1 Leitsatz

Leidet eine Einladung zu einer Eigentümerversammlung an verschiedenen formalen Mängeln, die in der Gesamtschau dazu führen, dass den Eigentümern die Teilnahme an der Versammlung unzumutbar ist, sind dadurch die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer in gravierender Weise beeinträchtigt, sodass die gefassten Beschlüsse, ohne dass es auf eine Kausalität ankommt, für ungültig zu erklären sind.

2 Normenkette

§ 23 Abs. 2 WEG

3 Das Problem

Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer B lädt die Wohnungseigentümer mit Schreiben vom 8.10.2020 zu einer Versammlung ein. Die Versammlung soll an einem Wochentag, um 10.00 Uhr, im Büro des Verwalters stattfinden, welches sich ca. 20 km von Wohnungseigentumsanlage entfernt befindet. In der Einladung werden die Wohnungseigentümer wegen der Corona-Situation gebeten, nicht persönlich zu erscheinen und ein vorbereitetes Vollmachtsformular zu nutzen. Einem Wohnungseigentümer teilt der Verwalter unter dem 20.10.2020 außerdem mit, die Versammlung werde ein reines Abfragen von Abstimmverhalten sein. Die Versammlung findet statt.

Wohnungseigentümer K geht gegen die dort gefassten Beschlüsse vor. Das AG gibt der Klage statt. Mit ihrer Berufung wendet sich B gegen das Urteil.

4 Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Die Beschlüsse seien für ungültig zu erklären, weil durch die Einladung die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer in gravierender Weise beeinträchtigt worden seien, was unter Würdigung der Gesamtumstände das Teilnahmerecht der Wohnungseigentümer verletzt habe.

Die Wahl von Zeit und Ort seien grob ermessensfehlerhaft gewesen. Die Versammlungszeit müsse verkehrsüblich und zumutbar sein. Eine Einberufung zur "Unzeit" (z. B. Vormittag oder früher Nachmittag eines Arbeitstages) sei im Regelfall nicht zulässig. Auf die Arbeitstätigkeit der Wohnungseigentümer sei Rücksicht zu nehmen. Deshalb sollte der Beginn einer Versammlung regelmäßig werktags nicht vor 17:00 Uhr liegen. Ausnahmsweise könne bei vorhersehbar langer Versammlungsdauer das Abhalten der Versammlung werktags ab 15 Uhr ordnungsmäßig sein. So liege es aber nicht. Auch die Wahl des Versammlungsortes, gerade auch in Kombination mit der gewählten Uhrzeit, sei ermessensfehlerhaft. Damit allen Wohnungseigentümern die Teilnahme ermöglicht und nicht erschwert werde, müsse der Ort der Versammlung verkehrsüblich zu erreichen sein. Den Maßstab für die Erreichbarkeit setze grundsätzlich der selbst nutzende Eigentümer. Deshalb müsse die Versammlung in der Regel in der Gemeinde stattfinden, in der sich die Wohnungseigentumsanlage befinde, und zwar möglichst in deren Nähe. Nach den Umständen des Einzelfalls könne ein Ausweichen in eine Nachbargemeinde sinnvoll sein, wenn dort eine geeignete Versammlungsstätte zur Verfügung stehe. Allerdings muss die Örtlichkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln in zumutbarer Zeit erreichbar sein. Nach diesen Grundsätzen erweise sich auch die Wahl des Versammlungsortes, der 20 km von der Liegenschaft entfernt liege und für eine Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine Fahrt von 45 Minuten und einen zusätzlichen Fußweg von 21 Minuten erfordere, als ermessensfehlerhaft.

Damit liege eine gravierende Beeinträchtigung der Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer vor. Auf die Kausalität der Beeinträchtigungen für die Beschlussfassung komme nicht an: Es liege bei Würdigung der Gesamtumstände ein schwerwiegender Verstoß vor, der dazu geführt habe, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht der Wohnungseigentümer in gravierender Weise unterlaufen worden sei.

5 Hinweis

Problemüberblick

Im Fall geht es um die alltägliche Frage, wann und wohin zu laden ist. Daneben stellt sich die Frage, ob formale Ladungsmängel ohne Weiteres zur Ungültigkeit eines Beschlusses führen.

Versammlungsort

Welcher Versammlungsort (geografische Gemeinde) und welche Versammlungsstätte (Saal, Raum, etc.) vom Einzuladenden zu wählen sind, kann durch Vereinbarung oder durch Beschluss nach § 19 Abs. 1 WEG bestimmt werden. Fehlt es an einer Bestimmung zu Versammlungsort und Versammlungsstätte, unterfallen Auswahl und Festlegung dem Ermessen des Einberufenden. Versammlungsort und Versammlungsstätte müssen danach so beschaffen sein, dass eine ordnungsmäßige Durchführung gewährleistet ist. Nach h. M. ist grundsätzlich darauf zu achten, dass der Versammlungsort einen örtlichen Bezug zur Wohnungseigentumsanlage hat. Deshalb sollte die Versammlung in der Regel in der Gemeinde stattfinden, in der sich die Wohnungseigentumsanlage befindet, und zwar möglichst in deren Nähe.

Versammlungszeit

Welche Versammlungszeit zu wählen ist, bestimmen originär die Wohnungseigentümer. Treffen die Wohnungseigentümer keine Regelung, hat der Einberufende Ermessen. Bei der Terminierung ist zu beachten, dass die Teilnahmemöglichkeit der Wohnungseigentümer ein zentrales Recht ist, das durch eine "unzeitige" Terminbestimmung nicht verkürzt oder gar vereitelt werden darf. Abwägung und Entscheidung müssen sich jeweils an den Besonderheiten der Wohnungseigentumsanlage und den Belangen der Wohnungseige...

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