Entscheidungsstichwort (Thema)

Verweisungsbeschluss wegen sachlicher Unzuständigkeit - offenkundig aktenwidrige Streitwerterfassung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verweisungsbeschluss wegen sachlicher Unzuständigkeit, der auf einer offenkundig aktenwidrigen Streitwerterfassung beruht, ist objektiv willkürlich und bindet daher nicht.

 

Normenkette

EGZPO § 9; GVG §§ 23, 71; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Tenor

Sachlich zuständig ist das Landgericht München I.

 

Gründe

I. Die Klägerin erwirkte gegen den Beklagten einen Mahnbescheid über eine Darlehensrückzahlungsforderung von 6.550,57 EUR sowie Schadensersatz aus Verletzung des Kreditvertrags in Höhe von 602,50 EUR zuzüglich Verfahrenskosten, Zinsen und als Nebenforderungen geltend gemachte Inkassokosten von 659,34 EUR. Nach Einlegung eines Teil-Widerspruchs, gerichtet gegen die Schadensersatzforderung von 602,50 EUR nebst hierauf entfallende Zinsen, gegen die Verfahrenskosten sowie Nebenforderungen in Höhe von 254,34 EUR, erging am 10. Juni 2020 ein Vollstreckungsbescheid im Umfang des unwidersprochen gebliebenen Teils der Forderungen. Gegen den Vollstreckungsbescheid legte der Beklagte am 10. Juli 2020 Einspruch beim Mahngericht ein.

Mit Schriftsatz vom 14. Juli 2020 beantragte die über den Einspruch nicht informierte Klägerin beim Mahngericht die Abgabe des Verfahrens an das im Mahnbescheid bezeichnete Landgericht München I. Im selben Schriftsatz stellte sie zum Landgericht München I den Antrag, das Verfahren an das Amtsgericht München zu verweisen, weil der nach Teil-Widerspruch noch streitige Verfahrensgegenstand in die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts falle. Zur Sache wurde beantragt, den Beklagten zur Zahlung von 254,34 EUR nebst Rechtshängigkeitszinsen zu verurteilen. Laut Begründung ist der Antrag auf den widersprochenen Teil der Nebenforderungen bezogen, ohne dass damit eine Klagerücknahme hinsichtlich der weiteren Positionen des Mahnbescheids verbunden sei, gegen die sich der Widerspruch richte. Die im Mahnbescheid als Schadensersatzforderung von 602,50 EUR und im Rahmen der Verfahrenskosten als Auslagen für die Inkassodienstleistung im Betrag von 25,00 EUR geltend gemachten Beträge würden im Kostenfestsetzungsverfahren als - erstattungsfähige - Kosten für die Vertretung im gerichtlichen Mahnverfahren nach Ziff. 3305, 3306 des Vergütungsverzeichnisses zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (VV RVG) geltend gemacht; sie seien als Gebühren des Mahnverfahrens nicht Gegenstand des Hauptsacheverfahrens. Die Darstellung im Mahnbescheid sei den Besonderheiten des Mahnverfahrens geschuldet.

Das Mahngericht gab mit Verfügung vom 21. Juli 2020 das Verfahren an das Landgericht München I ab und gab als Abgabegrund an, dass der Antragsgegner gegen den Mahnbescheid Teilwiderspruch erhoben und (Unterstreichung im Original) gegen den Vollstreckungsbescheid Einspruch eingelegt habe.

Mit Verfügung vom 28. Juli 2020 erteilte das Landgericht an die Parteien den Hinweis, dass für die Durchführung des Verfahrens über den laut Anspruchsbegründung noch streitigen Betrag von nur noch 254,34 EUR das Amtsgericht sachlich zuständig sei. Der Beklagte persönlich nahm dahingehend Stellung, er sei mit einer Verfahrensübernahme durch das Amtsgericht einverstanden. An seinem Teil-Widerspruch halte er fest.

Mit Beschluss vom 10. August 2020 hat sich das Landgericht München I für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen mit der Begründung, nach Teil-Widerspruch mache die Klägerin nur noch einen Betrag von 254,34 EUR geltend.

Das Amtsgericht München hat die Parteien mit Verfügung vom 14. August 2020 darauf hingewiesen, dass der Streitwert des Verfahrens wegen des vom Landgericht übersehenen Einspruchs gegen den Vollstreckungsbescheid über der gesetzlichen Schwelle liege, die zur Zuständigkeit des Landgerichts führe. Der Verweisungsbeschluss binde wegen Willkür nicht.

Die Klägerin hat daraufhin mitgeteilt, ihr sei der Einspruch bislang unbekannt gewesen. Die Verfahren wegen des Teil-Widerspruchs einerseits und des Einspruchs andererseits seien als getrennte Verfahren zu behandeln, da es an einem Verbindungsbeschluss fehle. Das Landgericht müsse über den Einspruch informiert und darauf hingewiesen werden, dass es zur Anspruchsbegründung aufzufordern habe. In die Zuständigkeit des Landgerichts falle sodann nur das Verfahren über den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid.

Das Amtsgericht München hat sich mit Beschluss vom 9. September 2020 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt. Das Landgericht habe übersehen, dass das Verfahren auch wegen des gegen den Vollstreckungsbescheid eingelegten Einspruchs abgegeben worden sei. Als Teil-Klagerücknahme sei die nur auf den Teil-Widerspruch abstellende Anspruchsbegründung nicht aufzufassen, weil die Klägerin keine Kenntnis vom Einspruch gehabt habe. Da der Verweisungsbeschluss von falschen Tatsachen ausgehe, entbehre er...

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