Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Bindung eines Verweisungsbeschlusses in einem Insolvenzantragsverfahren wegen Willkür

 

Leitsatz (amtlich)

Verweist das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk die vom Eröffnungsantrag betroffene Gesellschaft mit beschränkter Haftung ihren statutarischen, im Handelsregister auch eingetragenen Sitz hat, das Verfahren an das Gericht, in dessen Bezirk die im Handelsregister gleichfalls eingetragene Geschäftsadresse liegt, ohne die ihm obliegenden und sich aufdrängenden Ermittlungen zum Mittelpunkt einer Geschäftstätigkeit an der neuen Geschäftsadresse vorgenommen zu haben, so bindet die Verweisung wegen objektiver Willkür auch dann nicht, wenn das verweisende Gericht seine Entscheidung auf die grob fehlerhafte Rechtsauffassung gestützt hat, mit der Geschäftsadresse habe sich auch der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin geändert.

 

Normenkette

InsO § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 4; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 281 Abs. 2

 

Tenor

Örtlich zuständiges Gericht ist das Amtsgericht München (Abteilung für Insolvenzsachen).

 

Gründe

I. Mit Antrag vom 18. April 2019, eingegangen beim Amtsgericht München - Insolvenzgericht - am 23. April 2019, beantragte der Geschäftsführer der Schuldnerin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, für diese die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen wegen Zahlungsunfähigkeit. Im beigefügten Vermögensverzeichnis ist unter der Rubrik "Angaben zu Schuldnerdaten" eingetragen, dass keine Anschrift mehr vorhanden sei und sich der Sitz in M. befinde. In der Rubrik "Art des Vermögens, Geschäftsinventar und Arbeitsgeräte" ist zu jedem abgefragten Unterpunkt angegeben, dass solches nicht vorhanden sei. Schließlich ist unter dem Punkt 8. "Veräußerung von Vermögensgegenständen / Forderungen in der Vergangenheit" auf die Nachfrage zu unentgeltlichen Verfügungen innerhalb der letzten vier Jahre vor Antragstellung vermerkt, dass solche nicht erfolgt seien; vielmehr sei der Betrieb Mitte des Jahres 2013 eingestellt worden. Im Gläubigerverzeichnis ist (unter anderem) eine Forderung des Finanzamts P. in Höhe eines siebenstelligen Euro Betrages angegeben.

Die Schuldnerin ist mit Sitz in M. seit 31. August 2005 im Handelsregister B des Amtsgerichts München eingetragen. Als Geschäftsanschrift wurde am 19. April 2010 von Amts wegen eine Adresse in M. eingetragen. Änderungseintragungen wurden am 2. März 2012 hinsichtlich der Person des Geschäftsführers und am 13. März 2012 hinsichtlich der nach P. verlegten Geschäftsanschrift eingetragen.

Mit Verfügung vom 24. April 2019 wies das Insolvenzgericht München die Antragstellerin darauf hin, dass es aus seiner Sicht für die Durchführung des Verfahrens örtlich nicht zuständig sei. In erster Linie richte sich die Zuständigkeit nach dem allgemeinen Gerichtsstand der Schuldnerin. Befinde sich der Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit an einem anderen Ort, so sei dieser maßgeblich. Da die Geschäftsanschrift laut Handelsregistereintrag auf P. laute, sei das Amtsgericht Potsdam örtlich zuständig. Es bestehe Gelegenheit, Verweisungsantrag zu stellen.

Gemäß dem daraufhin gestellten Verweisungsantrag erklärte sich das Amtsgericht München - Insolvenzgericht - mit Beschluss vom 2. Mai 2019 für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Amtsgericht Potsdam mit der Begründung, dort befinde sich der allgemeine Gerichtsstand der Schuldnerin.

Das Amtsgericht Potsdam ordnete mit Beschluss vom 10. Mai 2019 die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zur Aufklärung des Sachverhalts an und vermerkte, dass an der örtlichen Zuständigkeit aufgrund der im Eröffnungsantrag gemachten Angaben Zweifel bestünden. Das am 2. Oktober 2019 erstellte Gutachten beruht maßgeblich auf Informationen, die der Sachverständige von dem in P. wohnhaften Geschäftsführer eingeholt und durch Einsicht in die Akten des gegen den Geschäftsführer geführten Strafverfahrens verifiziert hat. Danach hat die Schuldnerin ihren Geschäftsbetrieb zwar zuletzt von P. aus geführt, jedoch seit dem Frühsommer 2013 keine Geschäfte mehr getätigt. Der auf Umsatzsteuerbetrug ausgelegte Handel mit Edelmetallen habe damals abrupt geendet, nachdem die Staatsanwaltschaft in einer konzertierten Aktion Haftbefehle gegen alle Beteiligten vollstreckt und sämtliche Geschäftsunterlagen zu Beweiszwecken beschlagnahmt habe. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen worden sei.

Mit Beschluss vom 18. Oktober 2019 erklärte sich das Amtsgericht Potsdam für örtlich unzuständig. Die Schuldnerin habe weder ihren satzungsmäßigen noch ihren tatsächlichen Sitz im Zuständigkeitsbereich des Gerichts. Bereits nach den im Eröffnungsantrag gemachten Angaben bestünden keine Hinweise für eine wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin im Gerichtsbezirk.

Bezugnehmend auf diesen Beschluss hat das Amtsgericht Potsdam mit Verfügung vom 2. Dezember 2019 das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit vor...

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