Leitsatz (amtlich)

1. Die Gewährung der einkommensteuerlichen Saar-Präferenz für den Veranlagungszeitraum 1959/60 setzte voraus, daß bei zusammenveranlagten Ehegatten mindestens ein Ehegatte seinen ausschließlichen Wohnsitz vom Ablauf der Übergangszeit bis zum 30. Juni 1960 ununterbrochen im Saarland hatte.

2. Hat die Familie des Steuerpflichtigen ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und nur der Steuerpflichtige seinen "Hauptwohnsitz" ins Saargebiet verlegt, ohne damit eine Trennung von der Familie herbeizuführen, so ist der Hauptwohnsitz nicht zum ausschließlichen Wohnsitz geworden.

 

Normenkette

StAnpG § 13; StEinfG (Saarland) § 65 Abs. 1-2

 

Tatbestand

Der Kläger bezog als Geschäftsführer einer GmbH im Saarland im Veranlagungszeitraum 1959/60 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, mit denen er nach § 46 Abs. 1 EStG veranlagt wurde. In der Einkommensteuererklärung beantragte er eine Ermäßigung der Einkommensteuer um 15 v. H. nach § 65 des Gesetzes über die Einführung des deutschen Rechtes auf dem Gebiet der Steuern, Zölle und Finanzmonopole im Saarland (StEinfG) vom 30. Juni 1959 (BGBl I 1959, 339, BStBl I 1959, 277). Er begründete den Antrag damit, daß er als unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person vom Ablauf der Übergangszeit bis zum 30. Juni 1960 im Saarland ununterbrochen seinen ausschließlichen Wohnsitz gehabt habe. Das FA lehnte den Antrag ab.

Einspruch und Klage blieben erfolglos.

Das FG führte aus, daß der Wohnsitz des Klägers im Saarland nicht sein ausschließlicher Wohnsitz im Sinne des § 65 StEinfG gewesen sei. Der Begriff des ausschließlichen Wohnsitzes erfordere, daß der Kläger im maßgebenden Zeitraum außerhalb des Saarlandes keinen weiteren Wohnsitz unterhalten habe. Nach Auskunft des Einwohnermeldeamtes habe der Kläger bereits am 5. Juli 1956, von A im Bundesgebiet kommend, einen zweiten Wohnsitz im Saargebiet begründet, der dann am 4. Juli 1959 auf seinen Antrag in einen Hauptwohnsitz umgewandelt worden sei. Die Familie des Klägers habe jedoch die Wohnung in A beibehalten. Der Kläger sei am 21. Dezember 1961 in diese Wohnung wieder übergesiedelt. Er habe nach seinem eigenen Vorbringen durch die Begründung des Hauptwohnsitzes im Saarland eine dauernde Trennung von seiner Familie nicht vollziehen wollen, wenn er auch aus Gründen der Arbeitsbelastung seine Familie nur selten in A habe besuchen können. Das FG sei der Ansicht, daß der Kläger auch in der Zeit vom 4. Juli 1959 bis 21. Dezember 1961 im Saarland keinen ausschließlichen Wohnsitz gehabt habe Durch die Umwandlung des zweiten Wohnsitzes im Saarland in einen Hauptwohnsitz sei der Familienwohnsitz in A nicht beseitigt worden.

Mit der Revision macht der Kläger die Verletzung von Bundesrecht geltend. Das FG habe den Begriff "ausschließlicher Wohnsitz" zu eng ausgelegt. Das ergebe sich bei einem Vergleich mit der Entwicklung der Voraussetzungen des Berliner Steuerpräferenz-Gesetzes. Die Umwandlung des Zweitwohnsitzes in den Hauptwohnsitz habe den tatsächlichen Gegebenheiten entsprochen. Die Familie habe jedoch nicht übersiedeln können, da die Wohnung zu klein und eine angemessene Wohnung nicht zu finden gewesen sei. Außerdem verstoße § 65 StEinfG gegen Art. 6 Abs. 1 GG, wenn er so ausgelegt werden müsse, daß ein verheirateter und nicht dauernd getrennt lebender Steuerpflichtiger niemals in den Genuß der Saarpräferenz gelangen könne, sobald eine Familienwohnung außerhalb des Saarlandes bestanden habe.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Mit dem Ablauf der Übergangszeit nach Art. 3 des Saarvertrags vom 27. Oktober 1956 (BGBl II 1956, 1587) trat im Saarland das im übrigen Bundesgebiet geltende Steuerrecht in Kraft. Die Übergangszeit im Saarland endete am 5. Juli 1959 um 24 Uhr (BGBl I 1959, 401, BStBl I 1959, 274). Der erste Veranlagungszeitraum, für den das bundesdeutsche Steuerrecht anzuwenden war, erstreckte sich nach § 44 StEinfG vom Eingliederungstag bis zum 31. Dezember 1960 (Veranlagungszeitraum 1959/1960). Bei unbeschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen, die vom Ablauf der Übergangszeit bis zum 30. Juni 1960 ununterbrochen im Saarland ihren ausschließlichen Wohnsitz hatten, ermäßigte sich die veranlagte Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1959/60 um 15 v. H. (§ 65 Abs. 1 StEinfG). Wenn Ehegatten die Zusammenveranlagung nach den §§ 26, 26b EStG wählten, wurde ihnen die Steuerermäßigung auch dann gewährt, wenn nur bei einem der Ehegatten die Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 StEinfG vorlagen (§ 65 Abs. 2 StEinfG).

Die nur für zwei Veranlagungszeiträume geltenden Steuerpräferenzen sollten die Übergangsschwierigkeiten mildern, die die Eingliederung des Saarlandes in die Bundesrepublik für die Saarländischen Steuerpflichtigen mit sich brachte. Das Gesetz beschränkte deshalb die Gewährung der Steuervergünstigung auf die Steuerpflichtigen, die innerhalb des vom Gesetz bestimmten Zeitraums ihren ausschließlichen Wohnsitz ohne Unterbrechung im Saarland hatten. Das sogenannte Berliner Steuerpräferenz-Gesetz vom 4. Juli 1955 (BGBl I 1955, 384, BStBl I 1955, 245) hat dagegen die Aufgabe, für einen längeren Zeitraum der Abwanderung von Arbeitskräften und Betrieben aus Berlin entgegenzuwirken und neue Arbeitskräfte zur Aufnahme einer Tätigkeit in Berlin anzureizen. Das FG hat diese unterschiedliche Interessenlage zutreffend dargelegt. In beiden Regelungen wird jedoch der Begriff des ausschließlichen Wohnsitzes - von der zeitlichen Begrenzung abgesehen - ohne Unterschied verwendet (vgl. § 21 Abs. 1 Nr. 2 BHG). Die vom Kläger angesprochene Entwicklung des § 21 BHG hinsichtlich seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ist auf das Tatbestandsmerkmal des mehrfachen Wohnsitzes beschränkt, den § 65 StEinfG nicht in Betracht gezogen hat. Für die Behauptung, daß der Gesetzgeber nach Sinn und Zweck des Gesetzes auch den gewöhnlichen Aufenthalt für die Gewährung der Saarpräferenz als ausreichend angesehen hätte, ergeben sich aus den Diskussionen des Bundestags um das Gesetz keinerlei Anhaltspunkte. Die Steuergerichte sind an den Wortlaut des Gesetzes gebunden, es sei denn, daß die Wortfassung der Rechtsnorm den Inhalt des Gesetzes nur unvollkommen zum Ausdruck bringt. Das ist jedoch im Hinblick auf die entsprechende Regelung im Berliner Steuerpräferenz-Gesetz zu verneinen.

Demnach ist das FG mit Recht nach § 65 Abs. 2 StEinfG davon ausgegangen, daß bei zusammenveranlagten Ehegatten mindestens ein Ehegatte seinen ausschließlichen Wohnsitz vom 5. Juli 1959 bis zum 30. Juni 1960 ununterbrochen im Saarland gehabt haben muß. Das FG ist zu dem Ergebnis gekommen, daß der Kläger trotz der Ummeldung seines Hauptwohnsitzes einen mehrfachen Wohnsitz hatte. Diese Würdigung des Sachverhalts ist rechtlich bedenkenfrei.

Für den Wohnsitzbegriff des Steuerrechts (§ 13 StAnpG) kommt es auf die tatsächliche Gestaltung der Dinge an. Einem den tatsächlichen Gegebenheiten entgegenstehenden Willen des Steuerpflichtigen kommt keine Bedeutung zu (vgl. Entscheidung des BFH IV 29/64 U vom 4. Juni 1964, BFH 80, 169, BStBl III 1964, 535). Es ist dem Kläger zuzugeben, daß die Frage der Wohnsitzbegründung nur nach den Verhältnissen des Streitjahrs beurteilt werden darf. Die Entwicklung der Verhältnisse in den Folgejahren muß unberücksichtigt bleiben (BFH-Entscheidung I 38/65 vom 6. März 1968, BFH 92, 5, BStBl II 1968, 439).

Der Kläger und seine Familie hatten unstreitig seit dem Jahr 1951 ihren Wohnsitz im Bundesgebiet in A. Der Kläger selbst hatte außerdem, wie das FG festgestellt hat, seit dem Jahr 1956 einen weiteren Wohnsitz im Saarland inne. Wenngleich er diesen Zweitwohnsitz einen Tag vor Ablauf der Übergangszeit als seinen Hauptwohnsitz anmeldete, wollte er doch nach seinem eigenen Vorbringen durch die Ummeldung eine dauernde Trennung von seiner Familie nicht herbeiführen. Nach ständiger Rechtsprechung ist davon auszugehen, daß, wenn jemand eine Tätigkeit außerhalb des Ortes aufnimmt, der den Familienwohnsitz bildet, er im allgemeinen seinen Wohnsitz am bisherigen Wohnort beibehält, vorausgesetzt, daß seine Familie dort verbleibt (vgl. Entscheidung des BFH IV 58/64 vom 23. Juli 1964, HFR 1965, 55).

Bis zum 4. Juli 1959 hat der Kläger A als Ort seines vorwiegenden Aufenthalts betrachtet. Wenn er nach diesem Zeitpunkt sich vorwiegend im Saarland aufhielt, weil die Arbeitsbelastung einen häufigen Besuch der Familie nicht mehr gestattete, so änderte sich auf Grund der von ihm vorgenommenen Ummeldung nur die Zuständigkeit für seine Besteuerung. Für die Begründung des ausschließlichen Wohnsitzes im Saarland hätten weitere tatsächliche Umstände hinzukommen müssen, aus denen sich klar ergab, daß er die Wohnung in A nicht mehr mitbenutzte. Der Kläger hat die Wohnung im Saarland drei Jahre lang nur als seinen zweiten Wohnsitz angesehen und von den Behörden auch entsprechend behandeln lassen. Die durch die Eingliederung des Saarlandes verursachte vorübergehende erhöhte Arbeitsbelastung war kein überzeugender Grund, um die Wohnung in A nicht mehr mitzubenutzen und sie auch nicht mehr als eigenes Heim zu betrachten. Wenn er die Wohnung in A zeitweilig nicht benutzt oder wenn er sie sogar während des ganzen streitigen Veranlagungszeitraums nicht benutzt hätte, hätte er seinen Wohnsitz dort trotzdem nicht verloren. Nach seinem Vorbringen war zwar die Übersiedlung der Familie geplant, konnte jedoch nicht vollzogen werden, weil keine angemessene Wohnung zu finden war. Die Übersiedlung fand auch bis zum Ende des streitigen Veranlagungszeitraums nicht statt.

Die Fassung des § 65 StEinfG verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlich durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Grundsatz, daß Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Nach § 65 StEinfG erhielten alle Steuerpflichtigen die Steuervergünstigung, die ihren ausschließlichen Wohnsitz zur maßgebenden Zeit im Saarland hatten. Um eine Benachteiligung von zusammenveranlagten Eheleuten zu vermeiden, genügte es, wenn nur bei einem der Ehegatten diese Voraussetzung gegeben war. Damit war den Anforderungen des Art. 6 GG Rechnung getragen. Der BFH hat zu § 1 Abs. 1 des Berliner Steuerpräferenz-Gesetzes vom 4. Juli 1955 die gleiche Auffassung vertreten (BFH-Entscheidung IV 9/64 vom 14. Januar 1965, HFR 1965, 334).

 

Fundstellen

Haufe-Index 68206

BStBl II 1968, 803

BFHE 1968, 306

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