Entscheidungsstichwort (Thema)

Testamentsauslegung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei der Auslegung eines Testaments ist der wirkliche Wille des Erblassers zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (§ 133 BGB). Dabei geht es nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte.

2. Die Auslegungs- oder Ergänzungsregel des § 2104 BGB findet Anwendung, wenn Nacherbfolge angeordnet, aber ein Nacherbe nicht genannt ist. Hat der Erblasser nur bestimmt, wer Vorerbe werden soll, ohne zu bestimmen, wann die Vorerbschaft enden soll, so wird der insoweit unvollständige letzte Wille des Erblassers durch § 2106 Abs. 1 BGB ebenso gesetzlich ergänzt, wie er durch § 2104 BGB hinsichtlich der unterlassenen Bestimmung des Nacherben ergänzt werden muß. Beide Vorschriften lassen sich nebeneinander anwenden.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 2104, 2106 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Augsburg (Beschluss vom 03.08.1995; Aktenzeichen 5 T 4517/94)

AG Augsburg (Aktenzeichen VI 3353/92)

 

Tenor

I. Die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 gegen den Beschluß des Landgerichts Augsburg vom 3. August 1995 wird zurückgewiesen.

II. Der Beteiligte zu 1 hat dem Beteiligten zu 3 die im Verfahren der weiteren Beschwerde entstandenen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Verfahrens der weiteren Beschwerde wird auf 99 750 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der im Alter von 83 Jahren verstorbene Erblasser war in zweiter Ehe mit der am 9.6.1994 nachverstorbenen M. kinderlos verheiratet. Aus der ersten Ehe des Erblassers, die etwa 1960 geschieden wurde, ist der Beteiligte zu 3 hervorgegangen.

Der Erblasser hat folgende eigenhändig geschriebene und unterzeichnete letztwillige Verfügung hinterlassen:

Testament Hiermit setze ich meine Ehefrau M. zur Vorerbin meines gesamten Nachlasses ein!

10.4.72

Die Witwe erklärte vor dem Nachlaßgericht, der Erblasser habe sie zu seiner Alleinerbin einsetzen und keinesfalls eine Vor- und Nacherbschaft anordnen wollen. Sie beantragte die Erteilung eines Erbscheins, wonach der Erblasser von ihr allein beerbt worden sei. Der Beteiligte zu 3 gab innerhalb der ihm eingeräumten Frist zur Stellungnahme keine Erklärung ab. Am 2.3.1993 bewilligte das Nachlaßgericht den von der Witwe beantragten Erbschein und gab ihn anschließend hinaus.

Mit Schreiben an das Nachlaßgericht vom 15.1.1994 erklärte der Beteiligte zu 3, er sei nach reiflicher Überlegung zu der Überzeugung gelangt, daß sein Vater sehr wohl gewollt habe, ihn als Nacherben vorzusehen. Er stelle den Antrag, ihn „als Nacherben einzusetzen”. Der Nachlaßrichter hörte die Witwe persönlich an. Mit Beschluß vom 5.9.1994 lehnte er die Einziehung des Erbscheins ab. Aus dem Wortlaut des Testaments könne nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß der Erblasser eine Vor- und Nacherbfolge habe anordnen wollen. Vielmehr habe er gegenüber seiner Ehefrau geäußert, daß sein Sohn aus erster Ehe nichts erben solle.

Der Beteiligte zu 3 legte Beschwerde ein. Das Landgericht zog die Nachlaßakten der zwischenzeitlich verstorbenen Witwe des Erblassers bei und stellte fest, daß sie aufgrund letztwilliger Verfügung von ihrem Neffen (Beteiligter zu 1) und ihrer Nichte (Beteiligte zu 2) beerbt worden war. Der Beteiligte zu 1 trat der Beschwerde entgegen. Mit Beschluß vom 3.8.1995 hob das Landgericht die Entscheidung des Nachlaßgerichts auf und wies es an, den Erbschein vom 2.3.1993 einzuziehen. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1, der der Beteiligte zu 3 entgegentritt.

 

Entscheidungsgründe

II.

1. Die weitere Beschwerde ist mit dem Ziel statthaft, die Einziehungsanordnung aufzuheben. Der Beteiligte zu 1 ist Erbe der Witwe des Erblassers, auf deren Antrag der einzuziehende Erbschein erteilt worden war, und damit beschwerdeberechtigt (vgl. Jansen FGG 2. Aufl. § 84 Rn. 20; Palandt/Edenhofer BGB 55. Aufl. § 2361 Rn. 15, § 2353 Rn. 12). Das somit zulässige Rechtsmittel hat jedoch keinen Erfolg.

2. Die Zulässigkeit der Erstbeschwerde, die vom Rechtsbeschwerdegericht selbständig nachzuprüfen ist (vgl. BayObLGZ 1995, 120/123 m.w.N.), hat das Landgericht zutreffend bejaht. Der Beteiligte zu 3 machte geltend, Nacherbe zu sein und war daher berechtigt, gegen die Ablehnung der Einziehung des ohne Nacherbenvermerk (§ 2363 Abs. 1 BGB) erteilten Erbscheins Beschwerde einzulegen (vgl. Palandt/Edenhofer § 2363 Rn. 9). Entgegen der Ansicht des Rechtsbeschwerdeführers hat er sein Beschwerderecht nicht deshalb verloren, weil er seine Einwendungen gegen den ihm vom Nachlaßgericht mitgeteilt Erbscheinsantrag der Witwe nicht innerhalb der gesetzten Frist, sondern erst rund ein Jahr später erhoben hat. Von einer Verwirkung des Beschwerderechts kann unter den gegebenen Umständen keine Rede sein (vgl. BayObLGZ 1996, 69/72 m.w.N.).

3. Das Landgericht hat ausgeführt:

Der Erbschein vom 2.3.1993 sei unrichtig und deshalb einzuziehen. Der Witwe des Erblassers hätte nur ein Erbschein für den Vorerben e...

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