Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Tätigkeit als Erziehungsbeistand nach § 30 SGB 8. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Tätigkeiten als Erziehungsbeistand nach § 30 SGB 8 ist die weitgehende Weisungsfreiheit wegen der Art der Tätigkeit kein maßgebliches Abgrenzungskriterium für eine selbstständige Beschäftigung. Aus den Vorschriften des SGB 8, insbesondere aus der Letztverantwortung des Jugendamtes für das Kindeswohl kann nicht auf das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung geschlossen werden. Entscheidend sind die Einbindung in den Betrieb, die vertraglichen Vereinbarungen und das Bestehen eines Unternehmerrisikos. Hierbei tritt die Pflicht zur höchstpersönlichen Leistungserbringung in den Hintergrund.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 31.03.2017; Aktenzeichen B 12 R 7/15 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. September 2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Rahmen eines Anfrageverfahrens nach § 7a Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) streitig, ob der Beigeladene zu 1 in seiner Tätigkeit für den Kläger als Erziehungsbeistand der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegt.

Der Kläger und Berufungsbeklagter ist Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII). Zur Erfüllung seiner Aufgaben als Träger der öffentlichen Jugendhilfe schließt der Kläger Verträge mit freien Trägern sowie Einzelpersonen ab, die Leistungen der Jugendhilfe vor Ort in den Familien erbringen.

Der Beigeladene zu 1) ist Heilpädagoge. Neben seiner Tätigkeit für den Kläger ist er hauptberuflich in Vollzeit bei der Lebenshilfe in H-Stadt beschäftigt.

Die Tätigkeit als Erziehungsbeistand übt der Beigeladene zu 1) seit August 2007 im Rahmen einer nebenberuflichen Tätigkeit aus. Im Monat betreut er im Durchschnitt ein bis zwei Familien. Wöchentlich ist er etwa vier bis sieben Stunden für den Kläger tätig. Für die Tätigkeit musste er seine fachlichen Qualifikationen nachweisen.

Die Leistungen nach §§ 27 ff SGB VIII wurden den hilfesuchenden Familien mit Bescheiden über eine Erziehungsbeistandschaft nach § 30 SGB VIII bewilligt. Als Hilfeanbieter wird in den Bescheiden der Beigeladene zu 1) genannt. Zusätzlich werden für jeden einzelnen Fall Honorarverträge abgeschlossen sowie ein Hilfeplan erstellt.

Der Hilfeplan wird regelmäßig gemeinschaftlich von der Familie, dem Beigeladenen zu 1) und einem Mitarbeiter des Klägers erarbeitet. Aus den Hilfeplänen bzw. aus der Hilfeplanfortschreibung ergibt sich die aktuelle Situation in den Familien; es werden erreichte Ziele sowie neue, zusätzliche Ziele dargestellt und ergänzende Vereinbarungen dokumentiert. Konkrete Anweisungen zur Zielerreichung enthalten die Hilfepläne nicht.

In den zwischen dem Kläger und dem Beigeladenen zu 1) abgeschlossenen Honorarverträgen für selbstständige Fachkräfte in der Jugendhilfe ist -im Wesentlichen gleich lautend- geregelt, dass Vertragsgegenstand die Gewährung einer ambulanten Jugendhilfeleistung in Form einer Erziehungsbeistandschaft (§ 30 SGB VIII) sei. Es wird festgehalten, dass der Auftragnehmer für den Auftraggeber in einem selbstständigen freien Mitarbeiterverhältnis tätig sei. Ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis werde nicht begründet und sei nicht gewollt. Der Auftragnehmer habe die übernommenen Aufgaben selbstständig, eigenverantwortlich, mit unbedingter Sorgfalt und fachlich korrekt auszuführen. Er sei nicht in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden, unterliege keinem Weisungsrecht und sei in der Auftragsausführung, der Einteilung seiner Arbeitszeit und seines Arbeitsortes grundsätzlich frei, soweit sich nicht aus der Natur der Sache etwas anderes ergebe. Dem Auftragnehmer seien die zivilrechtlichen Konsequenzen (kein Anspruch auf Urlaub, Fortbildung, Kündigungs-, Mutter- und Schwerbehindertenschutz, keine Vergütung bei Urlaub oder Krankheit) sowie die öffentlich-rechtlichen Folgen (eigenverantwortliche Abführung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, selbstständige Vornahme eventuell notwendiger behördlicher Anmeldungen bzw. Einholung von Genehmigungen) bekannt. Weiter wird geregelt, dass der Auftragnehmer die Aufgabe habe, die im Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) genannten Ziele zu realisieren. Es wurde eine monatliche Betreuungszeit von je nach Fall zwischen 18 und 20 Stunden vereinbart. Eine gegebenenfalls erforderliche Änderung der Stundenzahl sei abzustimmen und schriftlich zu vereinbaren. Die Monatsstunden könnten flexibel erbracht werden. Das Auftragsverhältnis sei mit einer Frist von 14 Tagen zum Monatsende ohne Angabe von Gründen kündbar oder aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Das Honorar betrug zwischen 40 € und 41,50 € je vereinbarter und geleis...

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