Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Testaments

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Aufhebung eines Erbvertrages durch nachfolgendes Ehegattentestament, das dem Erbvertrag zwar nicht in allen Punkten sachlich widerspricht, aber als umfassende und abschließende Regelung auszulegen ist.

2. Zur Auslegung der in einem Ehegattentestament enthaltenen Klausel, daß der Überlebende „über das gesamte Vermögen frei verfügen” kann, wenn die Ehegatten in einem vorausgegangenen Erbvertrag bestimmt hatten, daß der Überlebende „diese Verfügung abändern und über den Nachlaß frei verfügen” kann.

 

Normenkette

BGB §§ 2258, 2270-2271

 

Verfahrensgang

LG Kempten (Beschluss vom 09.07.2001; Aktenzeichen 4 T 1425/00)

AG Kaufbeuren (Beschluss vom 24.05.2000; Aktenzeichen VI 117/00)

 

Tenor

I. Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 4 wird der Beschluß des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 9. Juli 2001 aufgehoben.

II. Die Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Amtsgerichts Kaufbeuren – Zweigstelle Füssen – vom 24. Mai 2000 wird zurückgewiesen. Das Amtsgericht Kaufbeuren – Zweigstelle Füssen – wird angewiesen, den Erbschein vom 20. Juli 2001 einzuziehen.

III. Der Beteiligte zu 1 hat die den Beteiligten zu 2 bis 4 im landgerichtlichen Beschwerdeverfahren entstandenen Kosten zu erstatten.

IV. Der Geschäftswert des landgerichtlichen Beschwerdeverfahrens wird auf 149.000 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der im Jahr 2000 im Alter von 93 Jahren verstorbene Erblasser war in zweiter Ehe verheiratet, die zweite Ehefrau ist 1985 vorverstorben. Diese Ehe des Erblassers blieb kinderlos; aus der ersten Ehe des Erblassers ging ein Sohn hervor, der 1995 verstorben ist. Die Beteiligte zu 3 ist dessen Tochter. Die Beteiligten zu 2 und 4 sind Nichten der zweiten Ehefrau. Der Beteiligte zu 1 ist der Neffe des Erblassers.

Am 19.1.1962 haben der Erblasser und seine zweite Ehefrau einen notariellen Erbvertrag geschlossen, der folgende Regelungen enthält:

„Für den Fall unseres Todes setzen wir uns hiermit erbvertragmäßig gegenseitig zu Alleinerben ein. Der Sohn des Ehemanns soll lediglich den Pflichtteil erhalten. Für den Fall, daß wir beide zusammen versterben, soll die Schwester der Ehefrau unsere Erbin sein. Ersatzerbin soll deren Tochter sein. Der Überlebende von uns soll berechtigt sein, diese Verfügung abzuändern und über den Nachlaß frei zu verfügen.”

Am 5.10.1981 hat der Erblasser handschriftlich ein Testament errichtet, das von ihm selbst und seiner Frau unterschrieben wurde. Es hat im wesentlichen folgenden Inhalt:

„Testament und Erbvertrag

  1. Für den Fall unseres Todes setzen wir uns gegenseitig zu Alleinerben ein, bestimmen hiermit: Der Überlebende kann über das gesamte Vermögen frei verfügen.
  2. Nach dem Tode des Letztlebenden erhält von uns, das dann noch vorhandene Vermögen, zu gleichen Teilen: … (Sohn des Erblassers), … (Beteiligte zu 4) und … (Beteiligte zu 2).
  3. (Testamentsvollstreckung)
  4. (Vermächtnisse)”

Am 2.1.1990 errichtete der Erblasser ein handschriftliches Testament, in welchem er seinen Sohn als Alleinerben einsetzte.

Am 5.1.1995 errichtete der Erblasser ein weiteres handschriftliches Testament, in welchem er seinen Neffen, den Beteiligten zu 1, zum Alleinerben einsetzte.

Am 15.2.1996 errichtete der Erblasser ein notarielles Testament, in welchem er alle früheren etwaigen Verfügungen von Todes wegen widerrief und den Beteiligten zu 1 als seinen Alleinerben einsetzte.

Der Beteiligte zu 1 hat am 15.5.2000 beim Amtsgericht einen Erbschein beantragt, der ihn aufgrund des notariellen Testaments vom 15.2.1996 als Alleinerben ausweisen sollte. Das Nachlaßgericht hat den Antrag am 24.5.2000 mit der Begründung zurückgewiesen, daß das gemeinschaftliche Testament von 1981 maßgeblich sei, weshalb alle nachfolgenden Testamente des Erblassers unwirksam seien. Der Passus „der Überlebende kann über das Vermögen frei verfügen” habe nur die Bedeutung einer Klarstellung der freien Verfügungsmöglichkeit zu Lebzeiten und bedeute nicht die Aufhebung jeder Bindungswirkung hinsichtlich der Erbeinsetzung.

Auf die Beschwerde des Beteiligten zu 1 hat das Landgericht durch Beschluß vom 9.7.2001 den Beschluß des Amtsgerichts aufgehoben und dieses angewiesen, den vom Beteiligten zu 1 beantragten Erbschein zu erteilen. Dem ist das Nachlaßgericht am 20.7.2001 nachgekommen.

Gegen den Beschluß des Landgerichts haben die Beteiligten zu 2 und 4 jeweils weitere Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, daß der Beschluß des Landgerichts aufgehoben und der Erbschein vom 20.7.2001, der den Beteiligten zu 1 als Alleinerben ausweist, eingezogen wird.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die weiteren Beschwerden der Beteiligten zu 2 und 4 sind zulässig und begründet. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückweisung der gegen den amtsgerichtlichen Beschluß gerichteten Beschwerde des Beteiligten zu 1.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, daß der Erblasser die letztwillige Verfügung bezüglich der Schlußerbeneinsetzung im gemeinschaftlichen Testament von 1981 durch das notarielle Test...

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