Leitsatz (amtlich)

1. Wiedereinsetzung ist zu bewilligen, wenn die Versäumung der Frist ihre Ursache darin hat, dass die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich unrichtig ist und zugunsten der anwaltlich vertretenen Partei einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat.

2. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen einen Justizverwaltungsakt ist innerhalb eines Monats bei dem für Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG zuständigen Gericht (in Bayern seit dem 1. Februar 2019 dem Bayerischen Obersten Landesgericht) zu stellen; er kann in schriftlicher Form gestellt werden oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle dieses Gerichts oder eines Amtsgerichts. Der schriftliche Antrag an ein Amtsgericht wirkt auch dann nicht fristwahrend, wenn ein Amtsgericht als Justizverwaltungsbehörde die angefochtene Justizverwaltungsmaßnahme getroffen hat.

3. Die das formelle Hinterlegungsrecht regelnden Bestimmungen des Bayerischen Hinterlegungsgesetzes stehen nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten oder der materiell am hinterlegten Betrag Berechtigten.

 

Verfahrensgang

AG München (Aktenzeichen 38 HL 32/14)

 

Tenor

I. Den Antragstellerinnen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Antragsfrist gewährt.

II. Der Antrag der Antragstellerinnen auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet zurückgewiesen.

III. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

IV. Der Geschäftswert wird auf 102.211,40 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Über einen für sie auftretenden Rechtsanwalt begehrten drei von fünf möglichen Empfängern die Auszahlung eines nicht unter ihnen aufgeschlüsselten Gesamtbetrags aus der hinterlegten Geldsumme auf das Konto des Rechtsanwalts. Mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wenden sich die im Rubrum bezeichneten drei Antragstellerinnen gegen die Ablehnung des Herausgabeverlangens.

Auf Antrag der Drittschuldnerin, einer Sparkasse, vom 9. Januar 2014 hatte das Amtsgericht München - Abteilung für Hinterlegungssachen - am 10. Februar 2014 die Hinterlegung einer Geldsumme von 203.173,90 EUR angeordnet. Als Hinterlegungsgrund ist § 853 ZPO - mehrfache Pfändung einer Geldforderung - genannt. Die Drittschuldnerin hatte für eine Aktiengesellschaft ein Girokonto geführt. Sämtliche bestehenden und künftigen Forderungen der Kontoinhaberin aus dieser Geschäftsverbindung waren zugunsten mehrerer Gläubiger gepfändet worden, nämlich zugunsten des Freistaats Bayern mit der Drittschuldnerin am 31. Januar 2013 zugestelltem Pfändungsbeschluss der Staatsanwaltschaft München II vom selben Tag bis zur Höhe von 490.000,00 EUR (ergangen in Vollziehung eines in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahrenen angeordneten dinglichen Arrests), zugunsten der darin jeweils bezeichneten Gläubigerinnen (den möglichen Empfängerinnen zu 1] bis 3] im Hinterlegungsverfahren) mit der Drittschuldnerin am 6. März 2013 zugestellten Pfändungsbeschlüssen des Landgerichts München I vom 14. und 15. Februar 2013 bis zur Höhe von 189.300,00 EUR, 157.450,00 EUR und 142.515,00 EUR sowie zugunsten eines weiteren Gläubigers, des möglichen Empfängers zu 4) im Hinterlegungsverfahren, mit Pfändungsbeschluss des Amtsgerichts Weilheim i. OB vom 9. April 2013, der Drittschuldnerin zugestellt am 12. April 2013, bis zur Höhe von 190.000,00 EUR.

Die Einzahlung wurde geleistet. Im Hinterlegungsverfahren werden antragsgemäß alle fünf Pfändungsgläubiger als mögliche Empfänger und Verfahrensbeteiligte geführt.

Der zuletzt genannte Pfändungsgläubiger - möglicher Empfänger zu 4) - erhob beim Landgericht München I Klage gegen die übrigen Pfändungsgläubiger sowie gegen die Schuldnerin "wegen Feststellung der Verteilung". Aus dem Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 14. Mai 2020 geht hervor, dass der Kläger gegen einen vorläufigen Verteilungsplan des Amtsgerichts München Widerspruch eingelegt hatte. Die Kammer teilte in der mündlichen Verhandlung ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage mit. Danach nehme der Freistaat Bayern - Beteiligter zu 5) im Hinterlegungsverfahren - als Folge der Zulassungsentscheidung nach § 111g StPO a. F. angesichts der fehlenden Deckung aller zugelassenen Ansprüche an einer Erlösverteilung nicht mehr teil, auch nicht mehr im Wege eines Auffangrechtserwerbs. Im Prozessrechtsverhältnis zwischen dem Kläger und den Beklagten zu 1), 3) und 4), den möglichen Empfängerinnen zu 1) bis 3) im Hinterlegungsverfahren, wurde sodann ein Vergleich geschlossen.

Der Vergleich hat folgenden Wortlaut:

I. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 sind damit einverstanden, dass der Kläger einen Betrag von 100.000,00 EUR erhält, aus dem Gesamtbetrag, der beim AG München, Hinterlegungsstelle, zum Aktenzeichen (...) hinterlegt ist. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 beantragen eine Auszahlung in der genannten Höhe an den Kläger.

II. Der Kläger und die Beklagten zu 1, 3 und 4 sind sich darüber einig, dass der restliche hinterlegte Betrag zu oben genanntem Aktenzeichen an den Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1, 3 und 4 zu treuen Händen und w...

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