Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch des Finanzamts auf Auskunftserteilung durch die Staatsanwaltschaft im Besteuerungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Entscheidung, ob Auskünfte nach § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO zu versagen oder zu erteilen sind, unterliegt unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung.

2. Für ein Finanzamt ergibt sich gegenüber der Staatsanwaltschaft ein Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 474 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StPO i.V.m. § 13 Abs. 1 Ziffer 1 EGGVG aus § 105 Abs. 1, § 111 Abs. 1 Satz 1, § 393 Abs. 3 AO.

3. Nach § 479 Abs. 4 Satz 2 StPO trägt die Verantwortung für die Zulässigkeit der Übermittlung personenbezogener Daten, namentlich deren Erforderlichkeit als Ausprägung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, nicht die übermittelnde Stelle, sondern der Empfänger, der die Notwendigkeit der Auskunftserteilung in seinem Ersuchen auch nicht näher darlegen muss.

4. Die übermittelnde Stelle prüft nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 1 StPO nur, ob das Übermittlungsersuchen abstrakt im Rahmen der Aufgaben des Empfängers liegt. Nach § 479 Abs. 4 Satz 3 Halbsatz 2 StPO erfolgt eine weitergehende Prüfung der Zulässigkeit der Übermittlung ausnahmsweise bei besonderem Anlass.

5. In diesem Rahmen sind der Staatsanwaltschaft Erwägungen dahingehend, die Auskunft sei nicht erforderlich, weil das Finanzamt sich die Informationen auch auf anderem Wege beschaffen kann, von Rechts wegen verwehrt.

6. Bei der Entscheidung, anstelle der beantragten Auskünfte (§ 474 Abs. 2 StPO) gemäß § 474 Abs. 3 StPO Akteneinsicht zu gewähren, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung; insoweit kann der Senat lediglich überprüfen, ob Willkür oder ein Ermessensnicht- oder -fehlgebrauch vorliegt. Dabei muss die Entscheidung die tatsächliche Ausübung des eingeräumten Ermessens erkennen lassen.

7. Auch bei Ermessensentscheidungen ist ein Nachschieben von Gründen möglich. Unzulässig ist es dann, wenn der Verwaltungsakt dadurch in seinem Wesen geändert würde. Letzteres ist der Fall, wenn die Verwaltungsbehörde eine zunächst irrig als gebundene Entscheidung getroffene Maßnahme nunmehr als Ermessensentscheidung aufrechterhalten will.

 

Leitsatz (redaktionell)

Das Finanzamt hat den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und kann sich dazu aller erforderlichen Beweismittel bedienen, insbesondere Auskünfte jeder Art von den Beteiligten und anderen Personen einholen oder sich Urkunden vorlegen lassen. In diesem Rahmen kann es auch die Staatsanwaltschaft um Amtshilfe ersuchen, wobei die Staatsanwaltschaft insoweit nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet ist und auch das Steuergeheimnis nicht entgegensteht. Die Finanzbehörde muss sich also nicht darauf verlassen, dass der Steuerpflichtige freiwillig relevante Dokumente vollständig herausgibt.

 

Normenkette

StPO §§ 406e, 474 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, Abs. 3, §§ 478, 479 Abs. 4 Sätze 1-3; EGGVG § 13 Abs. 1 Nr. 1, § 28; AO § 30 Abs. 4 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a), § 88 Abs. 1 S. 1, § 90 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 1, §§ 92-93, 97, 105 Abs. 1, § 111 Abs. 1 S. 1, § 393 Abs. 3

 

Tenor

  1. Auf den Antrag des Antragstellers vom 02.08.2021 wird die Verfügung der Staatsanwaltschaft Augsburg vom 24.06.2021, berichtigt mit Verfügung vom 23.07.2021, aufgehoben.
  2. Die Staatsanwaltschaft Augsburg wird verpflichtet, den Antrag des Finanzamtes Burgdorf vom 14.04.2021 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu verbescheiden.
  3. Der darüber hinausgehende Antrag des Antragstellers vom 02.08.2021, die Staatsanwaltschaft Augsburg zu verpflichten, es zu unterlassen, dem Finanzamt Burgdorf Akteneinsicht in die Ermittlungsakte samt Beweismittelordner zu gewähren, wird als unbegründet zurückgewiesen.
  4. Das Verfahren ist kostenfrei. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers sind aus der Staatskasse zu erstatten.
  5. Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
  6. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
 

Gründe

I.

Das Finanzamt Burgdorf hat mit Schreiben vom 14.04.2021, weitergeleitet mit Telefax der Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Augsburg-Stadt vom 23.04.2021 an die Staatsanwaltschaft Augsburg, betreffend das Strafverfahren 510 Js 117131/12 Staatsanwaltschaft Augsburg für die Durchführung des Besteuerungsverfahrens beantragt: "Sofern möglich, bitte ich um Übersendung der FN 20-22. Im Bericht wird auf S. 14 und 15 auf die Anpassungen//Gewinnermittlung nach UK GAAP hingewiesen. Gibt es dazu Unterlagen?"

Die Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 24.06.2021 dem Finanzamt Burgdorf auf Grundlage des § 474 Abs. 2 StPO Akteneinsicht in die Beweismittelordner XXI Bd. I und II (mit Verfügung vom 23.07.2021 berichtigt in Beweismittelordner XX Bd. I und II) in teilweise geschwärzter Form gewährt. Diese Unterlagen seien unter Berufung auf den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 02.10.2013 (Az.: 2 VAs 78/13) für die Steuerprüfung erforderlich; soweit in diesen Beweismittelordnern "Informationen zu anderen Strukturen" enthalten seien, würden diese aufgrund von § 30 AO geschwärzt.

Gegen diese ...

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