Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenvorstellung. Statthaftigkeit. sachlich-rechtliche Unrichtigkeit der Beschwerdeentscheidung. Verwertungsverbot des § 51 BZRG

 

Orientierungssatz

Zur Statthaftigkeit der Gegenvorstellung.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.11.2002; Aktenzeichen B 9 V 3/02 S)

 

Tatbestand

Der Beschwerdegegner (Bg) begehrt mit der außerordentlichen Beschwerde die Aufhebung des Beschlusses des Senats vom 31.07.2002. Mit diesem Beschluss hat der Senat auf die Beschwerde des Beschwerdeführers (Bf) den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 20.08.2001 im Hinblick auf § 51 Bundeszentralregistergesetz (BZRG) aufgehoben und die vorläufige Weitergewährung der Versorgungsleistungen des Bf angeordnet. Der Bg hatte die Versorgungsleistungen gemäß § 1a Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit während der Herrschaft des Nationalsozialismus entzogen, nachdem er ein Urteil des Landgerichts Frankfurt/Main vom 19.08.1968 beigezogen hatte. Danach war der Bf wegen Beihilfe zum Mord (Tötung von mehreren Tausend Juden) zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden.

Der Bg hält den Beschluss vom 31.07.2002 für grob fehlerhaft und damit greifbar gesetzeswidrig, weil der Senat "die Sichtweise allein auf das Vorliegen eines Verwertungsverbots verengt" habe. Es könne dahinstehen, ob § 51 BZRG einer Verwertung des Strafurteils entgegenstehe. Die Versorgungsverwaltung knüpfe nämlich nicht an eine strafgerichtliche Verurteilung an, sondern bewerte den Sachverhalt unter versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten. Zur Prüfung des im Rahmen des § 1a BVG nachzuweisenden Verstoßes gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit hätte die Versorgungsverwaltung ebenso gut die Ermittlungsakten auswerten können. Darüber hinaus hätte sie in den Akten genannte und noch lebende Zeugen vernehmen können. Selbst die Vernehmung der Mitglieder des Strafgerichts wäre als zulässiges Beweismittel denkbar.

Der Bf wurde zur außerordentlichen Beschwerde gehört.

 

Entscheidungsgründe

Die außerordentliche Beschwerde des Bg wird vom Senat als Gegenvorstellung gewertet (vgl Meyer-Ladewig, SGG 7. Auflage § 177 Rdnr 3). Eine Gegenvorstellung ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise dann zugelassen, wenn rechtskräftige Entscheidungen auf Antrag im Wege der Selbstkontrolle zu beseitigen sind, weil sie unter eindeutiger Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör oder unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters zustande gekommen sind, oder weil sie jeder gesetzlichen Grundlage entbehren (BSG B 9 V 6/01 BH uVerw auf Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. November 2000 -- 5 B 65/00 -- NJW 2001, 1294 f und BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 24 mwN). Eine weitere Beschwerde wäre nur dann statthaft, wenn die Entscheidung des Gerichts jeder gesetzlichen Grundlage entbehren würde, inhaltlich dem Gesetz fremd oder willkürlich wäre (Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, 24.Auflage § 567 Rdnr 8 mVerw auf Rspr des Bundesgerichtshofs -- BGH --). Die Rechtsprechung nimmt das nur an, wenn die Entscheidung greifbar gesetzwidrig ist und auf einer Auslegung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und Zweck des Gesetzes widerspricht sowie eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (aaO mRsprN). Ein Extremfall greifbarer Gesetzeswidrigkeit liegt nicht schon vor, wenn erhebliche Verfahrensverstöße unterlaufen sind oder eindeutige Gesetzesverstöße vorliegen, auch nicht bei Grundrechtsverletzungen (aaO; OLG Zweibrücken NJW 87, 2590). Die Entscheidung muss vielmehr mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar sein, zB wenn eine Entscheidung dieser Art, dieses Inhalts, dieser Stelle, aufgrund dieses Verfahrens im Gesetz gar nicht vorgesehen ist (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 172 Rdnr 8 uVerw auf BGH-Rspr).

Die Gegenvorstellung ist nicht statthaft, weil sie mit der sachlich-rechtlichen Unrichtigkeit der Beschwerdeentscheidung begründet wird. Der Bg macht nicht geltend, dass der Beschluss jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt. Dies folgt schon daraus, dass er zur Begründung seiner Gegenvorstellung allein eine sachlich-rechtliche Unrichtigkeit der Entscheidung vorträgt. Letztlich beruht die Gegenvorstellung auf einer Verkennung der Rechtswirkung des Verwertungsverbots des § 51 BZRG. Es ist aber daran festzuhalten, dass bei Tilgungsreife einer Straftat dem Betroffenen Tat und Verurteilung im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen. "Im Rechtsverkehr" erfasst alle Rechtsverhältnisse und Rechtsbeziehungen, unabhängig davon, ob es sich um materiell- oder verfahrensrechtliche Vorschriften handelt (BGH Urteil vom 11. Februar 1998 -- IV ZR 306/96 --, NJW-RR 1998, 744 - 745 uVerw auf Rebmann/Uhlig, BZRG 1985 § 51 Rdnr 26 mwN). Aus § 51 Abs 1 BZRG folgt ein unmittelbares Verwertungsverbot, das auch ein Beweisverbot en...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge