Leitsatz (amtlich)

Auch nach der Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 kann in echten Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 251 ZPO angeordnet werden. Das Gericht ist bei seiner Verfahrensgestaltung nicht auf die Möglichkeit beschränkt, durch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 21 FamFG eine dem Ruhen des Verfahrens vergleichbare Wirkung herbeizuführen.

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Aktenzeichen 1 HK O 6156/21)

 

Tenor

Das Ruhen des Verfahrens wird angeordnet.

 

Gründe

I. Der bei der Antragsgegnerin, einer Holdinggesellschaft, gebildete Gesamtbetriebsrat erwirkte in dem auf seinen Antrag vom 4. Oktober 2021 eingeleiteten Statusverfahren nach § 27 EGAktG, § 98 Abs. 1 AktG einen Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 30. Juni 2022, mit dem festgestellt wurde, dass bei der Antragsgegnerin ein Aufsichtsrat nach den Vorschriften des Drittelbeteiligungsgesetzes zu bilden ist.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit der Beschwerde gemäß § 58 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 99 Abs. 3 Satz 2 AktG, § 27 EGAktG, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Der Antragsteller hat am 26. Mai 2023 beantragt, das Verfahren ruhend zu stellen, die Antragsgegnerin hat diesem Antrag am 1. Juni 2023 zugestimmt.

II. In entsprechender Anwendung des § 251 Satz 1 ZPO wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

1. Die zivilprozessuale Vorschrift über das Ruhen des Verfahrens, § 251 Satz 1 ZPO, ist auf das hier vorliegende Verfahren entsprechend anwendbar.

a) In gerichtlichen Verfahren zur Klärung der Frage, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat in einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung zusammenzusetzen ist, ist gemäß § 99 Abs. 1 AktG, § 27 EGAktG das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden, soweit in § 99 Abs. 2 bis 5 AktG keine Sonderregelung vorgenommen ist (C. Arnold in Goette/Arnold, Handbuch Aufsichtsrat, 2021, § 7 Mitbestimmter Aufsichtsrat Rn. 556 ff.).

Eine gesetzliche Regelung über die Anordnung des Ruhens des Verfahrens besteht danach nicht. Es ist umstritten, ob jedenfalls in sogenannten Antragsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine solche Anordnung dennoch grundsätzlich möglich ist oder ob nur eine Aussetzung des Verfahrens nach § 21 FamFG in Betracht kommt, durch die eine dem Ruhen des Verfahrens nach § 251 ZPO vergleichbare Wirkung herbeigeführt werden kann.

Nach einer Auffassung kann in echten Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit das Ruhen des Verfahrens in entsprechender Anwendung des § 251 ZPO auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten angeordnet werden; auch nach der Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit durch Gesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586) sei zur Lückenfüllung ein Rückgriff auf diese Norm möglich (obiter dictum: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 6. März 2012, 3 W 26/12, NZG 2013, 150 [juris Rn. 7]; Sternal in Sternal (vormals Keidel), FamFG, 21. Aufl. 2023, § 21 Rn. 44; Ahn-Roth in Prütting/Helms, FamFG, 6. Aufl. 2023, § 21 Rn. 6; Borth in Musielak/Borth/Frank, FamFG, 7. Aufl. 2022, § 21 Rn. 9; Krätzschel in Krätzschel/Falkner/Döbereiner, Nachlassrecht, 12. Aufl. 2022, § 29 Rn. 31). Nach anderer Meinung kommt in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit allein die in § 21 FamFG geregelte Aussetzung des Verfahrens in Betracht, mit der eine dem Ruhen des Verfahrens ähnliche Wirkung erzielt werden könne. Liege ein Grund vor, das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, sei auf diese "Generalklausel", mit der das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) "auf jegliche Möglichkeiten eines Stillstandes der Rechtspflege" reagiere, zurückzugreifen (Burschel/Perleberg-Kölbel in BeckOK FamFG, 46. Ed. Stand 1. Januar 2023, § 21 Rn. 8; Bartels in Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, 4. Aufl. 2021, § 21 Rn. 19.2; T. Fröschle in Jox/Fröschle, Praxiskommentar Betreuungs- und Unterbringungsverfahren, 4. Aufl. 2020, § 21 FamFG Rn. 1; Pabst in Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2018, § 21 Rn. 5).

Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an.

Kontradiktorische Verfahren, in denen die Verfahrensordnung des FamFG anzuwenden ist, sind dadurch gekennzeichnet, dass die Beteiligten über den Verfahrensgegenstand disponieren können. Voraussetzung für ein Tätigwerden des Gerichts ist der Antrag eines Antragsberechtigten. Typischerweise stehen sich in diesen Antragsverfahren (mindestens) zwei Beteiligte mit entgegengesetzten Interessen gegenüber und das Gericht entscheidet verbindlich den zwischen ihnen bestehenden Streit über das Bestehen oder Nichtbestehen behaupteter subjektiver Rechte (vgl. Weber in BeckOK FamFG, 46. Ed. Stand 2. April 2023, § 83 Rn. 10). In der Konsequenz sind den Beteiligt...

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