Entscheidungsstichwort (Thema)

Beseitigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Vorschriften über die Einhaltung von Abstandsflächen gemäß Art. 6 und 7 BayBO haben den Charakter eines Schutzgesetzes im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB. Wird das Schutzgesetz verletzt, kann die Beseitigung der Störung des deliktisch geschützten Rechtsgutes in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB verlangt werden. Die Verjährung dieses Anspruches richtet sich nach § 852 BGB.

2. Grundsätzlich werden durch eine bestandskräftige Baugenehmigung private Nachbar- und Abwehrrechte nicht berührt. Soweit sich aber der quasinegatorische Beseitigungsanspruch des Nachbarn auf eine dem öffentlichen Recht angehörige Bauvorschrift als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB stützt, bestimmt sich deren Anwendungsbereich ebenfalls nach öffentlichem Recht. Ist nach dessen Vorschriften eine Befreiung erteilt worden, fehlt es an einer entscheidenden Voraussetzung des Beseitigungsanspruchs.

3. Ein Berufungsurteil ist aufzuheben, wenn es tatbestandswidrige Feststellungen enthält und dadurch dem Revisionsgericht keine hinreichend sichere rechtliche Beurteilung des Parteivorbringens erlaubt.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, §§ 852, 1004 Abs. 1 S. 1; BayBO Art. 6-7; ZPO § 561

 

Verfahrensgang

OLG München (Aktenzeichen 8 U 6411/98)

LG Passau (Aktenzeichen 1 O 1005/96)

 

Tenor

I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 23. September 1999 aufgehoben.

II. Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Der Kläger hat auf seinem Grundstück 1988 einen Anbau zu seinem Wohnhaus errichtet. Die Beklagte hat 1995 eine Eigentumswohnung in dem auf dem Nachbargrundstück errichteten Neubau erworben, in dem Ladenflächen und in dessen Umgriff Kraftfahrzeugstellplätze eingerichtet wurden. Der Kläger hat gegen die Beklagte ein Teilurteil erwirkt, aufgrund dessen sie an der gemeinsamen Grundstücksgrenze befestigte Kraftfahrzeugstellplätze zu beseitigen und an deren Stelle einen Grünstreifen anzulegen und zu bepflanzen hat. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos.

Die Beklagte hat Widerklage erhoben. Sie behauptet, der Kläger habe auf seinem Grundstück das Gebäude so erweitert, daß die Abstandsflächen zum Teil sich auf das in ihrem Miteigentum stehende Grundstück erstrecken würden. Sie hat beantragt:

Auf die Widerklage wird der Kläger verurteilt, die auf seinem Grundstück FlNr. 155/3 am weitesten südöstlich zum Grundstück FlNr. 155/5 gelegene Außenwand in der Weise abzutragen, daß die verbleibende Wandhöhe, gemessen von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut, höchstens 5,50 m beträgt. Der Kläger wird zur Beseitigung des Giebels des Anwesens mit der Maßgabe verurteilt, daß bei einer verbleibenden Wandhöhe von 5,50 m an dem vorgenannten südöstlichen Eck der Giebel vollständig abzutragen ist;

hilfsweise:

Der Widerbeklagte wird verurteilt, diejenigen Baumaßnahmen zu ergreifen, die gewährleisten, daß sich die gemäß Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen auf seinem Grundstück befinden.

Der Kläger hat die Abweisung der Widerklage beantragt. Er wendet ein, er habe entsprechend der Baugenehmigung gebaut, die an der südöstlichen Ecke des Hauses einen Abstand zur Grundstücksgrenze von 2,75 m vorsehe. Die Rechtsvorgänger der Beklagten hätten dem Plan zugestimmt; gegenüber der gesetzlichen Abstandsfläche liege nur eine geringfügige Unterschreitung vor, die die Beklagte nicht beeinträchtige. Die Beklagte handle rechtsmißbräuchlich. Er habe bei der Abstandsflächenunterschreitung nicht vorsätzlich gehandelt. Soweit er vom Bauplan abgewichen sei, habe dies keine Auswirkung auf die Abstandsfläche gehabt.

Mit Schluß- und Endurteil vom 2.11.1998 hat das Landgericht den Kläger nach dem Hilfsantrag der Beklagten verurteilt. Die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht mit Urteil vom 23.9.1999 zurückgewiesen mit der Maßgabe, daß die Widerklage im Hauptantrag abgewiesen wird. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Beklagte hat die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt:

Die Verpflichtung des Klägers, das auf seinem Grundstück stehende Wohngebäude auf ein Maß zurückzuführen, das die Einhaltung der nach der Bayerischen Bauordnung erforderlichen Abstandsflächen zum Grundstück der Beklagten gewährleistet, ergebe sich aus der entsprechenden Anwendung der §§ 1004 Abs. 1 Satz 1, 823 Abs. 2 BGB und den Art. 6 und 7 der Bayerischen Bauordnung 1982, 1994 und 1998. Der Kläger habe die nach der Bayerischen Bauordnung vorgeschriebene Abstandsfläche – hier zwischen 3,62 m und 3,03 m – zu dem im Mit...

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