Entscheidungsstichwort (Thema)

Opferentschädigung. Tätlicher Angriff. Misshandlung von Schutzbefohlenen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nicht jede gewaltlose, risikobehaftete feindselige Handlung im Erziehungsbereich, die zu einer Verletzung der körperlichen Integrität führt, ist nach dem OEG zu entschädigen. Nur solche gewaltlosen Handlungen werden in den Schutzbereich des OEG einbezogen, die bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände in ihrer Gefährlichkeit und ihren Folgen denen eines sexuellen Missbrauchs vergleichbar sind.

2. Die gravierende Erziehungsunfähigkeit einer Mutter, die verbunden mit einer andauernden Überforderung zu einem schwerwiegenden Fehlverhalten gegenüber ihren Kindern geführt hat, aber nicht die Tatbestandsvoraussetzungen der Misshandlung von Schutzbefohlenen gem. § 225 Abs. 1 StGB erfüllt, begründet keinen Anspruch der Kinder nach § 1 Abs. 1 S. OEG.

 

Normenkette

OEG § 1 Abs. 1 S. 1; SGB VIII § 97; StGB § 225 Abs. 1

 

Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 22.08.2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die 1991, 1997 und 1999 geborenen kindlichen Kläger, gesetzlich vertreten durch das Kreisjugendamt bei dem Landkreis K., begehren Leistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

S. D. ist (bei teilweise ungeklärten Vaterschaftsverhältnissen) nach den Bekundungen der Bevollmächtigten der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 26.04.2007 Mutter von zwischenzeitlich insgesamt elf Kindern. Sie hat seit 03.02.2000 Hilfe zur Erziehung in Form von sozialpädagogischer Familienhilfe erhalten. - G. S. (ambulante Haus- und Familienpflege) hat mit Bericht vom 05.10.2000 zusammenfassend festgestellt, dass die Mutter ihre Kinder total isoliere. Die Kinder würden nur in dem Haus existieren und den strikten, nicht nachvollziehbaren Regeln ihrer Mutter folgen. Diese seien nicht nachvollziehbar und würden von der Mutter je nach Laune und Gemütszustand ausgesprochen. Wenn die Mutter zu ihren Kindern Kontakt aufnehme, dann durch lautes Geschrei, Befehle geben, wüsten Beschimpfungen und unter Androhung von Ohrfeigen. Ein Kind (besonders R.) müsse die Rolle des bösen Kindes tragen. R. sei immer wieder in den Vorkeller geschickt worden; dort habe sie auch ihre Kleidung liegen gehabt. Der Aufenthalt in der übrigen Wohnung sei ihr nur zum Essen gestattet worden. R. sei von sich aus in den Keller gegangen oder habe stundenlang an der Treppe gestanden, wenn sie gedacht habe, dass sie gegenüber ihrer Mutter etwas falsch gemacht habe. Sie sei dann ganz still und steif gestanden; sie habe keinerlei Reaktion mehr gezeigt. Es habe dann keinerlei Zugang mehr zu ihr gegeben. Auch die Kinder N. und D. haben dieses Verhalten gezeigt. Wenn G. S. die Kinder darauf habe ansprechen wollen, seien diese gleich wieder in diesen Zustand verfallen. Sie würden einfach jeden Kontakt zur Umwelt abschalten; es bliebe noch ein "starrer Körper" zurück. Tragischerweise würde jeder einzelne dieser Familie für sich allein einsam in seiner kleinen Welt leben. Es gäbe keinerlei positiven Zusammenhalt; keiner könne dem anderen vertrauen. Sobald sie ihre Mutter hören oder sehen würden, würden sie in panische Angst verfallen. Alle Kinder seien seelisch und emotional verarmt und bräuchten dringend gezielte Maßnahmen, um wenigstens noch die größten Schäden abfangen zu können.

Nach weiteren Ermittlung hat sich das Landratsamt K. mit Eilantrag vom 05.10.2000 an das Amtsgericht K. gewandt und beantragt, familiengerichtliche Maßnahmen gemäß § 1666 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) betreffend folgender Kinder einzuleiten: M. D. (geb. 1984), B. E. (geb. 1986), J. E. (geb. 1990), N. E. (geb. 1991), R. M. (geb. 1993), D. M. (1997) und P. M. (geb. 1999). Hierbei hat sich das Kreisjugendamt K. auch auf einen Bericht der Polizeiinspektion K. vom 04.02.1999 stützen können: Nach Aussage der Nachbarin L. R. sei von dieser schon des Öfteren beobachtet worden, dass die Kinder von ihrer Mutter trotz der Kälte in die Garage gesperrt würden. Die Mutter lasse auch die Kinder häufig nachts unbeaufsichtigt bzw. sperre diese dann in deren Zimmern ein. Aufgrund Befragungen von mehreren M. Bürgern sei die Mutter mit der Erziehung ihrer Kinder offensichtlich völlig überfordert.

Die praktische Ärztin Dr. C. S. hat mit ärztlichem Protokoll zur Vorlage beim Kreisjugendamt vom 30.09.2000 unter anderem bestätigt, dass die Tochter M. von zu Hause weg wolle. Ihre Geschwister würden tagelang und länger eingesperrt. Manchmal dürften sie nicht einmal auf die Toilette. Die Zimmer seien hermetisch abgedunkelt. Die Rollos seien von außen mit Klebeband abgedichtet, damit kein Lichtstrahl eindringen könne. Die Mutter habe immer ein Kind, auf das sie es besonders abgesehen habe. Erst sei es B. gewesen, dann C. und jetzt R. . R. sei völlig verstört. Der (zum damaligen Zeitpunkt) dreijährige D. dü...

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