Rz. 111

Das belgische Recht kennt kein gesetzlich geregeltes Erbscheinsverfahren. Die Praxis hat zwei Arten von Bescheinigungen über die Erbfolge entwickelt, welche unterdessen durch das Gesetz vom 6.5.2009 in den Bestimmungen der Art. 1240bis ff. ZGB gesetzlich anerkannt wurden, nämlich:

die Erbfolgeurkunde (acte d‘hérédité), eine von einem Notar errichtete Urkunde;
die Erbfolgebescheinigung (certificat d’hérédité), eine von dem Notar ausgestellte Bescheinigung in Briefform.
 

Rz. 112

Die Erbfolgebescheinigung kann außerdem – sofern die gesetzliche Erbfolge anwendbar ist, der Verstorbene keinen Ehevertrag abgeschlossen hatte und/oder keine handlungsunfähigen Erben beteiligt sind – gemäß Art. 1240bis ZGB vom Amt für Rechtssicherheit bei der Generalverwaltung der Vermögensdokumentation am letzten Wohnsitz des Erblassers ausgestellt werden.

 

Rz. 113

Erbfolgeurkunde und Erbfolgebescheinigungen haben den gleichen Inhalt: Identität des Erblassers und Todesdatum und -ort, ggf. ehelicher Güterstand und letztwillige Verfügungen des Erblassers, Identität der Erben und Vermächtnisnehmer sowie etwaiger Pflichtteilserben (Name, Vornamen, Geburtsort und -datum, Adresse, eventuell Sterbedatum sowie Nationalregisternummer oder Nummer des Bis-Registers für nicht im Inland wohnhafte Personen). Der Notar muss im Vorfeld zur Erstellung der Erbfolgeurkunde oder der Erbfolgebescheinigung den tatsächlichen und rechtlichen Sachverhalt vollständig aufklären. In diesem Zusammenhang befragt er insbesondere die elektronisch geführte zentrale Testamentsdatei, das sog. Zentralregister für letztwillige Verfügungen (C.R.T.), deren Führung dem belgischen Notariatsverband (Fédération Royale du Notariat belge – Königlicher Verband des belgischen Notariats) übertragen ist.

Seit dem 1.7.2012 ist der Aussteller der Erbfolgeurkunde oder -bescheinigung zudem verpflichtet, auf der Ausfertigung der Urkunde oder der Bescheinigung zu bestätigen, dass weder der Verstorbene noch die in der Urkunde oder Bescheinigung erwähnten Erbberechtigten Steuer- oder Sozialversicherungsschulden besaßen bzw. dass diese Zahlungsrückstände beglichen wurden. Hierzu informiert der Aussteller die zuständigen Dienste auf elektronischem Wege über seine Beauftragung zur Erstellung der Urkunde oder der Bescheinigung, welche ihm innerhalb von zwölf Werktagen gegebenenfalls vorliegende Zahlungsrückstände der erwähnten Personen mitteilen.

 

Rz. 114

Sowohl die Erbfolgeurkunde als auch die Erbfolgebescheinigung haben für das bescheinigte Recht weder konstitutive noch deklarative Bedeutung. Sofern sie von einem Notar ausgestellt sind, werden ihnen jedoch in der Praxis eine große Zuverlässigkeit und die Vermutung der Richtigkeit zuerkannt; sie entfalten guten Glauben. Erbfolgebescheinigungen werden i.d.R. nur als Nachweis für die Erbeneigenschaft im Hinblick auf die Auflösung von Bank- und Sparguthaben (bis zu 50.000 EUR) und die Auszahlung von Versicherungssummen und Steuerrückzahlungen von geringfügiger Bedeutung verwendet. In allen gerichtlichen und wichtigen außergerichtlichen Angelegenheiten ist generell eine Erbfolgeurkunde erforderlich. Übertragungen von Todes wegen von unbeweglichen Gütern sind in diesem Zusammenhang nicht zwingend im belgischen Grundbuch, dem Hypothekenregister bei der Generalverwaltung der Vermögensdokumentation einzutragen. Eine solche Eintragung erfolgt allenfalls im Rahmen einer notariellen Vermächtnisaushändigungsurkunde zu Bekanntmachungszwecken.

 

Rz. 115

Hinterlässt der mit letztem Wohnsitz in Deutschland verstorbene Erblasser bewegliche Güter (z.B. Bankguthaben) in Belgien, wird eine beglaubigte Ausfertigung eines deutschen Erbscheins zur Legitimation der Erbansprüche in Bezug auf diese beweglichen Güter (etwa bei Banken) anerkannt.

 

Rz. 116

Hinterlässt der mit letztem Wohnsitz in Deutschland verstorbene Erblasser unbewegliche Güter in Belgien, kam bis zum 17.8.2015, d.h. bis zur Anwendung der EuErbVO, eine Anerkennung eines deutschen Erbscheins als Ausweis für die Erbansprüche in Bezug auf den belgischen Grundbesitz nicht in Frage, da aus der Sicht des belgischen IPRG nicht das deutsche, sondern das belgische Erbrecht für das in Belgien belegene Immobilienvermögen galt und belgische Gerichte gem. Art. 77 IPRG für in Belgien belegenen Grundbesitz zuständig waren. Der deutsche Erbschein diente in diesem Fall nur im Rahmen der Umschreibung des in Belgien belegenen Grundbesitzes zur Aufklärung und Prüfung des tatsächlichen Sachverhalts.

 

Rz. 117

Das europäische Nachlasszeugnis erhebt nicht den Anspruch an die Stelle der nationalen Erbnachweise zu treten, so dass diese weiterhin fortbestehen und in Bezug auf die Freigabe von Bank- und Sparguthaben in Belgien angesichts der oben angesprochenen Regelungen von Steuer- und Sozialversicherungsschulden fortbestehen werden, da ein Schuldner solcher Guthaben diese nur unter der Voraussetzung der Zahlung dieser Rückstände, die in einer Erbfolgeurkunde oder -bescheinigung bestätigt wird, freigeben darf. Wird ein europäis...

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