Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattung. Genehmigungsfiktion. Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust bei Gynäkomastie Grad 2 bis 3. Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den Voraussetzungen des Eintritts der Genehmigungsfiktion.

2. Eine Gynäkomastie Grad 2 bis 3 der Brust stellt eine Krankheit dar. Der Kläger durfte eine Liposuktion und Mastektomie sowie Straffung der Brust aufgrund der fachlichen Befürwortung durch die ihn behandelnden Ärzte für erforderlich halten.

3. Hinsichtlich der Voraussetzungen der Rücknahme einer fingierten Genehmigung folgt der Senat der Rechtsprechung des 1. Senats des Bundessozialgerichts.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsatz 3: Anschluss an BSG vom 7.11.2017 - B 1 KR 15/17 R.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.02.2019; Aktenzeichen B 1 KR 18/18 R)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der 1955 geborene Kläger begehrt die Kostenübernahme für eine Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung der linken Brust.

Am 24.07.2015 wurde der Beklagten der Kostenübernahmeantrag der Klinik und Poliklinik für plastische Chirurgie des Klinikums I. vom 01.07.2015 für die Durchführung einer Liposuktion, Mastektomie sowie Straffung links bei druckschmerzhafter Gynäkomastie Grad 2 bis 3 bei dem Kläger übermittelt. Mit Schreiben vom 31.07.2015 wies die Beklagte darauf hin, dass eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) erforderlich sei. Mit Schreiben vom 14.09.2015 forderte die Beklagte von den behandelnden Ärzten weitere Unterlagen an. Eine Information des Klägers erfolgte nicht.

In seiner Stellungnahme vom 01.10.2015 kam der MDK zu dem Ergebnis, eine medizinische Indikation für den Eingriff sei nicht gegeben.

Mit Bescheid vom 09.10.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme ab und verwies dabei auf die Stellungnahme des MDK. Der Kläger erhob mit Schreiben vom 23.10.2015 Widerspruch und wies auf die psychische Belastung durch die Gynäkomastie aufgrund der Brustkrebserkrankung seiner Ehefrau im Jahr 2008 und die zunehmenden Schmerzen hin.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.12.2015 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Es liege keine Krankheit vor, die der Behandlung bedürfe. Eine Entstellung sei nicht gegeben. Auch unter dem Gesichtspunkt der psychischen Beeinträchtigung sei die Beklagte nicht leistungspflichtig.

Der Kläger hat am 22.12.2015 Klage zum Sozialgericht München erhoben. Es liege eine behandlungsbedürftige Gynäkomastie vor. Die Therapie diene auch der Vorbeugung der Entstehung von Brustkrebs.

Das SG hat ein fachinternistisches Gutachten des Dr. W. M. eingeholt. Dieser ist in seinem Gutachten vom 17.03.2016 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass kein krankhafter und behandlungsbedürftiger Befund vorliege. Es bestehe eine geringgradige Gynäkomastie, die nicht dramatisch auffalle. Ein Brustkrebs sei ausgeschlossen worden. Bei insgesamt erheblicher Adipositas bestehe offensichtlich eine vermehrte Fetteinlagerung. Es handle sich um ein geringgradiges medizinisches und vor allem kosmetisches Problem. Zunächst wäre eine deutliche Gewichtsreduktion anzustreben.

Auf Antrag des Klägers hat das SG Dr. M. E. zum ärztlichen Sachverständigen nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ernannt. Dieser ist in seinem fachradiologischen Gutachten vom 28.07.2016 nach ambulanter Untersuchung des Klägers zu dem Ergebnis gekommen, dass durchaus ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliege. Zwar habe sich kein Anhaltspunkt für einen malignen Prozess ergeben. Gynäkomastien stellten aber im täglichen Leben eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung dar, da sie ständig zu Missempfindungen und Irritationen führten.

Mit Schreiben vom 11.08.2016 hat die Beklagte dem SG "entsprechend § 96 SGG" den Verwaltungsakt vom 11.08.2016 übersandt. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte den fiktiven Bescheid vom 29.08.2015 für die Zukunft aufgehoben. Die Frist zur Entscheidung sei am 28.08.2015 abgelaufen. Mit der Fristüberschreitung gelte die konkret beantragte Leistung als genehmigt. Es handle sich um einen sog. fiktiven begünstigenden Verwaltungsakt. Dieser sei aber rechtswidrig, er könne unter den Voraussetzungen des § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zurückgenommen werden. Es fehle an der Erforderlichkeit der beantragten Leistung zum Zeitpunkt der Fristüberschreitung am 29.08.2015. Dies habe der MDK durch sein Gutachten vom 01.10.2015 festgestellt. Der fiktive Genehmigungsbescheid sei daher rechtswidrig, weil er gegen materielles Recht verstoße.

Das Vertrauen des Klägers auf den Bestand des fiktiven Genehmigungsbescheides sei auch nicht schutzwürdig, da die Leistung noch nicht erbracht worden sei und der Kläger keine Vermögendispositionen getroffen habe. Die Beklagte habe m...

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