Leitsatz (amtlich)

1. Das Verbleiben eines Kindes bei seiner Pflegeperson gemäß § 1632 Abs. 4 BGB kann auch dann angeordnet werden, wenn ein 16-jähriges Mädchen, das von seinem Vater aus Anlaß eines Familienstreits grundlos aus dem Haus gewiesen worden ist, zunächst für mehr als 1 Jahr mit Zustimmung der Eltern in einer Pflegefamilie untergebracht wird und sich anschließend weigert, in das Elternhaus zurückzukehren.

2. Zur Pflicht, in einem solchen Fall ein kinderpsychologisches Gutachten zu erholen und eine Umgangsregelung zu treffen.

 

Normenkette

BGB §§ 1632, 1634

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Beschluss vom 19.12.1997; Aktenzeichen 4 T 3873/97)

AG Altötting (Aktenzeichen X 279/96)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 2 und 3 gegen den Beschluß des Landgerichts Traunstein vom 19. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.

 

Tatbestand

I.

Die 1981 geborene Beteiligte zu 1 ist zusammen mit ihrer etwas älteren Schwester bei ihren Eltern, den Beteiligten zu 2 und 3, aufgewachsen. Zwischen den Eltern kam es wiederholt zu Streitigkeiten und Auseinandersetzungen.

Am späten Abend des 10.7.1996 warf der Vater nach einer solchen Auseinandersetzung die Mutter und die beiden Töchter aus dem Haus. Diese suchten bei einer Schwester der Mutter Zuflucht. Während die Mutter am 20.7.1996 zu ihrem Mann zurückkehrte, lehnte die Beteiligte zu 1 dies, ebenso wie ihre damals bereits volljährige Schwester, ab. Da die Eltern die Rückkehr gegen den entschiedenen Widerstand des Mädchens durchsetzen wollten, regte das Jugendamt am 6.9.1996 bei dem Vormundschaftsgericht eine Einschränkung der elterlichen Sorge an. Nach Anhörung des Kindes, der Eltern sowie der Verwandten des Kindes durch das Vormundschaftsgericht erklärten sich die Eltern mit der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie einverstanden. Die Beteiligten zu 4 und 5, die bis dahin keinen näheren Kontakt mit der Beteiligten zu 1 und ihren Eltern gehabt hatten, erklärten sich zur Aufnahme des Kindes bereit. Die Beteiligte zu 1 lebt seit 8.10.1996 bei ihnen und fühlt sich dort wohl. Im weiteren Verlauf drängten die Eltern immer stärker auf eine Rückkehr der Beteiligten zu 1 in die eigene Familie. Die Beteiligte zu 1 lehnte dies ab.

Mit Schreiben vom 6.8.1997 an das Jugendamt und an die Pflegeeltern haben die Eltern mitgeteilt, daß sie ab 1.9.1997 die Erziehung des Kindes wieder selbst übernehmen wollten, und die Herausgabe des Kindes verlangt. Die bis dahin gewährte Erziehungshilfe sei nicht mehr erforderlich. Am 20.8.1997 hat das Jugendamt gegenüber dem Vormundschaftsgericht angeregt, den Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie durch eine Verbleibensanordnung zu sichern. Das Kind und die Pflegeeltern würden durch die Eltern des Mädchens sehr unter Druck gesetzt, das Kind lehne aber aufgrund einer wohl durchdachten Entscheidung eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt, inzwischen sogar jeden Kontakt mit den Eltern strikt ab. Eine Rückkehr werde eine erhebliche Gefahr für die weitere Entwicklung des Kindes darstellen.

Am 1.9.1997 haben die Eltern beantragt, die Pflegeeltern zur Herausgabe des Kindes zu verpflichten. Nach Anhörung des Kindes, der Eltern und der Pflegemutter hat das Vormundschaftsgericht am 23.9.1997 den Antrag auf Herausgabe zurückgewiesen und angeordnet, daß das Kind bei den Pflegeeltern in Familienpflege verbleibt. Die Beschwerde der Eltern hat, das Landgericht am 19.12.1997 nach erneuter Anhörung des Kindes, der Eltern und der Pflegeeltern zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde der Eltern.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das zulässige Rechtsmittel der Eltern ist nicht begründet.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung lägen vor, daher könnten die Eltern auch nicht die Herausgabe des Kindes verlangen. Das Kind lehne die Rückkehr zu den Eltern aus wohl erwogenen Gründen und nicht leichtfertig oder aus kindlichem Trotz ab. Es sehe, ohne fremdbeeinflußt zu sein, zur Zeit für Kontakte mit den Eltern keine Basis und könne diesen aufgrund seiner Erfahrungen nicht das notwendige Vertrauen entgegenbringen. Auch die Basis für eine Regelung des Umgangsrechts sei unter diesen Umständen derzeit nicht gegeben.

2. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, daß die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung (§ 1632 Abs. 4 BGB) vorliegen. Damit scheidet auch eine Herausgabeanordnung aus.

a) Das Kind lebt seit längerer Zeit in Familienpflege im Sinn des § 1632 Abs. 4 BGB.

aa) Nach dieser Vorschrift hat das Personensorgerecht der Eltern zurückzutreten, wenn das Kind seinen leiblichen Eltern entfremdet ist, in der Pflegefamilie seine Bezugswelt gefunden hat und durch die Herausnahme zur Unzeit sein persönliches, insbesondere sein seelisches Wohl gefährdet würde. Diesem Zweck entsprechend ist die Vorschrift auf alle seit längerer Zeit bestehenden Pflegeverhältnisse familienähnlicher Art anwendbar (BayObLGZ 1984, 98/100). Sie gilt für Minderjährige jeden Alters unabhängig davon, wem die elterliche...

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