Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer. Abgabenordnung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gehört ein gewerbliches Unternehmen des Erblassers zum ungeteilten Nachlaß und wird der Gewerbebetrieb zunächst von der Erbengemeinschaft fortgeführt, so liegt in der Regel in der entgeltlichen Übertragung eines Anteils am Nachlaß eine steuerpflichtige Veräußerung eines Anteils am Betrieb.

2. Stellt das Betriebsfinanzamt nur einem Miterben als Mitunternehmer den Gewinnfeststellungsbescheid zu, so ist er diesem gegenüber wirksam geworden. Wurde den anderen Miterben als Mitunternehmer nur von ihrem Wohnsitzfinanzamt der Inhalt des Gewinnfeststellungsbescheides, der allen Mitunternehmern vom Betriebsfinanzamt hätte zugestellt werden müssen, bekanntgegeben, so fuhrt dieser Mangel in dem von diesen Miterben durchgeführten Rechtsmittelverfahren gegen die einheitliche Gewinnfeststellung nicht notwendig zur Aufhebung der Vorentscheidungen.

 

Orientierungssatz

Entgeltliche Übertragung eines Erbanteils eines ungeteilten Nachlasses mit Betriebsvermögen; Zustellung eines Gewinnfeststellungsbescheids

 

Normenkette

EStG § 16 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2; AO §§ 210b, 288 Nr. 2

 

Tatbestand

Die beschwerdeführenden Eheleute, die in allgemeiner Gütergemeinschaft leben, waren mit dem am Verfahren beteiligten Miterben E je zur Hälfte Erben ihrer 1947 verstorbenen Mutter, deren Nachlaß aus einem von der Besatzungsmacht beschlagnahmten Hotel bestand. Nach der Beschlagnahme wurden die Bilanzen des im Handelsregister eingetragenen Hotelbetriebs fortgeführt und die von den Erben zu versteuernden Einkünfte nach diesen Bilanzen ermittelt. Die Erben stellten auf den 21. Juni 1948 eine DM-Eröffnungsbilanz auf, in die sie das Hotelgrundstück mit dem den Buchwert übersteigenden Einheitswert ansetzten. Einen Teil der Mieteinnahmen der DM-Zeit führten die Erben unter entsprechender Verminderung der Gewinne einer Rücklage für Besatzungsschäden zu. Durch notariellen Vertrag vom 1. Juli 1955 veräußerten die Bf. ihren Anteil an dem noch nicht auseinandergesetzten Nachlaß an den Miterben E.

Das Finanzamt sah die Veräußerung des Anteils am Nachlaß als die Veräußerung eines Mitunternehmeranteils an dem Hotelbetrieb (§ 16 Abs. 1 Ziff. 2 EStG) an und ging bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns der Bf. von der auf den 30. Juni 1955 aufgestellten Zwischenbilanz aus. Diese Zwischenbilanz wies auf der Passivseite die Kapitalkonten der Bf. und des E, Rücklagen für Besatzungsschäden und Verbindlichkeiten aus. Da das Betriebs-FA den Bescheid lediglich dem Erwerber E zustellte, erfuhren die Bf. die Höhe und die Zurechnung des Veräußerungsgewinns erst durch ihr Wohnsitz-FA bei der Einkommensteuerveranlagung 1955. Das Betriebs-FA entsprach zwar nicht dem Wunsch der Bf., ihnen den Gewinnfeststellungsbescheid zuzustellen, teilte aber den Bf. die Höhe des Veräußerungsgewinns und des laufenden Gewinns und damit den Inhalt des einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides mit. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Berufung führte nur zu einer geringfügigen Ermäßigung des Veräußerungsgewinns. Die Bf. waren der Auffassung, daß ihnen der Gewinnfeststellungsbescheid zugestellt werden müsse, daß die Ermittlung des Veräußerungsgewinns dem Einkommensteuerveranlagungsverfahren zu überlassen sei und daß die Abtretung eines Erbanteils durch einen Miterben an einen anderen Miterben keine Veräußerung im Sinne des § 16 Abs. 1 Ziff. 2 EStG, sondern einen privaten erbrechtlichen, der Einkommensteuer nicht unterliegenden Vorgang darstelle. Das FG begründete seine Entscheidung wie folgt. Ein anfechtbarer Bescheid über die einheitliche Gewinnfeststellung liege auch vor der an sich notwendigen Zustellung an die Bf. vor und sei von den Bf. auch rechtswirksam angefochten worden. Über die Höhe des Veräußerungsgewinns sei im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung zu entscheiden. Ob ein Miterbe an den einzelnen Vermögensgegenständen des ungeteilten Nachlasses einen Anteil habe, sei umstritten. Das Reichsgericht (Bd. 94 S. 243) und der BFH (Urteil vom 6. Dezember 1957, BStBl 1958 III S. 33) hätten die Frage bejaht, wenn auch der einzelne Miterbe über seinen Anteil an den einzelnen Nachlaßgegenständen nicht verfügen dürfe (§ 2033 BGB). Befinde sich in dem Nachlaß ein gewerblicher Betrieb, so übertrage der Miterbe mit der Abtretung seines Anteils am Nachlaß auch seinen Anteil an dem Betriebsvermögen. Die im Schrifttum bisweilen vertretene Auffassung (Herrmann-Heuer, Kommentar zum EStG und KStG 1957. Anm. 18 bis 20 zu § 16 EStG, und Würdinger, StuW 1956 Sp. 112), daß bei dem Verkauf eines Miterbenanteils nach § 2371 BGB ein Veräußerungsgewinn deshalb nicht entstehen könne, weil der Erwerber in die Rechtsstellung des veräußernden Miterben einträte und es sich deshalb um einen Vorgang des Erbens handle, sei nicht zutreffend. Denn der Erwerber erhalte den Anteil nicht vom Erblasser, sondern auf Grund eines Kaufvertrags vom Miterben. Mit der Veräußerung ihres Anteils am Nachlaß hätten die Bf. ihren Anteil am ruhenden Gewerbebetrieb verkauft. Sie müßten deshalb die im ruhenden Betrieb steckenden stillen Reserven versteuern.

 

Entscheidungsgründe

Die Prüfung der Rechtsbeschwerde ergibt folgendes.

1. Verfahrensmängel

Die Rüge der Bf., daß eine sachliche Entscheidung nicht möglich sei, weil das Betriebs-FA ihnen den Gewinnfeststellungsbescheid nicht zugestellt habe, kann nicht zu der beantragten ersatzlosen Aufhebung der Vorentscheidungen führen. Es wäre zwar richtig und zweckmäßig gewesen, wenn das Betriebs-FA dem Wunsch der Bf. entsprochen, ihnen den Feststellungsbescheid förmlich zugestellt und damit alle verfahrensrechtlichen Einwendungen ausgeräumt hätte. Denn ob der Miterbe E im Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Bescheids noch Bevollmächtigter der Bf. war, kann mit Rücksicht auf die Auseinandersetzung der bisherigen Gemeinschaft zweifelhaft sein. Es bestehen aber keine Bedenken, die Bekanntgabe des Inhalts des Feststellungsbescheides des Betriebs-FA als ausreichende Voraussetzung für eine sachliche Entscheidung anzusehen. Der Feststellungsbescheid war durch seine schriftliche Abfassung und die ordnungsmäßige Zustellung an den Miterben E als Verwaltungsakt dem Miterben E gegenüber wirksam geworden. Nur war die Rechtsmittelfrist für die Bf. nicht in Lauf gesetzt, solange ihnen der Bescheid nicht zugestellt war. Die Vorschrift des § 210 b AO, wonach auch Feststellungsbescheide schriftlich erteilt werden müssen, ist nicht verletzt, weil ein schriftlicher Feststellungsbescheid mit einer ordnungsmäßigen Zustellung an einen der Beteiligten vorliegt. Ob die Bekanntgabe des Inhalts des Feststellungsbescheids die Rechtsmittelfrist in Lauf setzte, braucht nicht geprüft zu werden, weil sich die Bf. innerhalb eines Monats gegen den Inhalt dieses Schreibens wandten.

Daß der Veräußerungsgewinn im Verfahren der einheitlichen Feststellung ermittelt und den Beteiligten zugewiesen werden muß, hat der BFH mehrfach entschieden (BFH-Urteil vom 10. September 1957, BStBl 1957 III S. 414). Es besteht keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

2. Veräußerung im Sinn des § 16 Abs. 1 Ziff. 2 EStG

Gehört zu einem nicht auseinandergesetzten Nachlaß ein gewerblicher Betrieb, der von den Miterben für Rechnung der Erbengemeinschaft zunächst fortgesetzt wird, so sind die Miterben Mitunternehmer im Sinn des § 16 Abs. 1 Ziff. 2 EStG. Das gilt auch dann, wenn es sich um einen verpachteten und deshalb ruhenden Betrieb handelt, dessen Verpachtung die Miterben für Rechnung der Erbengemeinschaft fortsetzen. Eine andere Auffassung würde zu dem nicht tragbaren Ergebnis führen, daß der fortgesetzte oder ruhende Betrieb keinen Unternehmer hätte. Dabei sind den Miterben die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens so zuzurechnen, als wären die Miterben nach Bruchteilen beteiligt (§ 11 Ziff. 5 StAnpG). Der Senat trägt keine Bedenken, sich der Auffassung des FG anzuschließen, daß im vorliegenden Fall die Veräußerung eines Anteils am Nachlaß durch einen Miterben die Veräußerung des zum Nachlaß gehörenden Betriebs umfaßt. Daß es sich dabei um einen entgeltlichen Erwerb des übernehmenden Miterben handelt und deshalb der Erwerber den Kaufpreis auf die übernommenen Wirtschaftsgüter anteilig verteilen muß, wird in dem RFH-Urteil vom 8. November 1933 (RStBl 1934 S. 295) als selbstverständlich angenommen. Ein unentgeltlicher Erwerb und damit ein Vorgang des Erbens kommt hier auch deshalb nicht in Betracht, weil dem Erwerber nicht zugemutet werden kann, die Buchwerte der Erbengemeinschaft fortzuführen und damit auf die Aktivierung des Kaufpreises und auf entsprechende Abschreibungen zu verzichten. Schon aus dem BFH-Urteil vom 16. Dezember 1957, a.a.O., ist zu entnehmen, daß die Veräußerung eines Anteils am Nachlaß einen entgeltlichen Erwerb darstellen kann. Auf die bisweilen schwierige Abgrenzung des unentgeltlichen, auf dem Vorgang des Erbens beruhenden Erwerbes von einem ganz oder teilweise entgeltlichen Erwerb aus der Erbschaft braucht hier nicht näher eingegangen zu werden, weil die Erbmasse praktisch nur aus dem Hotelbetrieb bestand und die Erben diesen Betrieb jahrelang gemeinsam als Mitunternehmer fortführten. In einem solchen Fall können keine Bedenken gegen die Annahme einer Veräußerung bestehen. Siehe im übrigen auch RFH-Urteil vom 8. November 1933, RStBl 1934 S. 295, und BFH-Urteil vom 6. Oktober 1959, BStBl 1960 III S. 2.

3. Ermittlung des Veräußerungsgewinns

Das FA stellte dem Veräußerungspreis das Kapitalkonto der Bf. am 30. Juni 1955 gegenüber. Im BFH-Urteil vom 1. September 1959 (BStBl 1959 III S. 482) wird ausführlich zu der Frage Stellung genommen, wie der Veräußerungsgewinn eines vor dem 21. Juni 1948 verpachteten und nach diesem Zeitpunkt veräußerten Gewerbebetriebs zu ermitteln ist. Auf die Ausführungen dieses Urteils wird verwiesen. Da im vorliegenden Fall wohl kein Anhalt dafür besteht, daß während der Verpachtung des Hotelgrundstücks der Wert dieses Grundstücks erheblich gestiegen ist, und der Wert der Einrichtung nach der langen Beschlagnahme durch die Besatzungsmacht im Zeitpunkt der Veräußerung offenbar nicht erheblich war, bestehen grundsätzlich keine Bedenken, den Veräußerungsgewinn unter Zugrundelegung der Bilanz vom 30. Juni 1955 zu ermitteln. Es bleibt den Beteiligten aber überlassen, Gesichtspunkte vorzutragen, die zu einem anderen Ergebnis führen können.

Nicht zutreffend ist es indessen, daß das FG ohne nähere Prüfung den Veräußerungspreis dem buchmäßigen Kapitalkonto der Bf. gegenüberstellte. Das FG durfte den Betrag, von dem die Bf. tatsächlich wegen der Verrechnung mit Schulden nur einen Teil erhielten, bei der Ermittlung des Veräußerungspreises nur dann voll ansetzen, wenn es sich bei den verrechneten Schulden um in der Bilanz nicht berücksichtigte private Verbindlichkeiten der Bf. handelte, die der Miterbe E übernahm. Denn soweit die verrechneten Schulden bilanziert waren, wirkten sie sich auf die Höhe des dem Veräußerungspreis gegenüberzustellenden Kapitalkontos der Bf. aus. Mindestens bei den verrechneten Schulden gegenüber der Hypothekenbank handelt es sich um Schulden, die in der Bilanz vom 30. Juni 1955 enthalten sind, so daß der Veräußerungsgewinn jedenfalls um diesen Betrag zu hoch angesetzt ist.

Mit Rücksicht darauf, daß das FA in der mündlichen Verhandlung die Zurückweisung der Rb. beantragte und keine Verböserung erstrebte, sieht der Senat davon ab, darüber zu entscheiden, ob der Anteil der Bf. an dem in der Bilanz enthaltenen Posten „Rücklage für Besatzungsschäden” als laufende Einkünfte der Bf. hätte behandelt werden müssen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1201278

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