Leitsatz (amtlich)

Für das Insolvenzverfahren ist örtlich ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk der Mittelpunkt der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners liegt, sofern keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Schuldnerin wirtschaftlich nicht mehr aktiv ist.

 

Normenkette

InsO § 3 Abs. 1 S. 2

 

Verfahrensgang

AG Ludwigsburg (Aktenzeichen 1 IN 491/02)

AG Würzburg (Aktenzeichen IN 301/02)

 

Tenor

Als örtlich zuständiges Insolvenzgericht wird das AG W. bestimmt.

 

Gründe

I. Die Schuldnerin ist eine im Handelsregister des AG L. eingetretene GmbH mit dem Sitz in L.. Für ihre Geschäftstätigkeit unterhält sie ein Geschäftslokal in W.. Über eine wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin im Bezirk des AG L. liegen keine Erkenntnisse vor.

Mit einem an das AG W. gerichteten Schreiben vom 16.9.2002 beantragte die Gläubigerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Der Insolvenzantrag wurde der Schuldnerin in ihrem Geschäftslokal in W. zugestellt.

Das AG W. wies die Gläubigerin darauf hin, dass es im Hinblick auf den allgemeinen Gerichtsstand der Schuldnerin in L. gem. § 3 Abs. 1 InsO nicht zuständig und zuständiges Insolvenzgericht das AG L. sei. Die Gläubigerin beantragte daraufhin die Verweisung an das AG L..

Das Insolvenzgericht W. erklärte sich mit Beschl. v. 10.10.2002 für örtlich unzuständig und verwies das Verfahren an das Insolvenzgericht L.. Über das Gesetzeszitat „(§§ 3, 4 InsO, § 281 ZPO)” hinaus ist der Beschluss mit keiner Begründung versehen.

Das AG Ludwigsburg lehnte mit Beschl. v. 21.10.2002 die Übernahme des Verfahrens ab, da eine örtliche Zuständigkeit des AG Ludwigsburg nicht gegeben sei. Zur Begründung verwies es darauf, dass gem. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO das AG Würzburg ausschließlich zuständig und dessen Verweisungsbeschluss nicht bindend sei, da die Schuldnerin zum Verweisungsantrag nicht angehört worden sei.

Das AG Würzburg hat die Akten dem BayObLG zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II. Als zuständiges Gericht war das AG Würzburg zu bestimmen. Die nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dafür maßgebenden Voraussetzungen liegen vor.

1. Das BayObLG ist gem. § 36 Abs. 2 ZPO, § 9 EGZPO für die Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen dem – zuerst mit der Sache befassten – AG Würzburg und dem AG Ludwigsburg zuständig.

2. Das AG Würzburg ist örtlich zuständig. Sein Verweisungsbeschluss ist nicht bindend.

a) Nach § 4 InsO i.V.m. § 281 Abs. 2 S. 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Diese Bindung ist auch im Bestimmungsverfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten (BayObLG v. 9.5.1990 – AR 1Z 45/90, NJW-RR 1991, 187 [188]; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 36 Rz. 28). Die Bindung entfällt allerdings dann, wenn die Verweisung auf Willkür oder einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (BGH BGHZ 71, 69 [72] = MDR 1978, 650; v. 10.12.1987 – I ARZ 809/87, BGHZ 102, 338 [341] = MDR 1988, 470; BayObLG BayObLGZ 1986, 285 [287]; v. 16.7.1991 – AR 1Z 57/91, BayObLGZ 1991, 280 [281 f.]; Zöller/Greger, ZPO, 23. Aufl., § 281 Rz. 17, 17a).

b) Der Verweisungsbeschluss des AG Würzburg beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das AG Würzburg hat das Verfahren mit Beschl. v. 10.10.2002 an das AG Ludwigsburg verwiesen, ohne zuvor die Schuldnerin von dem Verweisungsantrag der Gläubigerin in Kenntnis zu setzen. Indem das AG Würzburg die Mitteilung des Verweisungsantrags an die Schuldnerin unterlassen und der Schuldnerin keine Möglichkeit gegeben hat, sich vor dem gerichtlichen Verweisungsbeschluss zu dem Verweisungsantrag zu äußern, wurde deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

c) Da somit dem Verweisungsbeschluss des AG Würzburg die Bindungswirkung fehlt, ist das örtlich zuständige Gericht allein nach den einschlägigen Zuständigkeitsvorschriften zu bestimmen.

Aus § 3 Abs. 1 S. 2 InsO ergibt sich die Zuständigkeit des AG Würzburg. Zwar ist gem. § 3 Abs. 1 S. 1 InsO ausschließlich das Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist bei einer GmbH der in der Satzung festgelegte und in das Handelsregister eingetragene Sitz der Gesellschaft (§ 4 InsO; §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO; §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 7 Abs. 1, 10 GmbHG). Liegt jedoch der Mittelpunkt einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, so ist gem. § 3 Abs. 1 S. 2 InsO ausschließlich das Insolvenzgericht zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt.

Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass die Schuldnerin an einem anderen Ort als an ihrem Geschäftslokal in W. wirtschaftliche Tätigkeit entwickelt hat. Daraus, dass die Zustellung des Insolvenzantrags in dem Geschäftslokal der Schuldnerin in W. erfolgte, ergibt sich, dass die Schuldnerin dieses Geschäftslokal auch noch bei Einleitung des Insolvenzverfahrens unterhalten hat. Dafür, dass gleichwohl entgegen § 3 Abs. 1 S. 2 InsO eine Zuständigkeit ...

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