Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Aussetzung der Vollstreckung nach § 199 Abs 2 SGG. Bewilligung von Grundsicherungsleistungen durch einstweiligen Rechtsschutz. Ermessensentscheidung. Interessenabwägung. existenzsichernde Leistung. keine inhaltliche Abänderung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Antrag nach § 199 Abs 2 SGG auf Aussetzung eines Leistungen nach dem SGB 2 gewährenden sozialgerichtlichen Eilbeschlusses hat in der Regel keine Erfolgsaussichten, da es um die Existenzsicherung von Betroffenen geht.

2. Eine inhaltliche Abänderung des erstinstanzlichen Beschlusses ist im Rahmen des Verfahrens nach § 199 Abs 2 SGG nicht möglich, sondern nur im Rahmen der Entscheidung über die Beschwerde.

3. Die Vollziehung kann nur bzgl des Beschlusses insgesamt (oder abtrennbare Vollstreckungsteile) ausgesetzt werden.

 

Tenor

I. Der Antrag, die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 1. April 2014 auszusetzen, wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin die außergerichtlichen Kosten des Aussetzungsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I.

Am 1. April 2014 hat das Sozialgerichts Landshut (SG) den Antragsteller (Ast) im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragsgegnerin (Ag) ab sofort Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 21.02.2014 bis 31.07.2014 zu bewilligen.

Die schwerbehinderte Ag befindet sich in ständiger psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung und erhält vom Ast laufend Leistungen nach dem SGB II. Die Ag ist Eigentümerin eines Wohnhauses mit einer Wohnfläche von 125 qm, das sie seit 01.03.2012 alleine bewohnt.

Auf Folgeantrag vom 27.12.2013 lehnte der Ast mit Bescheid vom 21.01.2014 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab 01.01.2014. Das Wohnhaus stelle verwertbares Vermögen dar. Die AG habe sich unzureichend um eine Verwertung gekümmert. Ihr gesundheitlicher Zustand lasse einen Umzug zu.

Das SG hat seine einstweilige Anordnung damit begründet, dass im Eilverfahren nicht geklärt werden könne, ob die Ag umziehen könne bzw. das Wohnhaus in angemessener Frist hätte verwertet werden können. Angesichts dieser unklaren Sachlage sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine Folgenabwägung vorzunehmen, die im Ergebnis dazu führe, dass das Interesse der Ag an Existenzsicherung die fiskalischen Interessen des Ast überwiegen, so dass der Ag Leistungen vorläufig zu gewähren seien.

Hiergegen hat der Ast Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, die unter Az.: L 7 AS 328/14 B ER im Senat anhängig ist, und gleichzeitig beantragt, die Vollziehung des Beschlusses des SG aufzuheben, hilfsweise insoweit abzuändern, dass lediglich ein um 30% abgesenkter Regelbedarf anzusetzen ist, eine Verzinsung der SGB II-Leistungen erfolgt und die Ag verpflichtet wird, eine dingliche Sicherungen der Leistungen einzurichten.

Die Ag hat sich bislang nicht geäußert.

II.

Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig.

Gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des § 199 Abs. 1 SGG liegt mit dem Beschluss des SG vor. Die Beschwerde des Ag hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 Satz 1 und 2 SGG).

Der Aussetzungsantrag ist jedoch nicht begründet.

Im Rahmen des nach herrschender Meinung (BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R; BSG Beschluss vom 05.09.2011, Az.: B 3 KR 47/01 R; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10 Aufl. 2012, § 199 Rz 8 mwN) auszuübenden Ermessens unter Abwägung der Interessen des Leistungsempfängers und der leistungspflichtigen Behörde ist eine Aussetzung nicht gerechtfertigt.

Zum einen handelt es sich hier um ein Eilverfahren, bei dem der in § 175 SGG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Beschwerden in der Regel keine aufschiebende Wirkung haben sollen. Eine Aussetzung kommt daher bei Beschwerden im Eilverfahren nur in ganz besonderen Ausnahmefällen in Betracht (BSG Beschluss vom 28.10.2008, Az.: B 2 U 189/08 B).

Zum anderen hat im Bereich existenzsichernder Leistungen ein Antrag nach § 199 Ab 2 SGG schon deshalb kaum Aussicht auf Erfolg, weil den Vorgaben des Bundesverfassungsgericht bzgl Eilverfahren für existenzsichere Leistungen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005, Az.: 1 BvR 569/05) hier ein besonderes Gewicht beikommt und Nachteile, die einem Leistungsträger durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen, regelmäßig nicht die Nachteile überwiegen, die einem Ast bei Versorgung einer existenzsicheren Leistung entstünden (so ausdrücklich BSG Beschluss vom 08.12.2009 Az.: B 8 SO 1/17/09 R sogar für die Nachzahlung von Leistungen für die Vergangenheit). Im Bereich des SGB II kann daher ein Antrag nach § 199 Abs 2 SGG nur in seltenen Fällen Erfolg haben und ist regelmäßig aussichtslos (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/L...

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