Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem negativen Kompetenzstreit zweier Gerichte gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO kann ein am Kompetenzstreit nicht beteiligtes drittes Gericht auch dann als zuständig bestimmt werden, wenn es durch einen vorherigen bindenden Verweisungsbeschluss eines der im Streit befindlichen Gerichte zuständig geworden ist (im Anschluss an BGH NJW 1978, 1163 [1164]).

2. Zur Frage, wann ein Verweisungsbeschluss auf einem offensichtlichen Sachverhaltsirrtum beruht (Abgrenzung zu BayObLG v. 5.12.2002 – 1Z AR 164/02).

 

Normenkette

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 2 S. 4, § 319 Abs. 1

 

Verfahrensgang

AG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 16 AG Mainz 82 C 402/02)

AG München (Aktenzeichen 191 C 27287/02)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Frankfurt am Main.

 

Gründe

I. Die Firma X., Zweigniederlassung Mainz, schloss am 3.7.1992 mit den im Amtsgerichtsbezirk Rüdesheim am Rhein ansässigen Beklagten einen Wartungs- und Schutzvertrag für eine Brandmeldeanlage in einem von den Beklagten betriebenen Hotel. In den allgemeinen Bestimmungen zum Wartungsvertrag heißt es:

4.2 … X. kann die Rechte und Pflichten aus diesem Vertrag auf einen Dritten übertragen. Die Übertragung wird nicht wirksam, wenn der Kunde innerhalb vier Wochen nach Erhalt einer entsprechenden Mitteilung schriftlich widerspricht; hierauf wird X in der Mitteilung hinweisen.

4.3 Gerichtsstand ist, wenn der Kunde Vollkaufmann ist, der Sitz der X.-Zweigniederlassung.

Mit Kaufvertrag vom 30.9.1998 übertrug die Firma X. an die Klägerin sämtliche Rechte und Pflichten aus dem Wartungs- und Schutzvertrag auf die Klägerin mit Wirkung vom 1.10.1998. Die Klägerin verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Wartungsgebühren und Versicherungsprämien i.H.v. zuletzt 2.160 Euro nebst Zinsen und Nebenkosten.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten beim AG Hünfeld einen Mahnbescheid erwirkt, gegen den diese rechtzeitig Widerspruch eingelegt haben. Das AG Hünfeld hat das Verfahren an das im Mahnbescheidsantrag als für das Streitverfahren zuständig angegebene AG München abgegeben. Die Klägerin hat in ihrer Anspruchsbegründung die Verweisung des Rechtsstreits an das AG Frankfurt am Main unter Hinweis auf die Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag vom 3.7.1992 beantragt. Nach Anhörung der Beklagten hat das AG München sich mit Beschluss vom 26.9.2002 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das AG Frankfurt am Main verwiesen. Dieses hat die Akten dem AG München zurückgesandt mit der Bitte um Berichtigung des Verweisungsbeschlusses vom 26.9.2002 und dem Hinweis, die Parteien hätten als Gerichtsstand den Sitz der vertragschließenden Zweigniederlassung der Fa. X. in Mainz vereinbart, so dass das AG Mainz zuständig sei. Nach Anhörung der Parteien und unter Zustimmung der Klägerin hat das AG München am 18.11.2002 folgenden Beschluss gefasst:

Der Verweisungsbeschluss vom 26.9.2002 wird wegen offenbarer Unrichtigkeit gem. § 319 Abs. 1 ZPO dahin berichtigt, dass der Rechtsstreit anstatt ans AG Frankfurt am Main an das AG Mainz verwiesen wird.

Das AG Mainz hat mit Beschluss vom 10.12.2002 die Übernahme abgelehnt mit der Begründung, der Beschluss des AG München vom 18.11.2002 entbehre der rechtlichen Grundlage, weil der Verweisungsbeschluss vom 26.9.2002 nicht unrichtig, sondern auf ausdrücklichen Antrag der Klägerin ergangen sei. Das AG München hat mit Beschluss vom 9.1.2003 die Rückübernahme des Rechtsstreits abgelehnt und die Sache dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. 1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem zuerst befassten AG München in Bayern und dem AG Mainz in Rheinland-Pfalz berufen (§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO).

2. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Beide AG haben sich mit i.S.v. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftigen Beschlüssen vom 18.11.2002 und 10.12.2002 für unzuständig erklärt; diese sind den Parteien bekannt gemacht worden. Die Verfügung des AG Frankfurt am Main vom 25.10.2002, mit der die Akten an das AG München zur Berichtigung des Verweisungsbeschlusses vom 26.9.2002 zurückgegeben wurden, gewinnt für das Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO keine Bedeutung, weil es sich lediglich um eine gerichtsinterne Anregung gehandelt hat (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 24).

3. Als zuständiges Gericht ist das AG Frankfurt am Main zu bestimmen.

a) Voraussetzung für eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist regelmäßig, dass eines der beiden ihre Zuständigkeit bestreitenden AG wirklich zuständig ist (vgl. BGH NJW 1995, 543). Aus Gründen der Prozessökonomie hat die Rechtsprechung eine Gerichtsstandsbestimmung aber auch dann zugelassen, wenn ein drittes, am Kompetenzkonflikt nicht beteiligtes Gericht ausschließlich zuständig ist und der erforderliche Verweisungsantrag im Ausgangsverfahren gestellt ist (BGH NJW 1978, 1163). Zur Begründung hat d...

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