigkeit würden die Schwierigkeiten der seinerzeit in den Einspruchsverfahren zu entscheidenden Fragen sprechen, ferner die wirtschaftliche Bedeutung der Angelegenheit für den Bf. und die Eilbedürftigkeit der Sache, die besonders infolge der vom Finanzamt getroffenen einschneidenden Maßnahmen gegeben war. Keine Rolle könnte dabei spielen, daß das Finanzamt den Bf. tatsächlich nicht zur Verhandlung vorgeladen hatte und es sich um erstinstanzliche Verfahren handelte, ferner -- entgegen den Darlegungen des Finanzgerichts -- ob der Rechtsanwalt für den Bf. Reisen zum Finanzamt oder zu anderen Finanzverwaltungsbehörden in den Einspruchssachen ausgeführt hat oder nicht.

Hiernach waren die Vorentscheidung und die Erinnerungsentscheidung des Finanzamts aufzuheben und die nicht spruchreife Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Finanzamt zurückzuverweisen. Das Finanzamt wird gegebenenfalls anderweitige Kostenfestsetzungsbescheide unter Beachtung der aufgezeigten Gesichtspunkte zu erlassen haben. Dabei wird es auch die -- bisher dahingestellt gelassene -- Frage der Streitwerte für die Einspruchsverfahren zu prüfen haben.

 

Fundstellen

Haufe-Index 409802

BStBl III 1960, 473

BFHE 1961, 603

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