Entscheidungsstichwort (Thema)

Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer

 

Leitsatz (amtlich)

Wird der verschollene Ehegatte für tot erklärt, so gilt der andere Ehegatte vom Tage der Rechtskraft des Todeserklärungsbeschlusses ab als verwitwet.

 

Normenkette

EStG § 32/3, § 32 Abs. 2; StAnpG § 3 Abs. 4

 

Tatbestand

Durch rechtskräftigen Beschluß ist der verschollene Ehemann der Beschwerdeführerin (Bfin.) für tot erklärt worden. Für 1953 ist auf deren Lohnsteuerkarte die Steuerklasse I eingetragen worden. Dem Antrag auf Eingruppierung in die Steuerklasse II haben die Vorinstanzen nicht entsprochen.

 

Entscheidungsgründe

Die wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Rechtsbeschwerde (Rb.) kann keinen Erfolg haben.

Die auf Grund des § 9 des Verschollenheitsgesetzes vom 15. Januar 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl. - I S. 63) vom Amtsgericht ausgesprochene Todeserklärung hat die Wirkung, daß der Verschollene in dem im Beschluß angegebenen Zeitpunkt als verstorben gilt (Todesvermutung). Die Feststellung ist in zeitlicher Hinsicht maßgebend für alle Rechtsverhältnisse, für die der Tod von Bedeutung ist; sie sind so zu regeln, wie wenn der Verschollene in dem festgestellten und absolut vermuteten Todeszeitpunkt verstorben wäre. Es ist nicht angängig, den Tod des Verschollenen für verschiedene Rechtsverhältnisse als zu verschiedenen Zeitpunkten eingetreten zu vermuten. Die Todesvermutung wirkt für und gegen jedermann. Auf die Todeserklärung kann sich jeder berufen.

In sachlicher Hinsicht erstrecken sich die Wirkungen der Todesvermutung auf alle Rechtsgebiete, sowohl des privaten wie des öffentlichen Rechts, z. B. Erbrecht, Eherecht, Familienrecht, Versicherungsrecht, Steuerrecht, hier allerdings mit der im § 3 Abs. 4 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) gegenüber § 9 des Verschollenheitsgesetzes bestimmten Abweichung. Grundsätzlich gilt danach auch für das Eherecht die absolute Wirkung. Wird ein Verschollener für tot erklärt, so ist auf Grund der Todesvermutung davon auszugehen, daß seine Ehe mit dem im Beschluß festgestellten Zeitpunkt aufgelöst ist (Palandt, Kommentar zum Ehegesetz Anm. zu § 38). Diese Wirkung wird auch durch die Sondervorschriften der §§ 38 bis 40 des Ehegesetzes vom 20. Februar 1946 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S. 77) nicht berührt, insbesondere auch nicht durch § 38 Abs. 2 a. a. O., der bestimmt, daß mit der Schließung der neuen Ehe die frühere aufgelöst wird. Es handelt sich um eine Ausnahmevorschrift, bei der vorausgesetzt wird, daß der Verschollene noch lebt, die ergangene Todeserklärung objektiv unrichtig ist, und durch die ausgesprochen wird, daß die an die Begründung der Todesvermutung geknüpften Rechtsfolgen nicht mit rückwirkender Kraft fortfallen. Aus § 38 Abs. 2 des Ehegesetzes kann nicht auf eine allgemeine Vermutung geschlossen werden, daß die Ehe in jedem Falle bis zur Wiederverheiratung fortbesteht; die Vorschrift behandelt nur den Sonderfall, daß der für tot Erklärte bei der neuen Eheschließung noch lebt; sie ist lediglich im Interesse der Aufrechterhaltung der neuen Ehe erlassen. Die Auffassung, die Todeserklärung führe nicht die Auflösung der Ehe herbei, sondern ermögliche nur die Eingehung einer neuen Ehe (Jur. Wochenschrift 1938 S. 2794), widerlegt sich selbst. Die Ermöglichung einer neuen Ehe setzt notwendigerweise voraus, daß die alte nicht mehr besteht. Eine solche Betrachtung würde auch dazu führen, daß alle sonst aus der Todeserklärung sich ergebenden Rechtsfolgen, vor allem auf dem Gebiete des Erbrechts, Versicherungsrechts usw. als bis zur Wiederverheiratung hinausgeschoben angesehen werden müßten. Diese Folgerung würde infolge des unter Umständen lange dauernden Schwebezustandes eine erhebliche Rechtsunsicherheit verursachen. Die durch die Todeserklärung begründete Vermutung des Todes in dem im Beschluß genannten Zeitpunkt wird durch die nach der Todeserklärung stattfindende Eheschließung nicht berichtigt. Es bleibt auch in diesem Falle bei der durch § 9 des Verschollenheitsgesetzes aufgestellten gesetzlichen Vermutung, daß die frühere Ehe schon im Zeitpunkt des vermuteten Todes des für tot Erklärten aufgelöst ist (siehe Godin, Ehegesetz Anmerkung zu § 38). Die durch § 38 Abs. 2 des Ehegesetzes getroffene Regelung gilt nur für den Ausnahmefall, daß Todeserklärung und Todesvermutung unrichtig waren. Grundsätzlich ist die gesetzliche Todesvermutung des Verschollenheitsgesetzes auch für das Eherecht maßgebend. Das gilt auch für das Steuerrecht. Die im Abschn. 195 Abs. 5 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) und Abschn. 43 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) 1952 Abs. 5 zum Ausdruck gebrachte Auffassung entspricht danach dem geltenden Recht, sie wird auch überwiegend für das bürgerliche Recht vertreten. Es liegt nicht, wie in der Rb. behauptet, ein Abweichen des Steuerrechts vom bürgerlichen Recht vor. Die vom Standesamt in der Bescheinigung vom 23. Oktober 1952 zum Ausdruck gebrachte und auf die "ergangenen Kommentare" gestützte Meinung ist für die Steuergericht nicht nur deshalb nicht maßgebend, als die überwiegende Zahl der Kommentatoren zu der hier streitigen Frage einen anderen Standpunkt einnimmt, vielmehr auch deswegen, weil die Steuergericht an die rechtliche Beurteilung anderer Behörden grundsätzlich nicht gebunden sind (siehe Urteile des Bundesfinanzhofs II 201/51 vom 2. November 1951, BStBl. 1951 S. 234 = Steuerrechtskartei, Grunderwerbsteuergesetz § 1 Rechtsspruch 7; I 103/52 vom 11. November 1952, BStBl. 1953 III S. 9 = Steuerrechtskartei, EinkStG § 7 c Rechtsspruch 12; III 78/51 vom 14. August 1953, BStBl. 1953 III S. 331 und IV 244/53 vom 29. Oktober 1953, BStBl. 1953 III S. 358).

Hiernach ist die Einstufung der Bfin. in die Steuerklasse I zutreffend vorgenommen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407837

BStBl III 1954, 78

BFHE 1954, 435

BFHE 58, 435

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