Leitsatz (amtlich)

Wird ungerechtfertigt entzogenes Vermögen zurückerstattet, so ist mit Wirkung vom 10. November 1947 ab die Besteuerung des der Rückerstattung unterliegenden Vermögens nach der durch die Rückerstattungsentscheidung oder den Rückerstattungsvergleich rückwirkend geschaffenen Sach- und Rechtslage vorzunehmen.

Ist der hinsichtlich eines inländischen Grundstücks Rückerstattungsberechtigte nach dem 9. November 1947 gestorben, so sind seine Erben auf Grund des vom Erblasser auf sie übergegangenen quasi-dinglichen Anspruchs auf Rückerstattung des Grundstücks gemäß § 8 Abs. 1 II ErbStG mit dem Grundstück erbschaftsteuerpflichtig.

Gesetz Nr. 59 der amerik. Militärregierung (amerik. REG) Art. 91 Abs. 2;

Gesetz Nr. 59 der brit. Militärregierung (brit. REG) Art. 77 Abs. 1 Satz 2;

 

Normenkette

AmerikREG 91/2; BritREG 77/1/2

 

Tatbestand

Der Ehegatte bzw. Vater (Erblasser) der Beschwerdegegner (Bg.) war ursprünglich Eigentümer des Grundstücks S. - Straße ... in H. Der Erblasser ist im Jahre 1938 oder 1939 nach USA ausgewandert und hat auf Grund von § 2 Buchst. a der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941 (Reichsgesetzblatt - RGBl. - I S. 722) mit deren Inkrafttreten die deutsche Staatsangehörigkeit verloren; sein Vermögen verfiel mit diesem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 der genannten Verordnung dem Reich. Der Erblasser ist am 19. September 1948 in USA verstorben. An diesem Tag war als Eigentümer des oben bezeichneten Grundstücks die Stadtgemeinde ... im Grundbuch eingetragen. Seit 3. August 1950 sind auf Grund Rückerstattungsvergleichs vom 13. Juni 1949 mit Nachtrag vom 21. Juni 1950 die sämtlich im Ausland wohnenden Bg. als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Das Finanzamt hat die Bg. durch Steuerbescheid vom 13. Februar 1951 mit dem Grundstück zur Erbschaftsteuer herangezogen. Der hiergegen eingelegte Einspruch ist erfolglos geblieben. Auf Berufung hin hat das Finanzgericht die Bg. von der Erbschaftsteuer freigestellt.

 

Entscheidungsgründe

Die vom Vorsteher des Finanzamts gegen die Entscheidung des Finanzgerichts eingelegte Rechtsbeschwerde (Rb.) ist begründet.

Allerdings ist der angefochtenen Entscheidung, wenn auch nicht in der Begründung, so doch im Ergebnis insoweit beizutreten, als sie Art. 15 Abs. 1 des amerikanischen Rückerstattungsgesetzes - amerik. REG - (Art. 12 brit. REG) hinsichtlich der Frage der nachträglichen Steuererhebung aus Anlaß der Rückerstattung für unanwendbar hält. Das Finanzgericht schließt die Nichtanwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 amerik. REG aus Abs. 2 a. a. O., der die Wirkung der Rückerstattungsentscheidung auf die am Rückerstattungsverfahren Beteiligten beschränkt. Nun steht aber Art. 15 Abs. 2 amerik. REG im Widerspruch zu Abs. 1 a. a. O., da die Rückerstattungsentscheidung ein Gestaltungsurteil ist (" ... Entscheidung hat die Wirkung ...") und sich begrifflich die materielle Rechtskraft von Gestaltungsurteilen (Urteilen mit rechtserzeugender Wirkung) ausnahmslos auf jeden Dritten erstreckt. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, daß die in Art. 15 Abs. 2 amerik. REG enthaltene Beschränkung in Art. 12 brit. REG, das nach der im Schrifttum überwiegend vertretenen Ansicht im großen und ganzen nur eine "verbesserte Auflage" des amerik. REG darstellt, nicht mehr enthalten ist. Hiernach bestehen - insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der einheitlichen Handhabung der steuerlichen Bestimmungen des Rückerstattungsrechts im gesamten Bundesgebiet - keine Bedenken, den Art. 15 Abs. 2 amerik. REG als bedeutungslos anzusehen. Dagegen folgt die Nichtanwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 amerik. REG (Art. 12 brit. REG) für die nachträgliche Steuererhebung aus Anlaß der Rückerstattung auf jeden Fall daraus, daß Art. 91 Abs. 2 amerik. REG (= Art. 77 Abs. 1 Satz 2 brit. REG) eine Sondervorschrift gegenüber § 4 Abs. 3 Ziff. 2 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) bzw. § 5 Abs. 5 StAnpG darstellt, die eine durch die letztgenannten Vorschriften vermittelte Anwendung des Art. 15 Abs. 1 amerik. REG (Art. 12 brit. REG) ausschließt. Es kann sonach dahingestellt bleiben, ob nicht darüber hinaus Art. 91 amerik. REG (Art. 77 brit. REG) als eine der in Art. 15 Abs. 1 amerik. REG (Art. 12 brit. REG) vorgesehenen Ausnahmebestimmungen anzusehen ist.

Die Entscheidung der vorliegendenfalls streitigen Frage ist demnach aus Art. 91 Abs. 2 amerik. REG (Art. 77 Abs. 1 Satz 2 brit. REG) zu entnehmen. Nach Art. 91 Abs. 2 amerik. REG findet aus Anlaß des Rückfalls entzogener Vermögensgegenstände eine nachträgliche Erhebung von Steuern (einschließlich der Erbschaftsteuer) nicht statt. Zur Auslegung dieser Vorschrift, die zu Zweifeln Anlaß geben kann, wird auf Grund des oben dargelegten Verhältnisses des brit. zum amerik. Rückerstattungsgesetz die Fassung heranzuziehen sein, die der dem Art. 91 Abs. 2 amerik. REG zugrundeliegende Rechtsgedanke in Art. 77 Abs. 1 Satz 2 brit. REG erhalten hat. Nach der letztgenannten Vorschrift können Ansprüche auf öffentliche Abgaben gegen den Berechtigten für die Zeit nicht geltend gemacht werden, in der ihm die zurückerstatteten Vermögensgegenstände entzogen waren. In diesem Sinn ist Art. 91 Abs. 2 amerik. REG auszulegen. Hiernach kommt es für die Frage der nachträglichen Steuererhebung aus Anlaß des Rückfalls entzogener Vermögensgegenstände darauf an, den Zeitpunkt der Beendigung der Entziehung zu bestimmen. Wenn nun auch sachenrechtlich-dinglich erst die Rückerstattungsentscheidung in der Weise rechtsgestaltend wirkt, daß das Eigentum vom Rückerstattungsverpflichteten an den Rückerstattungsberechtigten zurückfällt, so besteht doch keine Veranlassung, hinsichtlich der Besteuerung davon auszugehen, daß die Entziehung bis zur Rechtskraft der Rückerstattungsentscheidung gedauert habe. Nach dem gemäß § 1 Abs. 2 StAnpG auf dem Gebiet des Steuerrechts maßgeblichen Grundsatz, daß bei Auslegung steuerrechtlicher Gesetzesbestimmungen die Entwicklung der Verhältnisse zu berücksichtigen ist, kann nicht an der durch die Rückerstattungsgesetzgebung in der Rechtsstellung des Rückerstattungsberechtigten eingetretenen änderung vorbeigegangen werden. War es bis zum Erlaß der Rückerstattungsgesetze weitgehend noch ungewiß, ob und wie eine Rückerstattung der in der Zeit des Nationalsozialismus ungerechtfertigt entzogenen Vermögensgegenstände erfolgen werde, so steht dem Rückerstattungsberechtigten nach den von den Militärregierungen für die westlichen Besatzungszonen erlassenen Rückerstattungsgesetzen ein gesetzlich begründeter Rückerstattungsanspruch - für die amerikanische und die britische Besatzungszone - bzw. Anspruch auf Feststellung der Nichtigkeit des Entziehungsaktes - für die französische Besatzungszone - zu (Art. 7 amerik. REG, Art. 8 brit. REG, Art. 1 - 3 - Rückerstattungs-Verordnung Nr. 120 der französischen Militärregierung). Mit dem Erlaß der Rückerstattungsgesetze beginnt also ein Schwebezustand, während dessen das Eigentum an den der Rückerstattungspflicht unterliegenden Vermögensgegenständen zwar sachenrechtlich-dinglich noch nicht an den Rückerstattungsberechtigten zurückgefallen ist, ihm aber ein Rechtsanspruch der vorstehend bezeichneten Art zusteht, und andererseits der Rückerstattungsverpflichtete rechtlich mit dem Rückerstattungsanspruch des Berechtigten belastet ist. Der Rückerstattungsanspruch des Berechtigten stellt nun entgegen der Annahme der Vorentscheidung keinen lediglich schuldrechtlichen Anspruch (des bürgerlichen Rechts), sondern einen solchen eigener Art dar. Dieser Anspruch erweist sich der Sache nach durch das Ergehen der in Art. 15 Abs. 1 amerik. REG (Art. 12 brit. REG) vorgesehenen Rückerstattungsentscheidung (Rückerstattungsvergleichs) nachträglich als ein solcher, der jedenfalls wirtschaftlich gesehen dem Herausgabeanspruch des Eigentümers gegen den Besitzer (ß 985 BGB) gleichkommt. Bei dieser Sachlage und wegen der schon weiter oben dargelegten Unanwendbarkeit des Art. 15 Abs. 1 amerik. REG (Art. 12 brit. REG) auf dem Gebiet der Besteuerung zwingt Art. 91 Abs. 2 amerik. REG (Art. 77 Abs. 1 Satz 2 brit. REG) nicht zu der Annahme, der Rückerstattungsgesetzgeber habe vorschreiben wollen, daß für die Schwebezeit, d. h. vom Inkrafttreten des Rückerstattungsgesetzes bis zum Ergehen der Rückerstattungsentscheidung, die Besteuerung unter Außerachtlassung der durch das Rückerstattungsgesetz grundlegend veränderten bzw. neugeschaffenen Sach- und Rechtslage vorzunehmen sei. Es ist nicht ersichtlich, daß der Rückerstattungsgesetzgeber dem Berechtigten für die Schwebezeit noch besondere Steuervorteile habe zuwenden, den Rückerstattungsverpflichteten dagegen trotz der Rückgabeverpflichtung noch mit den Steuern für die Schwebezeit habe belasten wollen. Auf Grund dieser Erwägungen vermag sich der erkennende Senat dem im Schrifttum und in den Verwaltungserlassen der Länderfinanzministerien überwiegend vertretenen Standpunkt nicht anzuschließen, daß bis zum Vollzug der Rückerstattung in jedem Fall noch der Rückerstattungsverpflichtete mit dem zurückzuerstattenden Vermögen zur Besteuerung heranzuziehen sei.

Der erkennende Senat ist vielmehr der Auffassung, daß mindestens vom Erlaß des amerik. REG und der französischen (Rückerstattungs-) Verordnung Nr. 120 ab, die bereits am 10. November 1947 ergangen sind, ein Schwebezustand eingetreten ist, und zwar mit der Maßgabe, daß von diesem Zeitpunkt an bezüglich des der Rückerstattung unterliegenden Vermögens die endgültige Besteuerung nach derjenigen Sach- und Rechtslage vorzunehmen ist, die durch die Rückerstattungsentscheidung (oder einen Rückerstattungsvergleich rückwirkend geschaffen wird (vgl. hierzu auch die in § 52 Abs. 3 - 5 der Ersten Durchführungsverordnung zum Ersten Teil des Soforthilfegesetzes - 1. StDVO-SHG - getroffene Regelung); soweit im Urteil des erkennenden Senats III 189/51 S vom 20. Dezember 1951 (Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 Teil III S. 26) eine andere Auffassung vertreten sein sollte, wird an dieser nicht mehr festgehalten. Dies gilt übrigens, wie in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber bemerkt werden soll, auch für die Rückerstattungsfälle der britischen Besatzungszone, weil anzunehmen ist, daß über die grundsätzliche Regelung des Rückerstattungsrechts unter den drei wesentlichen Besatzungsmächten von vornherein Einigkeit herrschte und daher auch für die britische Zone schon am Tage des Ergehens der Rückerstattungsgesetze für die amerikanische und französische Zone mit Sicherheit feststand, die entzogenen Vermögensgegenstände würden dem durch die Entziehung beeinträchtigten Eigentümer wieder herausgegeben werden müssen. Hiernach ist es nicht von Bedeutung, daß das britische Rückerstattungsgesetz erst am 12. Mai 1949 in Kraft getreten ist. Die Frage, ob nicht in den Fällen der Einsetzung eines Treuhänders oder anderweitiger Sicherstellung gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 52 schon von diesen vor dem grundsätzlichen maßgebenden Zeitpunkt des 10. November 1947 getroffenen Sicherungsmaßnahmen ab entzogenes Vermögen dem Berechtigten (ursprünglichen Eigentümer) zuzurechnen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden.

Da die angefochtene Entscheidung mit den vorstehend entwickelten Rechtsgrundsätzen nicht in Einklang steht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Am 10. November 1947, dem die Entziehung beendigenden Zeitpunkt, hat der Erblasser gelebt; er ist daher für die steuerliche Beurteilung so zu behandeln, wie wenn ihm das Eigentum an dem entzogenen Grundstück von dem genannten Zeitpunkt ab zugestanden hätte. Infolgedessen besteht der Erbanfall im übergang des dem Eigentum an dem entzogenen Grundstück gleichzustellenden quasi-dinglichen Anspruchs auf Rückerstattung an die Bg., so daß entgegen der Annahme der angefochtenen Entscheidung Erbschaftsteuerpflicht gemäß § 8 Abs. 1 II des Erbschaftsteuergesetzes eingetreten ist. Der Auffassung der Bg., die ausdrückliche Erwähnung der Erbschaftsteuer in Art. 91 Abs. 2 amerik. REG habe überhaupt keinen Sinn, wenn Art. 91 Abs. 2 amerik. REG im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung käme, kann nicht beigetreten werden. Vielmehr hat Art. 91 Abs. 2 amerik. REG nach der vom Senat vertretenen Auslegung dieser Vorschrift im Sinne des Art. 77 Abs. 1 Satz 2 brit. REG die Bedeutung, daß die nachträgliche Erhebung von Erbschaftsteuer für Erbfälle auf Seiten des Rückerstattungsberechtigten in der Zeit vor dem 10. November 1947 ausgeschlossen ist. Nach alledem war die Berufung der Bg. gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 307 f. der Reichsabgabenordnung.

 

Fundstellen

Haufe-Index 407458

BStBl III 1952, 238

BFHE 1953, 618

BFHE 56, 618

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