Leitsatz

Die Beitragsverpflichtung zur berufsständischen Anwaltsversorgung während einkommensloser Kindererziehungszeiten ist verfassungswidrig.

 

Sachverhalt

Das Rechtsanwaltsversorgungsgesetz Baden-Württemberg bestimmt die Errichtung eines berufsständischen Versorgungswerks der Rechtsanwälte in Baden-Württemberg. Die Leistungen des Versorgungswerks bestehen insbesondere in Alters- und Berufsunfähigkeitsrenten. Für Mitglieder der Rechtsanwaltskammer besteht eine Pflichtmitgliedschaft im Versorgungswerk. Der monatliche Pflichtbeitrag richtet sich nach der Satzung des Versorgungswerks. Danach führt das Fehlen von Einkommen lediglich zu einer verminderten Beitragshöhe. Eine Regelung, die eine Freistellung von der Beitragspflicht für den Fall ermöglicht, dass ein Mitglied wegen Kindererziehung über kein Einkommen verfügt, enthält die Satzung nicht. Das BVerfG hält dies für verfassungswidrig.

 

Entscheidung

Die Beitragsregelung in der Satzung des Versorgungswerks hat eine faktische Benachteiligung von Frauen gegenüber Männern zur Folge. Das ist mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art.3 GG nicht zu vereinbaren. Das Fehlen von Einkommen während der Kindererziehungszeiten führt lediglich dazu, dass nur der Mindestbeitrag zu leisten ist. Auch eine solche Verpflichtung bedeutet für eine junge Familie und erst recht für Alleinerziehende eine erhebliche finanzielle Belastung. Die Alternative, durch Verzicht auf eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aus dem Versorgungswerk auszuscheiden und sich hierdurch der Beitragspflicht zu entziehen, ist ebenfalls mit Nachteilen verbunden. Denn wird der Kindererziehende berufsunfähig, hat er – mangels Mitgliedschaft im Versorgungswerk – keinen Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente. Die Aufgabe des Anwaltsstatus kann sich auch auf die berufliche Entwicklung des Erziehenden nachteilig auswirken. Diese Nachteile treffen vor allem Frauen, die noch immer die Kindererziehung weitgehend übernehmen. Ihre faktische Benachteiligung ist nicht gerechtfertigt. Dies wird auch nicht dadurch kompensiert, dass den Betroffenen mit der gesetzlichen Rentenversicherung ein Versorgungssystem zur Verfügung steht, das Kindererziehungszeiten als Beitragszeiten anerkennt. Eine Benachteiligung in einem Bereich der Altersver-sorgung kann nicht durch benachteiligungsfreie Regelungen in einem anderen Bereich ausgeglichen werden.

 

Praxishinweis

Einige Versorgungswerke, etwa in Bayern, Berlin und Hamburg sowie im Saarland, ermöglichen während Kindererziehungszeiten bereits eine beitragsfreie Mitgliedschaft.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG-Beschluss vom 5.4.2005, 1 BvR 774/02

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