Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. europarechtskonforme Auslegung. Wiedereinreise nach mehrjährigem Auslandsaufenthalt. Arbeitsmarktverbindung durch langjährige versicherungspflichtige Beschäftigung im Inland

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Leistungsausschluss für Arbeit suchende EU Bürger in § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist nicht von Art 24 Abs 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 (juris: EGRL 38/2004) gedeckt, weil es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 nicht um Sozialhilfeleistungen handelt.

2. Der Leistungsausschluss verstößt bei Personen, die vom persönlichen Anwendungsbereich der EGV 883/2004 erfasst sind, gegen Art 4 EGV 883/2004.

3. Ein italienischer Staatsangehöriger, der in der Vergangenheit Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hat, kann daher auch nach einem mehrjährigem Aufenthalt in Italien und Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht wirksam von den Leistungen nach dem SGB 2 ausgeschlossen werden.

 

Orientierungssatz

Hinweis der Dokumentationsstelle des Bundessozialgerichts: Nachdem die Klage vor dem BSG zurückgenommen wurde, ist dieses Urteil sowie das vorinstanzliche Urteil des SG Augsburg wirkungslos.

 

Normenkette

SGB II § 1 Abs. 3 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 2, Abs. 3 Sätze 1, 3 Nr. 1, § 8 Abs. 2; EGV 883/2004 Art. 1 Buchst. i, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 S. 2, Art. 4, 7, 8 Abs. 1, Art. 70 Abs. 3; Richtlinie 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 14 Abs. 4 Buchst. b, Art. 16 Abs. 4, Art. 24 Abs. 1-2; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 7, § 4a Abs. 7; AEUV Art. 4, 18, 21, 45, 288; EGV Art. 12, 18, 39; EGV 1408/71 Art. 1 Abs. 1, Art. 3; EFA Art. 2 Buchst. a Nr. 1; GG Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 20 Abs. 3; SGB VI § 9 Abs. 1, §§ 10, 11 Abs. 1-2; SGG § 54 Abs. 4, § 77; BGB § 133

 

Tenor

I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Oktober 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 02.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 01.05.2012 bis zum 17.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 585,93 Euro zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit seiner Berufung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.05.2012 bis zum 17.06.2012, wobei zwischen den Beteiligten im Wesentlichen streitig ist, ob er als italienischer Staatsangehöriger von diesen Leistungen ausgeschlossen ist.

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Ausweislich des in den Akten befindlichen Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung Schwaben war er im Zeitraum 01.09.1981 bis 10.10.2003 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt beziehungsweise im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Insgesamt sind Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung für 244 Monate entrichtet.

Am 21.06.2011 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei der Antragstellung gab er an, er habe in den letzten zehn Jahren in Italien gelebt und dort gearbeitet. Seit Januar 2011 sei er wieder in Deutschland. Er habe bei seiner Schwester gewohnt, von der er auch finanziell unterstützt worden sei. Seit dem 16.06.2011 halte er sich in B-Stadt auf. Die am 04.07.2011 ausgestellte Bescheinigung zur Freizügigkeitsberechtigung nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) gibt als Datum der letzten Einreise den 17.11.2010 an.

Mit Bescheid vom 11.07.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger die Regelleistung nach dem SGB II ab 16.06.2011 bis zum 31.12.2011 und mit Bescheid vom 30.11.2011 ab 01.01.2012 bis zum 30.06.2012.

Am 28.02.2012 teilte das Bezirkskrankenhaus B-Stadt mit, dass der Kläger dort seit dem 27.02.2012 für voraussichtlich vier Wochen stationär behandelt werde. Nach Verlängerung der Behandlung um zwei Wochen erfolgte die Entlassung am 10.04.2012.

Mit Bescheid vom 02.04.2012 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 01.05.2012 vollständig auf. Der Kläger sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da er sich nur zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalte. Auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) könne ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht mehr begründet werden, da die Bundesrepublik Deutschland zwischenzeitlich einen Vorbehalt erklärt habe. Die Leistungsbewilligung werde wegen der insoweit eingetretenen Änderung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.

Der Kläger legte gegen den Aufhebungsbescheid keinen Widerspruch ein.

Am 02.05.2012 ging beim Beklagten ein Weiterbewilligungsantrag vom 30.04.2012 ein, der mithilfe der Drogenhilfe S. gemeinnützige GmbH (B-Stadt) ausgefüllt und von dieser...

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