Leitsatz (amtlich)

›Die Beschränkung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam, wenn das Amtsgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB war, obwohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration oder andere Umstände dazu Anlass gegeben hätten.‹

 

Tatbestand

Am 07.05.2002 gegen 00.15 Uhr traf der Angeklagte auf den nach einer Schlägerei herbei gerufenen Rettungssanitäter M.K., als dieser gerade einen durch die Schlägerei Verletzten medizinisch versorgte. Sodann schlug der Angeklagte ihm ohne rechtfertigenden Grund mit der Faust ins Gesicht. Hierdurch erlitt M.K. eine Schädelprellung sowie eine HWS-Distorsion.

Der Angeklagte fuhr am 21.5.2002 (Anmerkung des Senats richtig: am 1.5.2002) gegen 21.15 Uhr mit dem Pkw Typ Fiat, amtl. KZ:, auf der Kreisstraße 10 im Gemeindebereich P., von R. nach K., obwohl er infolge vorangegangenen Alkoholgenusses fahruntüchtig war. Der Angeklagte fuhr in Schlangenlinien und kam schließlich nach links von der Fahrbahn ab. Eine bei dem Angeklagten am 01.05.2002 um 22.17 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,24 Promille im Mittelwert. Der Angeklagte hätte seine Fahruntüchtigkeit bei kritischer Selbstprüfung erkennen können und müssen.

Das Amtsgericht erließ am 5.7.2002 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen zwei tatmehrheitlich begangener Vergehen der Beleidigung und der vorsätzlichen Körperverletzung. Am 16.7.2002 erließ das Amtsgericht gegen den Angeklagten einen weiteren Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Nachdem der Angeklagte gegen beide Strafbefehle Einspruch eingelegt hatte, wurden die Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. In der Hauptverhandlung vom 18.9.2000 beschränkte der Angeklagte seine Einsprüche hinsichtlich der ihm angelasteten Körperverletzung und der Trunkenheitsfahrt mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf das Strafmaß. Hinsichtlich des Vergehens der Beleidigung - der insoweit gestellte Strafantrag war ebenso wie jener wegen der Körperverletzung zurückgenommen worden - wurde das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Bei der Strafzumessung berücksichtigte das Amtsgericht zugunsten des Angeklagten, "dass in beiden Fällen das Vorliegen des § 21 StGB jedenfalls nicht auszuschließen" sei, wobei es auch hinsichtlich des Vorfalls vom 7.5.2002 von einer erheblichen Alkoholisierung des Angeklagten ausging. Es verhängte für beide Taten Geldstrafen von jeweils 50 Tagessätzen, aus denen eine Gesamtgeldstrafe von 75 Tagessätzen gebildet wurde; die Höhe eines Tagessatzes wurde auf 50 EUR festgesetzt. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, sein Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch zehn Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Die Sprungrevision des Angeklagten gegen dieses Urteil vom 18.9.2002 hatte Erfolg.

 

Entscheidungsgründe

1. Aufgrund der zulässigen Revision des Angeklagten hat das Revisionsgericht aufgrund der Sachrüge von Amts wegen und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung durch das Amtsgericht zu prüfen, ob dieses über den seiner Beurteilung unterbreiteten Sachverhalt in zu engem oder zu weitem Umfang befunden hat (vgl. zur ähnlichen Sachlage bei einer Berufungsbeschränkung BayObLGSt 1978, 1; KK/Ruß StPO 4. Aufl. § 327 Rn. 11), hier also, ob das Amtsgericht die vom Angeklagten erklärte Beschränkung seiner Einsprüche auf den Rechtsfolgenausspruch zu Recht für wirksam erachtet hat.

Nach § 410 Abs. 2 StPO kann der Einspruch gegen den Strafbefehl auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Die Wirksamkeit der Einspruchsbeschränkung hängt von den gleichen Voraussetzungen ab, die für die Zulässigkeit der Beschränkung von Rechtsmitteln gelten (BayObLG NStE Nr. 2 zu § 410 StPO; LR/Gössel StPO 25. Aufl. § 410 Rn. 12; KK/Fischer § 410 Rn. 9; HK/Kurth StPO 3. Aufl. § 410 Rn. 10; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 410 Rn. 4). Eine solche Beschränkung ist dann unzulässig, wenn die Feststellungen des Strafbefehls zum Schuldspruch so weitgehende Lücken aufweisen, dass sich Art und Umfang des Unrechts und der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen und deshalb die sonst in der Regel gegebene Trennbarkeit zwischen Schuld- und Strafausspruch ausnahmsweise zu verneinen ist, d.h. wenn die Feststellungen zum Schuldspruch unzureichend sind und für eine isolierte Prüfung des Rechtsfolgenausspruchs keine hinreichende Grundlage bilden (vgl. SchlHOLG SchlHA 1996, 108; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1997, 113; LR/Gössel aaO Rn. 13; KK/Fischer aaO Rn. 12; HK/Kurth aaO Rn. 13; Meyer-Goßner aaO Rn. 5). Dies ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats zur Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung dann der Fall, wenn das Amtsgericht nicht geprüft hat, ob der Angeklagte schuldunfähig im Sinne von § 20 StGB war, obwohl die Höhe der Blutalkoholkonzentration oder andere Umstände dazu Anlass gegeben hätten.

2. So verhäl...

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