Entscheidungsstichwort (Thema)

Landwirtschaftliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz. nicht erwerbsmäßige Pflege. Hofübergabevertrag. Leibgeding. Wart und Pflege in Tagen des Alters oder der Gebrechlichkeit. Arbeitsunfall. Versicherte Tätigkeit. Landwirtschaftliches Unternehmen

 

Leitsatz (amtlich)

Wird in einem Hofübergabevertrag als Leibgeding unter anderem eine "Wart und Pflege in Tagen des Alters oder der Gebrechlichkeit" vereinbart und verunfallt der Hofübernehmer bei der Pflege des Hofübergebers, steht er dennoch unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Hofübernahme führt nicht dazu, dass die Pflege als erwerbsmäßig und daher den Unfallversicherungsschutz ausschließend anzusehen ist.

 

Orientierungssatz

Die Regelung des § 3 S 2 SGB 6 kann für die Auslegung des Begriffs "nicht erwerbsmäßige Pflege" im Rahmen des § 2 Abs 1 Nr 17 SGB 7 herangezogen werden.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 5a, §§ 17, 8 Abs. 1, § 124 Nr. 1; SGB VI § 3 S. 2; SGB XI §§ 19, 37 Abs. 1 S. 3

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.06.2014; Aktenzeichen B 2 U 9/13 R)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 30. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger seinen Vater "erwerbsmäßig" oder "nicht erwerbsmäßig" pflegte, als er sich am 29.04.2010 bei dem Umsetzen seines Vaters vom Bett in den Toilettenstuhl das linke Knie verdrehte.

Dr. E. beschrieb mit Durchgangsarztbericht vom 17.05.2010 einen Reizerguss von ca. 10 ml im linken Kniegelenk ohne äußere Verletzungszeichen sowie röntgenologisch gesichert ohne Anhalt für eine knöcherne Läsion bzw. ohne Läsionszeichen des Bandapparates. Als Erstdiagnose wurde ein Verdacht auf eine Innenmeniskusläsion des linken Kniegelenkes vermerkt.

Der 1955 geborene Kläger hatte bereits mit notariellem Übergabevertrag vom 21.11.1978 von seinen Eltern das landwirtschaftliche Anwesen in M. / D. erhalten. Dort war als Gegenleistung u.a. folgendes unentgeltliches Leibgeding vereinbart worden:

- Verrichtung aller Hausarbeiten einschließlich Reinigung und Ausbesserung der erforderlichen Kleidung, Wäsche und Schuhe sowie Wart und Pflege in den Tagen des Alters, der Gebrechlichkeit und Krankheit, insbesondere auch Erledigung aller notwendigen oder zweckmäßigen Besorgungen;

- ein näher beschriebenes Wohnrecht in dem übergebenen Anwesen;

- die tägliche Tischkost zu allen Haupt- und Zwischenmahlzeiten gemeinsam mit dem Übernehmer, so wie dieser sie selbst genießt oder eine den Alters- und Gesundheitsverhältnissen entsprechende Kost;

- des Weiteren tägliche bzw. jährliche Naturalleistungen (z.B. täglich einen Liter frische Kuhvollmilch bzw. jährlich zwei Zentner Weizenmehl usw.);

- ein Taschengeld in Höhe von monatlich 100,00 DM;

- Zahlung aller Arzt-, Apotheker-, Krankenhaus- und Sterbekosten, soweit die Leistungsfähigkeit des Übernehmers reicht und soweit nicht Versicherungsträger bzw. staatliche oder andere Institutionen dafür aufkommen müssen;

- Benutzung des beim Anwesen vorhandenen Kraftwagens oder Traktors in angemessenem Umfang, wobei der Übernehmer auf Verlangen auch den Fahrer und den erforderlichen Treibstoff zur Verfügung zu stellen hat.

Der 1914 geborene und 2012 verstorbene Vater des Klägers erhielt von der Pflegekasse bei der AOK Bayern seit 01.07.2008 Leistungen nach der Pflegestufe I und seit dem 01.11.2008 Leistungen nach der Pflegestufe II. Grundlage hierfür war das Gutachten zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit des MDK Bayern vom 08.01.2009, welches den Pflegeaufwand des Klägers seit November 2008 mit 21 bis unter 28 Stunden beschrieb.

Die weiteren Ermittlungen der Beklagten bzw. der Beigeladenen ergaben, dass der landwirtschaftliche Betrieb zum Unfallzeitpunkt lediglich 2,47 ha umfasste und nicht mehr selbst bewirtschaftet wurde. Die Viehhaltung war 1991 oder 1992 aufgegeben worden; seit etwa 1998 waren die wesentlichen Flächen verpachtet worden (derzeitiger Pachtzins etwa 2.200.- € pro Jahr). Die Hofstelle diente dem Kläger und seinem Vater nur noch zu Wohnzwecken. Der Kläger übte wegen der Pflegebedürftigkeit seines Vaters seit Jahren keine weitere Beschäftigung aus. Neben dem von der Pflegekasse bei der AOK Bayern geleisteten Pflegegeld standen zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Klägers und seines Vaters dessen Renten (insgesamt ca. 900,00 EUR monatlich) zur Verfügung. Des Weiteren entrichtete die Pflegekasse bei der AOK Bayern auch die RV-Beiträge für den Kläger. Der Kläger war auch zum Betreuer seines Vaters bestellt worden.

Mit Bescheid vom 08.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.09.2011 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlass des Ereignisses vom 29.04.2010 ab. Der Kläger habe mit dem Übergabevertrag vom 21.11.1978 u.a. die Verpflichtung übernommen, die Pflege seines Vaters sicher zu stell...

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