Leitsatz (amtlich)

1. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist regelmäßig vor der örtlichen Zuständigkeit und vor der Durchführung eines Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens zu prüfen.

2. Das am 26. April 2019 in Kraft getretene Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG) ist auf alle Verhaltensweisen ab seinem Inkrafttreten anwendbar ebenso wie auf Verletzungshandlungen, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begonnen haben, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht beendet waren.

3. Ein faktischer Zwang, möglichst frühzeitig Klage zu erheben, um etwaigen Gesetzesänderungen zuvorzukommen und einen (noch) vorhandenen gemeinsamen besonderen Gerichtsstand auszunutzen, lässt sich aus § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht ableiten.

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Entscheidung vom 08.06.2022; Aktenzeichen 1 HK O 914/19)

 

Tenor

Als (örtlich) zuständiges Gericht für die Anträge Ziffer IV und Ziffer V im Schriftsatz der hiesigen Antragstellerin und dortigen Klägerin vom 8. Juni 2022, LG Kempten (Allgäu), Az. 1 HK O 914/19, wird das Landgericht Kempten (Allgäu) bestimmt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin macht gegen die Antragsgegner im Verfahren vor dem Landgericht Kempten (Allgäu), Az. 1 HK O 914/19, Ansprüche auf Auskunft, Schadensersatz, Herausgabe, Unterlassung der Nutzung sowie Vernichtung von Fotos bzw. Unterlagen wegen Verletzung von Geschäftsgeheimnissen geltend.

Die Antragsgegner zu 2) und 3) sind ebenso wie F.-K. W. und O. G. (im Verfahren vor dem Landgericht ursprünglich Beklagte zu 4] und zu 5]) ehemalige Mitarbeiter der Antragstellerin. Die Antragsgegnerin zu 1) wurde 2015 vom Antragsgegner zu 2) nach dessen Ausscheiden bei der Antragstellerin gegründet. Der Antragsgegner zu 3) ist seit Mitte 2017 für die Antragsgegnerin zu 1) tätig, O. G. und F.-K. W. seit April 2018. Die Antragstellerin und die Antragsgegner zu 2) und zu 3) haben ihren (Wohn-) Sitz im Landgerichtsbezirk Kempten (Allgäu). Der Sitz der Antragsgegnerin zu 1) befindet im Bezirk des Landgerichts Ravensburg.

Nach Vortrag der Antragstellerin verschafften sich die Beklagten zu 4) und zu 5) nach Kündigung des Arbeitsverhältnisses bei ihr und vor dem endgültigen Ausscheiden im Frühjahr 2018 unbefugt Geschäftsgeheimnisse der Antragstellerin. Auf Veranlassung des Antragsgegners zu 3) hätten sie verbotswidrig Maschinen bzw. Maschinenteile und Maschinenpläne, die auf Eigenentwicklungen der Antragstellerin beruhten und ihr im Verhältnis zu Konkurrenten einen Wettbewerbsvorteil sicherten, fotografiert bzw. maßstabsgetreu abgezeichnet. Die Fotos bzw. Unterlagen hätten sie den Antragsgegnern zu 2) und zu 3) zur weiteren Verwendung zugeleitet. Die Antragsgegnerin zu 1) benutze diese Informationen für den Nachbau von Maschinen(teilen).

Die Antragstellerin beantragte mit Schriftsatz vom 25. März 2019 eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beim Bayerischen Obersten Landesgericht (Az. 1 AR 41/19). Zur Begründung führte sie aus, sie wolle Klage gegen die - hiesigen - Antragsgegner zu 1) bis 3) sowie gegen O. G. und F.-K. W. wegen des Verrats von Betriebsgeheimnissen erheben. Sie stütze ihre Ansprüche auf Auskunft, Rechnungslegung, Schadensersatz, Unterlassung, Herausgabe, Vernichtung und Beseitigung im Übrigen auf §§ 3, 3a, 8, 9 i. V. m. § 17 UWG, sowie auf alle wettbewerbsrechtlichen, deliktischen und dinglichen sowie sämtliche noch in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen obigen Sachverhalt vor. Das Bayerische Oberste Landesgericht lehnte mit Beschluss vom 15. Mai 2019 eine Zuständigkeitsbestimmung ab. Ein die Gerichtsstandsbestimmung ausschließender gemeinsamer Gerichtsstand gegen sämtliche Antragsgegner sei jedenfalls nach § 14 Abs. 2 Satz 1 UWG bei dem Gericht eröffnet, in dessen Bezirk der Lauterkeitsverstoß begangen worden sei. Das danach für die Klage örtlich zuständige Gericht habe die Ansprüche unter allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 31. Mai 2019, eingegangen am 5. Juni 2019, die unter dem Aktenzeichen 1 HK O 914/19 geführte Klage zum Landgericht Kempten (Allgäu) gegen die Antragsgegner zu 1) bis 3) sowie gegen F.-K. W. als Beklagten zu 4) und O. G. als Beklagten zu 5) erhoben. Die Antragstellerin hat in der Klageschrift beantragt:

  • I.

    Die Beklagten haben der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, von welchen Maschinenteilen sie Fotos und / oder Aufzeichnungen angefertigt haben oder anfertigen haben lassen und an wen sie diese Informationen weitergeleitet haben.

  • II.

    Die Beklagten zu 1) bis 3) haben der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, bei wem sie welche Maschinen(teile) unter Verwendung der unlauter beschafften Informationen beauftragt haben, wo sich diese Maschinen(teile) derzeit befinden und welche Gewinne sie daraus erwirtschaftet haben...

  • III.

    Die Beklagten haben der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, welche Kunden sie unter Verwendung der unlauter beschafften Informationen bereits angesprochen haben und welche Kunden der Beklagten zu...

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