Leitsatz (amtlich)

1. Die Bitte der Vergabestelle um Verlängerung der Zuschlagsfrist enthält nicht zugleich die konkludente Erklärung, über eine damit verbundene Neubestimmung der Bauausführungsfrist nachverhandeln zu wollen.

2. Wird die Zuschlagsfrist verlängert, ohne dass sich die Beteiligten zu einer etwaigen Neubestimmung damit kollidierender Ausführungsfristen erklärt haben, so wird im Falle des Zuschlags das ursprüngliche Angebot mit den darin enthaltenen Ausführungsfristen Vertragsinhalt. Über die Neubestimmung der Leistungszeit und die etwaige Anpassung des Vertrags i.Ü. kann nach den Regeln der VOB/B auf der kalkulatorischen Grundlage des Ausgangsangebots eine Vereinbarung herbeigeführt werden.

3. Zur Frage einer Aufhebung der Ausschreibung im Fall einer Neubestimmung der Bauausführungsfrist, die durch Verlängerung der Zuschlagsfrist erforderlich wird.

 

Normenkette

BGB § 271; GWB § 97 Abs. 1, 2, 7; VOB/A § 9 Nr. 1, § 16 Nr. 1, § 19 Nrn. 1–3, § 24 Nr. 3, § 26 Nr. 1 Buchst. b, c

 

Verfahrensgang

Vergabekammer Südbayern (Aktenzeichen 120.3-3194.1-15-04/02)

 

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 28.5.2002 aufgehoben.

II. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird abgewiesen.

III. Der Antrag der Antragsgegnerin, über den Zuschlag vorab zu entscheiden, ist erledigt.

IV. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschl. der Kosten des Verfahrens nach § 121 GWB zu tragen.

IV. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 485.055 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin betreibt den sechsstreifigen Ausbau der Bundesautobahn … . In diesem Rahmen schrieb die Autobahndirektion als Vergabestelle die Baumaßnahme im Abschnitt von der Anschlussstelle … bis … einschl. des Neubaus von drei Unterführungsbauwerken mit den Leistungen Straßen- und Brückenbauarbeiten im Offenen Verfahren europaweit aus. Gemäß der Ausschreibung vom 30.10.2001 war als Datum der Angebotseröffnung der 6.12.2001 und als Termin, bis zu dem der Bieter an sein Angebot gebunden ist, der 2.4.2002 angegeben. Die Ausführungsfrist war mit neun Monaten (256 Kalendertagen), deren Beginn nach den Besonderen Vertragsbedingungen (Formblatt EVM BVB) mit 8.4.2002 und deren Ende mit 20.12.2002 festgelegt. Bis zum Eröffnungstermin wurden elf Angebote eingereicht, darunter die der Antragstellerin und der Beigeladenen. Gemäß dem Angebotsschreiben (EVM Ang) soll u.a. die VOB/B Vertragsbestandteil werden. Nach Wertung von Angeboten und Nebenangeboten sowie unter Berücksichtigung von Nachlässen lag die Beigeladene mit einer Angebotssumme von 9.705.118,50 Euro an erster, die Antragstellerin mit einer Angebotssumme von 9.899.088,70 Euro an zweiter Stelle. Weil die notwendige Zustimmung zur Vergabe durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) noch ausstand, bat die Vergabestelle am 15.3.2002 die drei Mindestbieter, die Zuschlagsfrist bis 1.6.2002 zu verlängern. Dem stimmte neben einem dritten Bieter die Beigeladene vorbehaltlos, die Antragstellerin dagegen unter dem 2.4.2002 nur zu, „wenn ein 2%iger Abschlag auf die Angebotssumme in der Wertung berücksichtigt wird, da aufgrund der Bauzeitverschiebung Schüttgüter günstiger erstanden werden können”.

Auf die Mitteilung der Vergabestelle vom 16.4.2002 an die Antragstellerin, dass auf deren Angebot der Zuschlag nicht erteilt werden könne, rügte diese mit Schreiben vom 18.4.2002, dass ihr Nachlass von 2 % im Rahmen der Verlängerung von Zuschlags- und Bindefrist zu Unrecht nicht gewertet worden sei. Darüber hinaus habe die Vergabestelle auch zwei Nebenangebote (NA 10: Pauschalierung der Wasserhaltung; NA 11: Verfestigung der Frostschutzschicht) fehlerhaft nicht oder nur teilweise berücksichtigt.

Am 25.4.2002 hat die Antragstellerin bei der Vergabekammer die Nachprüfung des Vergabeverfahrens mit dem Ziel beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Nebenangebote einschl. des Abschlagsangebots vom 2.4.2002 bei der Wertung zu berücksichtigen und ihr den Zuschlag zu erteilen, hilfsweise die Ausschreibung aufzuheben. Sie hat ihren Antrag wiederum mit der unterbliebenen Wertung des Abschlags vom 2.4.2002 und der beiden Nebenangebote begründet. Dazu hat sie insb. die Auffassung vertreten, dass die Bitte der Vergabestelle, der Verlängerung der Zuschlagsfrist zuzustimmen, gleichzeitig die Aufforderung beinhaltet habe, die Bauleistung zu einem späteren, nicht genannten und für den Bieter nicht erkennbaren Baubeginn, aber zum gleichbleibenden Fertigstellungstermin zu dem gleichen Preis anzubieten. Es handle sich bei ihrer Bietererklärung um ein notwendiges neues Angebot, da der ursprüngliche Inhalt sich auf den Baubeginn im April 2002 bezogen habe und dieser Inhalt mit Verlängerung der Zuschlags- und Bindefrist bis Juni 2002 eine anfängliche objektive Unmöglichkeit darstelle. Für ihre Meinung sprächen i.Ü. die Regelungen im Handbuch für die Vergabe und Ausführung vo...

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