Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Rücknahme einer Berufung. Wirksamkeit einer in der mündlichen Verhandlung erklärten Berufungsrücknahme. Zurechnung einer vom Prozessbevollmächtigten erklärten Berufungsrücknahme

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Erklärung der Rücknahme der Berufung gemäß § 156 SGG ist eine Prozesshandlung.

2. Als öffentliche Urkunde erbringt die Niederschrift nach § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 415 ZPO den vollen Beweis über die Abgabe der Erklärungen.

3. Eine Prozessvollmacht ermächtigt zur Prozessführung im Namen des vertretenen Beteiligten und berechtigt grundsätzlich auch zur wirksamen Rücknahme der Berufung in der mündlichen Verhandlung.

4. Der Kläger kann die Zurücknahme der Berufung als Prozesshandlung grundsätzlich nicht wegen Irrtums, weil er die Verfahrensbeendigung nicht gewollt habe oder wegen Drohung anfechten oder sie widerrufen.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.02.2017; Aktenzeichen B 2 U 4/17 R)

BSG (Beschluss vom 02.02.2017; Aktenzeichen B 2 U 3/17 B)

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Berufungsverfahren L 3 U 22/13 durch die Berufungsrücknahme am 24. November 2015 erledigt ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das Berufungsverfahren L 3 U 22/13 durch Berufungsrücknahme des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 beendet worden ist.

Zwischen den Beteiligten war in der Sache streitig, ob der Kläger in der Nacht vom 08.11.1999 auf 09.11.1999 bei seiner Arbeit bei der Firma E. Automobiltechnik GmbH (Firma. E.) einen Arbeitsunfall erlitten hatte. Mit Bescheid vom 06.04.2011 wurde eine Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 09.11.1999 abgelehnt. Nach Auffassung der Beklagten habe ein Arbeitsunfall nicht vorgelegen. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit Bescheid vom 02.08.2011 zurückgewiesen. Die Klage zum Sozialgericht Landshut wurde mit Urteil des Sozialgerichts vom 29.11.2012 abgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger am 17.01.2013 Berufung. In der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 nahm der Klägerbevollmächtigte im Namen und Auftrag des Klägers die Berufung zurück. Die Rücknahmeerklärung wurde vorgelesen und genehmigt.

Mit Schreiben vom 09.12.2015 hat der Kläger "Widerspruch gegen den Beschluss (Urteil) vom 24.11.2015" erhoben. Er könne diesen Beschluss nicht anerkennen, da er auf einer Lüge beruhe. Der Kläger führt weiter aus, sein Bevollmächtigter habe keine Vollmacht für die Rücknahme der Berufung gehabt. Im Einzelnen wird auf das Schreiben des Klägers vom 23.01.2016 sowie auf seine Ausführungen mit Schreiben vom 25.10.2016 verwiesen.

Die Beklagte beantragt,

festzustellen, dass das Berufungsverfahren L 3 U 22/13 durch die Berufungsrücknahme vom 24.11.2015 erledigt ist.

Der Senat hat die Beklagten-Akten, die Verfahrensakten des Sozialgerichts Landshut sowie die Verfahrensakten des Senats im Verfahren L 3 U 22/13 beigezogen. Deren wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe

Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Fortsetzung des Berufungsverfahrens L 3 U 22/13 ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsverfahren ist durch die Berufungsrücknahme des Bevollmächtigten des Klägers in der öffentlichen Sitzung des Gerichts vom 24.11.2015 wirksam beendet worden.

Da die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 vom Kläger in Zweifel gezogen worden ist, wurde das Verfahren fortgeführt und der Senat hat durch Urteil zu entscheiden (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig / Keller / Leitherer, SGG, Kommentar, 11. Auflage 2014, § 156 Rn. 6). Vorliegend ist die Wirksamkeit der Berufungsrücknahme festzustellen; eine Entscheidung in der Sache kann daher nicht ergehen.

Die Berufungsrücknahme wurde vom Klägerbevollmächtigten wirksam abgegeben. Die Erklärung der Rücknahme der Berufung gemäß § 156 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist eine Prozesshandlung (Keller, a.a.O., § 156 Rn. 2; Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., Sozialgerichtsgesetz, 11. Aufl., 2014, §§ 102 Rn 7c). Diese wurde vom Klägerbevollmächtigten unmissverständlich erklärt und so in die Niederschrift (Protokoll) der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2015 aufgenommen. Die für die Niederschrift geltenden Formvorschriften (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159 bis 165 Zivilprozessordnung - ZPO -) wurden vorliegend eingehalten. Die Rücknahme der Berufung durch den Klägerbevollmächtigten wurde im Protokoll festgestellt (§ 160 Abs. 3 Nr. 8 ZPO) und dem Klägerbevollmächtigten nochmals vorgelesen und von diesem genehmigt (§ 162 Abs. 1 Sätze 1 und 3 ZPO). Die Niederschrift ist entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ausgefertigt und vom Vorsitzenden sowie von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle unterschrieben worden (§ 122 SGG i.V.m. §§ 159 Abs. 1, 163 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Unterschrift der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Beachtung dieser für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten wird durch das Protokoll bewiese...

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