Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozesskostenhilfe. Beiordnung. Vergütung aus der Staatskasse. Verfahrensgebühr. Betreiben des Geschäfts. Mittelgebühr. Ermessen. Umfang der anwaltlichen Tätigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. In der Wahrnehmung eines Termins durch einen Rechtsanwalt liegt zugleich ein “Betreiben des Geschäfts”, so dass der Anwalt hierfür nicht nur eine Terminsgebühr beanspruchen kann, sondern auch eine Verfahrensgebühr.

2. Wird ein Rechtsanwalt erst im Laufe des Verfahrens beigeordnet, steht ihm die volle Verfahrensgebühr selbst dann zu, wenn zuvor ein anderer Anwalt tätig war und ebenfalls eine Verfahrensgebühr hat beanspruchen können. Eine anteilige Kürzung der Verfahrensgebühr kommt nicht in Betracht.

 

Normenkette

RVG § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 1 S. 1, § 14 Abs. 1 Sätze 1, 4, § 15 Abs. 1, § 45 Abs. 1, § 48 Abs. 1; ZPO § 122 Abs. 1 Nr. 3

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 30. April 2010 (S 10 SF 34/10 E) wird aufgehoben. Unter Abänderung der Kostenfestsetzung vom 14. April 2010 wird die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung des Beschwerdeführers auf insgesamt 525,70 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Höhe der Verfahrensgebühr, die dem Beschwerdeführer nach Beiordnung im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) aus der Staatskasse zusteht.

Im Klageverfahren am Sozialgericht Bayreuth S 15 AS 662/09 ging es um ungekürzte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die die Klägerin seit Klageerhebung am 03.07.2009 vertretende Rechtsanwältin teilte am 16.11.2009 mit, dass sie die Klägerin nicht mehr vertrete. Am 12.11.2009 zeigte der Beschwerdeführer an, dass er die anwaltliche Vertretung der Klägerin übernommen habe, und legte die am 10.11.2009 unterzeichnete Prozessvollmacht vor. Kurz vorher hatte das Sozialgericht einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage für 25.11.2009 anberaumt. Am 18.11.2009 begründete der Beschwerdeführer die Klage, stellte Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung und reichte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ein. Das Sozialgericht bewilligte Prozesskostenhilfe ab 18.11.2009 und ordnete den Beschwerdeführer bei (Beschluss vom 25.11.2009). Im Erörterungstermin am 25.11.2009 schlossen die Beteiligten einen verfahrensbeendenden Vergleich, wobei sich die Beklagte auch verpflichtete, der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu einem Drittel zu erstatten.

Mit Schriftsatz vom 26.11.2009 stellte der Beschwerdeführer Kostenerstattungsantrag für Prozesskostenhilfe. Die Vergütung für seine anwaltliche Tätigkeit im Rahmen der Prozesskostenhilfe bezifferte er auf 845,76 Euro und legte dabei eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG in Höhe von 250 Euro zugrunde (außerdem: Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200 Euro, Einigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 190 Euro, Fahrtkosten Nr. 7003 VV RVG 12 Euro, Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 1 VV RVG 6,67 Euro, Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20 Euro, Dokumentenpauschale für 120 Ablichtungen Nr. 7000 Nr. 1a VV RVG 32,05 Euro: netto 710,72 Euro, zzgl. 19 % MWSt 135,04 Euro: brutto 845,76 Euro; davon ein Drittel die Beklagte). Im Januar 2010 teilte er dem Sozialgericht mit, dass die Beklagte mittlerweile einen Betrag von 281,92 Euro angewiesen habe.

Die Kostenbeamtin setzte die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren am 14.04.2010 auf 430,50 Euro fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG

170,00 Euro

Terminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG

200,00 Euro

Einigungsgebühr, Nr. 1006 VV RVG

190,00 Euro

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 Euro

Reisekosten, Nr. 7003 VV RVG

12,00 Euro

Tage- und Abwesenheitsgeld, Nr. 7008 VV RVG

6,67 Euro

Zwischensumme:

598,67 Euro

19% Mehrwertsteuer, Nr. 7008 VV RVG

113,75 Euro

Rechtsanwaltsgebühren brutto 712,42 Euro

abzüglich Zahlung der Beklagten

281,92 Euro

Gesamt

430,50 Euro

Zur Kürzung der Verfahrensgebühr führte die Kostenbeamtin aus, dass diese sich zwar im gesetzlich gesteckten Gebührenrahmen bewege, aber überhöht sei. Unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit (Klagebegründung mit Antrag PKH und Vorlage PKH-Unterlagen, Vorbereitung auf den Termin, Entgegennahme PKH-Beschluss) sowie der Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin und deren Einkommensverhältnisse sei die Gebühr auf 170 Euro festzusetzen. Zu beachten sei hierbei, dass der Prozessbevollmächtigte erst mit Schreiben vom 12.11.2009 ins Verfahren eingetreten sei. Zwar werde die Mittelgebühr für das gesamte Verfahren als angemessen erachtet, jedoch sei die vorhergehende Tätigkeit (Klage zur Fristwahrung mit Antrag PKH, Klagebegründung 2,25 Seiten mit PKH-Unterlagen, Entgegennahme Terminsmitteilung) von einer anderen Anwältin geleistet worden, so dass die Gebühr reduziert werden müsse. Im übrigen wurde die Dokumentenpauschale nicht anerkannt.

Mit der Erinnerung hat der Beschwerdeführer begehrt, die Verfahrensgebühr antragsgemäß in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen. Richtig sei, dass die Tätigkeit des beigeordneten Anw...

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