Entscheidungsstichwort (Thema)

Erbscheinserteilung. Erbscheinsverfahren

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Anfechtungserklärung bedarf keiner Form und kann wie jede Willenserklärung auch konkludent abgegeben werden.

2. Grundsätzlich hindert nur ein Tatsachenirrtum des Anfechtungsberechtigten die Kenntnis und damit den Fristbeginn.

3. Ein Rechtsirrtum des Anfechtungsberechtigten ist nämlich nur dann geeignet, den Fristbeginn zu hindern, wenn er zur Folge hat, dass der Anfechtungsberechtigte nicht Kenntnis von einer Tatsache erlangt, welche die Anfechtung begründet.

 

Normenkette

BGB §§ 2078, 2080-2082, 2255

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 16.01.1990; Aktenzeichen 4 T 1635/89)

AG Kempten (Beschluss vom 12.07.1989; Aktenzeichen VI 496/88)

 

Tenor

I. Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 3 und 4 gegen den Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 16. Januar 1990 werden zurückgewiesen, soweit darin der Beschluß des Amtsgerichts Kempten (Allgäu) – Zweigstelle Sonthofen – vom 12. Juli 1989 aufgehoben wird.

II. Auf die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 3 und 4 wird der Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 16. Januar 1990 aufgehoben, soweit darin das Amtsgericht Kempten (Allgäu) – Zweigstelle Sonthofen – angewiesen wird, dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein zu erteilen.

III. Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Kempten (Allgäu) – Zweigstelle Sonthofen – zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die Erblasserin ist 1978 im 65. Lebensjahr verstorben. Der Beteiligte zu 1 war ihr Ehemann. Der Beteiligte zu 2 ist der gemeinsame Sohn. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind die gemeinsamen Töchter. Zum Nachlaß gehören Miteigentumsanteile an einem Hausgrundstück und an einer Eigentumswohnung. Die Ehegatten haben zwei gemeinschaftliche Testamente errichtet. Das erste war von der Erblasserin mit der Hand geschrieben und vom Ehemann mitunterzeichnet. Das zweite Testament hat der Ehemann eigenhändig verfaßt und die Erblasserin mitunterzeichnet.

Das erste Testament vom 16.6.1964 lautet:

  1. Beim Tode eines Ehegatten ist der Überlebende Vorerbe.

    Die Kinder (3) erben erst nach dem Tode des überlebenden Ehegatten.

  2. Bei Wiederverheiratung oder eheähnlichem Verhältnis erfolgt Erbteilung.
  3. ….
  4. ….

Das zweite Testament vom 8.5.1977 lautet:

  1. Wir … setzen uns gegenseitig zu alleinigen Vorerben ein. – Dieser ist über das gesamte Vermögen unter Lebenden frei verfügungsberechtigt.
  2. Nacherben des erstverstorbenen Ehegatten in dessen Nachlaß sind auf den Tod des überlebenden Ehegatten die im Zeitpunkt des Todes dieses Ehegatten vorhandenen gemeinschaftlichen leiblichen Abkömmlinge, unter sich nach gesetzlicher Erbregel:

    1. … (Beteiligter zu 2)
    2. … (Beteiligte zu 3)
    3. … (Beteiligte zu 4).

    Ersatzerben sind deren leiblichen Abkömmlinge nach den Regeln der gesetzlichen Erbfolge in der ersten Erbordnung. Mangels solcher tritt Anwachsung zugunsten des anderen Kinderstammes ein.

  3. Im Falle einer etwaigen Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten tritt die Nacherbfolge bereits im Zeitpunkt seiner Eheschließung ein. Der überlebende Ehegatte erhält aber in diesem Falle ein Viertel des Nachlasses als freies Vermögen.
  4. ….
  5. ….
  6. ….

Dem Nachlaßgericht lag das erste Testament im Original, das zweite in einer Fotokopie vor. Der Beteiligte zu 1 erklärte, er könne das Original nicht vorlegen, da er es nicht auffinden könne; er habe es aber nach dem Tod der Erblasserin noch in Händen gehabt. Er beantragte im Jahr 1988 beim Nachlaßgericht einen Erbschein mit dem Inhalt, daß er auf Grund des zweiten Testaments befreiter Vorerbe geworden sei und die Beteiligten zu 2–4 zu gleichen Teilen Nacherben der Erblasserin seien.

Die Beteiligten zu 3 und 4 sind dem Antrag entgegengetreten. Sie haben vorgetragen, das zweite Testament habe vermutlich nicht dem Willen der Erblasserin entsprochen und sei von ihr vernichtet worden. Der Beteiligte zu 1 habe die Erblasserin mit der Drohung, sich von ihr zu trennen oder scheiden zu lassen, zur Unterzeichnung gezwungen. Die Erblasserin habe sich deshalb an die Beteiligte zu 3 gewandt, sie um Hilfe gebeten und ihr das erste Testament übergeben mit der Bitte, es aufzuheben und nicht dem Vater (Beteiligter zu 1) zu geben. Die Erblasserin habe ihrer anderen Tochter (Beteiligte zu 4) im Herbst 1977 gesagt, ihr Testament habe deren Schwester (Beteiligte zu 3). Dieses Vorbringen hat das Nachlaßgericht als Testamentsanfechtung angesehen, diese für wirksam erachtet und deshalb durch Beschluß vom 12.7.1989 den Erbscheinsantrag zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1 hat Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluß des Nachlaßgerichts aufzuheben und den beantragten Erbschein zu erteilen. Die Beteiligten zu 3 und 4 sind der Beschwerde entgegengetreten. Der Beteiligte zu 2 hat das Original des zweiten Testaments mit der Erklärung dem Landgericht vorgelegt, er habe es nunmehr zufällig gefunden. Das Landgericht hat mit Beschluß vom 16.1.1990 den Beschluß des Nachlaßgerichts aufgehoben und dieses angewiesen, nach Eröffnung des Orig...

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