Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Teilnahme von Nervenärzten am allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der bereitschaftsdienstärztliche Aufgabenkreis deckt sich mit der hausärztlichen Versorgung iS des § 73 Abs 1 SGB 5 und stellt einen Versorgungssonderfall dar, der von Fach- und Hausärzten gleichermaßen kraft ihrer medizinischen Grundausbildung zu beherrschen ist.

2. Grundsätzlich sind Ärzte sämtlicher Weiterbildungsgebiete verpflichtet, an einem allgemeinen bzw hausärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen, wenn ihr Gebiet nicht durch einen besonderen fachärztlichen Notdienst repräsentiert wird.

3. Die Nichtbefreiung der Arztgruppe der Nervenärzte lässt einen Grundrechtsverstoß nicht erkennen.

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten wird unter der Maßgabe zurückgewiesen, über den klägerischen Antrag gemäß der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts erneut zu entscheiden.

II. Die Kosten beider Rechtszüge hat der Kläger zu 4/5 und die Beklagte zu 1/5 zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Verpflichtung des Klägers, am allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst teilzunehmen.

Der Kläger ist als Arzt für Neurologie und Psychiatrie vertragsärztlich in C. in Gemeinschaftspraxis mit seiner Ehegattin - einer Ärztin/Psychotherapie - zugelassen.

Mit seinem am 17. Juni 2002 eingegangenen Schreiben beantragte er die Befreiung vom ärztlichen Notfalldienst, da er nahezu ausschließlich verbalmedizinisch und nicht organmedizinisch tätig sei.

Mit Bescheid vom 21. Oktober 2002 wurde der Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass er als Nervenarzt verpflichtet sei, am allgemeinen Notfalldienst teilzunehmen. Die Befreiungen bestimmter Fachgruppen gemäß § 1 Abs.2 Satz 2 der Bereitschaftsdienstordnung erfasse nicht die Arztgruppe der Nervenärzte, auch wenn der Nervenarzt den Schwerpunkt seiner Praxistätigkeit in einem bestimmten Bereich habe.

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass eine Heranziehung von an der fachärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten nach der Gliederung der ambulanten Versorgung in einen haus- und einen fachärztlichen Versorgungsbereich unzulässig sei, wenn eine Heranziehung zum allgemeinen ärztlichen Bereitschaftsdienst erfolge. Fachärzte könnten den hausärztlichen Notdienst nicht in der erforderlichen Qualität erbringen. Zudem seien die Vorhaltung fachfremder Notdienstartikel und die Bestückung des Notdienstkoffers, insbesondere mit verfallbedrohten Medikamenten, hochgradig unwirtschaftlich. Unwirtschaftlich sei auch die erhöhte Krankenhauseinweisungsquote der Fachärzte im kassenärztlichen Notfalldienst im Vergleich zu den Diensten der Hausärzte. Aus zeitlichen Gründen sei ihm eine Fortbildung in der Notfallmedizin, insbesondere durch den Erwerb allgemeinmedizinischer Kenntnisse, nicht möglich.

Im Übrigen begründeten auch individuelle Umstände einen Befreiungsanspruch. Er sei seit 1988 niedergelassen und habe seither keinen allgemeinärztlichen Notfalldienst deshalb verrichtet, da er die Dienste auf einen qualifizierten Vertreter delegieren habe können. Nunmehr sei er nicht mehr in der Lage, den ärztlichen Notfalldienst zu erbringen, da er die hierfür erforderlichen Kenntnisse nicht mehr besitze, zumal er in seiner Praxistätigkeit fast ausschließlich psychiatrisch und psychotherapeutisch arbeite. Im Übrigen sei der allgemeinärztliche Notfalldienst geeignet, ihn wegen seines maßlos überfordernden Charakters psychisch und physisch bzw. psychosomatisch zu schädigen. Die Grenze der eigenen psychischen Belastbarkeit werde durch die berufsspezifischen Belastungen im Rahmen der Versorgung psychisch Kranker mit einem täglich ca. zehn- bis zwölfstündigen persönlichen Patientenkontakt in vollem Umfang ausgeschöpft bzw. bereits überschritten. Für zusätzliche Belastungen besitze er keine Ressourcen mehr. Seine Praxisbesonderheit einer fast ausschließlich gerontopsychiatrischen und psychiatrischen Praxis sei im Rahmen eines Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahrens 3/97 festgestellt worden. Psychiater seien aber vom allgemeinärztlichen Notfalldienst in der KVB freigestellt. Er sei daher nach der Bereitschaftsdienstordnung mangels Eignung vom ärztlichen Bereitschaftsdienst auszuschließen.

Die Bereitschaftsdienstgruppe 301 des Rettungsdienstbereiches C. umfasste im Jahre 2004 mit dem Kläger 77 Ärzte. Neben hausärztlichen Internisten und Allgemeinärzten nahmen daran im Jahre 2004 auch Radiologen, Neurologen, fachärztliche Internisten, ärztliche Psychotherapeuten, Hautärzte und ein MKG-Chirurg teil.

Der Dienstplan des Jahres 2004 enthält diverse Notfalldiensteinteilungen des Klägers, den dieser durch einen anderen Arzt wahrnehmen ließ.

Der Widerspruch wurde durch Bescheid vom 21. Januar 2004 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass eine strikte Trennung zwischen haus- und fachärztlichem Bereitschaftsdienst aus Sicherstellungsgründen nicht überall möglich sei. Gemäß § ...

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