Leitsatz

Sind Beschlüsse aufgrund vereinbarter Öffnungsklausel nur anfechtbar oder sogar nichtig, wenn das insoweit vereinbarte Stimmenquorum hierfür nicht erreicht wurde (Revisionszulassung wegen grundsätzlicher, über den vorliegenden Einzelfall hinausgehender Bedeutung und bisher noch nicht höchstrichterlicher Klärung dieser Frage zur aktuellen Gesetzeslage)?

 

Normenkette

§§ 16 Abs. 3, 4, 46 WEG

 

Kommentar

  1. Zunächst hat das Landgericht (Berufungsgericht) im konkreten Beschluss­anfechtungsfall einige zwischenzeitlich geklärte Problemfragen neuerlich bestätigt und bekräftigt. So wurde in Leitsätzen festgehalten, dass die Beschlussanfechtungsfrist mit dem Tag der Beschlussfeststellung in der Wohnungseigentümerversammlung ohne Rücksicht darauf beginnt, ob ein Anfechtungskläger an der Versammlung teilgenommen oder in sonstiger Weise Kenntnis von dem Beschluss erlangt hat. Von einer wirksamen Beschlussanfechtung ist auch nur dann auszugehen, wenn sich dem gestellten Antrag unter Berücksichtigung aller erkennbaren Umstände sowie nach Maßgabe der allgemeinen Auslegungsgrundsätze entnehmen lässt, welche Beschlüsse im Einzelnen angefochten sein sollen; etwaige Zweifel gehen hierbei zulasten des Klägers. § 16 Abs. 3 WEG gibt für einen Beschluss, welcher auch die Änderung des Verteilungsschlüssels von Instandhaltungskosten umfasst, keine Beschlusskompetenz. § 16 Abs. 4 WEG ergibt keine Beschlusskompetenz für eine über den Einzelfall hinausreichende Änderung des Kostenverteilungsschlüssels. Vor Beschlussfassung über einen Wirtschaftsplan müssen die Einzelwirtschaftspläne übersandt werden; die bloße Gewährung einer Einsichtsmöglichkeit in der Versammlung genügt nicht. Da Beschlüsse gemäß § 10 Abs. 4 WEG auch Sonderrechtsnachfolger binden, sind sie stets nach den für Grundbucheintragungen geltenden Regeln objekt-normativ auszulegen.
  2. Werden Beschlüsse aufgrund einer vereinbarten Öffnungsklausel gefasst, sind sie lediglich anfechtbar (also nicht nichtig), wenn das mitvereinbarte Stimmenquorum nicht erreicht wurde und in der Gemeinschaftsordnung hierzu auch keine weitere Regelung getroffen wurde (wie bereits von der Kammer entschieden, veröffentlicht in ZWE 2011 S. 140; vgl. auch Spielbauer/Then, 2. Aufl., § 10 Rn. 17; Kümmel in Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten, 10. Aufl., § 10 Rn. 46; Palandt/Bassenge, 73. Aufl., § 10 Rn. 22a und BGH v. 10.6.2011, V ZR 2/10, NJW-RR 2011 S. 1165; vgl. auch LG München I v. 3.12.2007, ZMR 2008 S. 915 und LG Köln, ZMR 2010 S. 313. Anderer Ansicht bei vereinbarten Öffnungsklauseln Riecke/Schmid/Elzer, WEG, § 10 Rn. 284; Merle in Bärmann, WEG 12. Aufl., § 23 Rn. 19; Jennißen/Elzer, 3. Aufl., vor §§ 23 bis 25 Rn. 95 und Dötsch, IMR 2011, S. 65).

    Allein der Umstand, dass die vereinbarte Öffnungsklausel ein bestimmtes Mehrheitserfordernis aufstellt und damit ein gewisser Bestandsschutz der bestehenden Regelungen erreicht werden soll, führt nicht dazu, dass eine Öffnungsklausel stets dahin gehend auszulegen wäre, dass die Beschlusskompetenz als solche bereits an das Erreichen des Quorums geknüpft wäre.

    Hinsichtlich der Frage, ob Beschlüsse im Fall des nicht erreichten vereinbarten Quorums lediglich anfechtbar oder sogar von Anfang an nichtig sind, hat das Gericht Revision zugelassen.

Anmerkung

Die Begründung für diese Auffassung des LG München I in der Frage zugelassener Revision erscheint überzeugend. Unrichtige Ergebnisverkündungen eines Versammlungsleiters begründeten auch bisher im Regelfall nur eine Anfechtbarkeit wie auch im Fall anderer Formmängel im Zuge einer Beschlussfassung. Gleiches gilt auch für fehlerhafte Beschlussfeststellungen im Rahmen der neugesetzlichen Quorumsvoraussetzungen bei möglichen Beschlüssen nach § 16 Abs. 4 WEG oder auch § 22 Abs. 2 WEG. Es geht hier nicht um grundsätzliche Beschlusskompetenzfragen; eine Quorumsforderung ist Beschlussgültigkeits-, nicht Beschlussexistenzvoraussetzung! Nach einem Monat ohne erfolgte Anfechtung soll insoweit Rechtssicherheit im Eigentümerkreis entstehen und der Vertrauensschutz im Vordergrund stehen. Jedes andere Ergebnis würde bedeuten, dass noch nach Jahren Nichtigkeitsfeststellung eines solchen Beschlusses mit einem Quorumsformfehler in der Verkündung erfolgen könnte, was gerade dem Rechtssicherheits- und Vertrauensargument zuwiderliefe; zumindest missverständlich ist hier eine bisherige BGH-Entscheidung zu § 16 Abs. 4 WEG vom 1.4.2011 (ZWE 2011 S. 323).

Abgesehen von der Revisionsfrage stellen sich bei solchen Beschlüssen auch sehr schwierige, teils noch heftig umstrittene Fragen richtiger Verkündung von Abstimmungsergebnissen durch den Versammlungsleiter. Jeder geschäftsmäßig tätige WE-Verwalter muss natürlich die Kenntnis besitzen, ob in der von ihm verwalteten Gemeinschaft eine Öffnungsklausel in der Gemeinschaftsordnung vereinbart ist und ob bestimmte Beschlusswünsche nach Tagesordnung unter eine solche Öffnungsklausel mit üblicherweise bestimmten Mehrheitserfordernissen fallen. Vor Abstimmung sollten deshalb auf jeden Fall Eigentümer in d...

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