Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Anspruchsübergang. Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruchs. Bewilligung der Löschung eines Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts am Hausgrundstück des Sohnes. hinreichende Bestimmtheit der Überleitungsanzeige. fehlende Negativevidenz

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Überleitung von Schenkungsrückforderungsansprüchen.

 

Orientierungssatz

1. Zu den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit einer Überleitungsanzeige nach § 93 Abs 1 SGB 12.

2. Das Bestehen des Anspruchs muss zum Zeitpunkt der Überleitung nicht feststehen und ist mithin keine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Überleitungsanzeige. Eine Überleitung kommt nur dann nicht infrage und ist damit rechtswidrig, wenn das Bestehen des übergeleiteten Anspruchs nach materiellem Recht offensichtlich ausgeschlossen und die Überleitung damit erkennbar sinnlos ist (sog Negativevidenz).

3. Die Bewilligung der Löschung des Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts am Hausgrundstück ihres Sohnes durch die Leistungsberechtigten kann eine Schenkung im Sinne des § 516 BGB darstellen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 23.02.2023; Aktenzeichen B 8 SO 9/21 R)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 55.000 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Überleitung von Schenkungsrückforderungsansprüchen.

Der 1964 geborene Kläger hat noch drei Schwestern. Seine 1938 geborene Mutter (verst. am 21.05.2021), die frühere Beigeladene, und sein Vater (geb. 1935, verst. am 12.02.2019) lebten zunächst in K (Landkreis A), bevor sie in ein Seniorenheim in S zogen. Beim Vater des Klägers war ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 festgestellt und er war in Pflegestufe I eingestuft (Schreiben der AOK Bayern vom 04.09.2012). Die Mutter des Klägers hatte einen GdB von 80 mit den Merkzeichen G und B und hatte zunächst ebenfalls Pflegestufe I, seit 2017 Pflegegrad 4 (Schreiben der AOK Bayern vom 29.02.2012 und vom 02.12.2016). Die Eltern des Klägers bezogen jeweils eine Altersrente der D Rentenversicherung Nordbayern; seit dem Monat nach dem Tod ihres Mannes erhielt seine Mutter außerdem eine Hinterbliebenenrente (Schreiben der D Rentenversicherung Nordbayern vom 26.04.2019). Ferner bezog sie von der Stadt F Wohngeld (Bescheide vom 18.09.2020 und 18.11.2020).

Im September 2014 wurde beim Beklagten für die Eltern des Klägers ein Antrag auf Sozialhilfe gestellt. Dabei wurde auch angegeben, dass Ansprüche in Form eines Wohnrechts bestünden, und es wurde ein Übergabevertrag vorgelegt.

Mit notariellem Vertrag (Urkunde des Notars H vom 19.03.1999) hatten die Eltern des Klägers diesem ihr Hausgrundstück in K (Grundfläche 787 qm) sowie Gartenland und eine Waldfläche (185 qm und 270 qm) zum Alleineigentum übergeben. Der Kläger hatte den Übergebern auf Lebensdauer ein Wohnungs- und Benutzungsrecht an sämtlichen Räumen im Erdgeschoss des Anwesens und einem Kellerraum eingeräumt. Die Ausübung des Wohnungsrechts durfte Dritten entgeltlich oder unentgeltlich überlassen werden. Ferner verpflichtete sich der Kläger, die Wohnung wohn- und heizbar herzurichten und stets in diesem Zustand zu erhalten. Sämtliche Kosten habe der Eigentümer mitzuentrichten, ausgenommen Kosten für Schönheitsreparaturen, Heizung, Strom, Wasser, Müllabfuhr, Kanalisation, Kaminkehrer und sonstige Nebenkosten, welche die Eltern für ihren Anteil selbst zu tragen hatten. Das Wohnungs- und Mitbenutzungsrecht wurde als beschränkte persönliche Dienstbarkeit eingetragen und hinsichtlich der weiteren Flächen ein Nießbrauch zugunsten des Vaters des Klägers, bei dessen Ableben der Mutter des Klägers. Der Kläger verpflichtete sich außerdem, seinen Schwestern je 30.000 DM als Elterngut zu zahlen. Alle Kinder verzichteten auf ihr Pflichtteilsrecht.

In einem notariellen Testament, ebenfalls vom 19.03.1999, setzten die Eltern des Klägers sich gegenseitig - der Erstversterbende den Längerlebenden - zum alleinigen und unbeschränkten Erben ein. Die Kinder wurden zu gleichen Teilen zu Erben des Längerlebenden eingesetzt.

Unter dem 22.08.2014 bewilligten und beantragten die Eltern des Klägers die Löschung ihres Wohnungsrechts und des Nießbrauchs (Urkunde des Notars H vom 22.08.2014); die Löschung im Grundbuch erfolgte am 26.09.2014.

Zum 26.02.2015 zog die Mutter des Klägers und zum 01.05.2015 der Vater des Klägers zur Dauerpflege in ein Altenpflegeheim in D.

Der Beklagte teilte dem Kläger mit zwei Schreiben vom 23.06.2015 mit, die Löschung des Wohnungsrechts ohne Gegenleistung sei als Schenkung anzusehen. Seine Eltern könnten ihren Lebensunterhalt nicht mehr sicherstellen, insofern sei Verarmung eingetreten und es bestehe ein Anspruch auf Herausgabe des Geschenks. Der Kläger könne entweder den noch zu ermittelnden vollen Ausgleichsbetrag oder den monatlich für den Unterhalt erforderlichen Betrag z...

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