Leitsatz (amtlich)

1. Für die Frage, ob der Tatbestand einer Testamentserrichtung durch mündliche Erklärung nach § 2232 Satz 1 BGB vorliegt, ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit von der Beweiskraft des Testaments als öffentliche Urkunde gemäß § 415 Abs. 1 ZPO auszugehen.

2. Zum Beweiswert notarieller Urkunden nach § 415 Abs. 1 ZPO.

3. Wird das Testament nach § 2232 Satz 1 BGB durch Verlesen eines bereits vorliegenden Urkundenentwurfs errichtet, so kann der Vorgang der mündlichen Erklärung des letzten Willens und der Genehmigung der Niederschrift zusammenfallen. Die Billigung des vorgelesenen Testamentsentwurfs muß dann aber den Erfordernissen sowohl der mündlichen Erklärung des letzten Willens wie der Genehmigung der Niederschrift genügen. Für die mündliche Erklärung des letzten Willens genügt es in diesem Falle, daß die Urkundsperson den Testamentsentwurf ./. vorliest und der Erblasser die Frage, ob das Verlesene seinem Willen entspricht, bejaht. Die Bejahung muß mündlich, sie kann etwa durch das Wort „ja” erfolgen. Auch ein schwer verständliches „ja” genügt, wenn es von den mitwirkenden Personen noch verstanden werden kann.

 

Normenkette

BGB § 2232 S. 1; ZPO § 415

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Beschluss vom 29.09.1998; Aktenzeichen 4 T 2406/97)

AG Laufen (Beschluss vom 16.06.1997; Aktenzeichen VI 427/96)

 

Tenor

I. Auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1 werden die Beschlüsse des Amtsgerichts Laufen vom 16. Juni 1997 und des Landgerichts Traunstein vom 29. September 1998 aufgehoben.

II. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und neuen Entscheidung an das Amtsgericht Laufen – Nachlaßgericht – zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I.

Die 1996 im Alter von 85 Jahren verstorbene Erblasserin war verwitwet. Sie hatte keine Abkömmlinge. Ihre nächsten Verwandten waren die Kinder ihrer Schwester, die vormalige Beteiligte zu 2 und der Beteiligte zu 3. Diese hatte sie mit einem notariellen Testament vom 25.7.1991 neben einem Patenkind zu ihren Erben eingesetzt. Eingangs dieses Testaments hatte der Notar zur Person der Erblasserin festgehalten:

„Frau … (die Erblasserin) kann infolge einer Gehirnoperation nicht mehr ganz deutlich sprechen. Die Finger ihrer rechten Hand sind noch gelähmt. Sie ist aber nach meiner Überzeugung testier- und geschäftsfähig. …”

Die Unterschrift der Erblasserin unter diesem Testament besteht aus einzelnen, sehr zittrig geschriebenen, teilweise kaum mehr lesbaren Buchstaben. Dieses Testament hatte die Erblasserin mit notariellem Testament vom 6.7.1993 wieder aufgehoben.

Die Beteiligte zu 2 ist 1998 verstorben; sie wurde beerbt durch die Beteiligten zu 4 und 5.

Am 20.5.1996 – die Erblasserin befand sich zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus – wurde ein weiteres notarielles Testament errichtet, das auszugsweise lautet wie folgt:

„Frau … (die Erblasserin) konnte nach Überzeugung des Notars ihren Namen nicht mehr schreiben. Sie wurde deshalb darauf hingewiesen, daß bei dem Vorlesen und der Genehmigung ein Zeuge oder ein zweiter Notar zugezogen werden muß. Als Zeuge wurde … (die Zeugin G.) zugezogen, die während der ganzen Beurkundsverhandlung zugegen war. …

Frau … (die Erblasserin) erklärte, ein Testament errichten zu wollen. Nach meiner Überzeugung war Frau … (die Erblasserin), obwohl ihr die vorgenannten Daten der Eltern (Geburtsname der Mutter, Vorname des Vaters) nicht geläufig waren, testier- und geschäftsfähig. Sie erklärte ihren letzten Willen mündlich zur Niederschrift wie folgt:

Ich setze hiermit … (die Beteiligte zu 1) als meine alleinige und ausschließliche Erbin ein. Frau … (die Beteiligte zu 1) ist mit mir nicht verwandt, betreut mich aber seit ca. 6 Jahren …”

Im Anschluß daran sind Vermächtnisse – Geldbeträge – zugunsten der ehemaligen Beteiligten zu 2 und des Beteiligten zu 3, des Patenkinds, das im Testament vom 25.7.1991 zur Miterbin eingesetzt worden war, einer Großnichte und zweier nicht verwandter Personen verfügt. Der beurkundende Notar fügte dem vorbereiteten maschinengeschriebenen Text handschriftlich hinzu:

„Attest des Herr Dr. med. … ist dieser Urkunde nachrichtlich beigefügt.

Vorgelesen vom Notar, von … (der Erblasserin) genehmigt und von … (der Zeugin G.) eigenhändig unterschrieben: …”

Das beigefügte Attest lautet:

„Frau … (die Erblasserin) ist in meiner ambulanten Betreuung. Bei der Patientin besteht eine Bewegungsstörung, die es der Patientin fast unmöglich macht zu unterschreiben. Sie ist jedoch testierfähig.”

Die Beteiligte zu 1 hat die Erbschaft angenommen und einen Erbschein beantragt, der sie als Alleinerbin ausweise. Die ehemalige Beteiligte zu 2 und der Beteiligte zu 3 haben das Testament vom 20.5.1996 „angefochten”, weil die Erblasserin nicht nur nicht schreiben, sondern auch nicht sprechen habe können. Außerdem sei sie testierunfähig gewesen.

Nach Vernehmung des Notars und der Schreibzeugin erließ das Nachlaßgericht mit Beschluß vom 16.6.1997 einen Vorbescheid, mit dem es ankündigte, einen Erbschein zugunsten der ehemaligen Beteiligten zu 2 und des Beteiligte zu 3...

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