Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Übernahme von Mietschulden gem § 34 SGB 12. Übernahme von künftigen Mietzahlungen nach § 67 SGB 12. unbestimmter Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse. Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "sozialen Schwierigkeiten". Maßnahmen iS des § 68 Abs 1 S 1 SGB 12. Notwendigkeit der Abwendung sozialer Schwierigkeiten. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

Nach der Regelung des § 34 SGB 12, die sich im Unterschied zu § 15a BSHG ausschließlich auf die Übernahme von Schulden bezieht, scheidet eine Übernahme künftiger Mietzahlungen für Personen aus, die sich im Strafvollzug befinden.

 

Orientierungssatz

1. Ein Rechtsanspruch auf Übernahme künftiger Mietzahlungen ergibt sich aus § 67 Abs 1 S 1 SGB 12. Der unbestimmte Rechtsbegriff der besonderen Lebensverhältnisse wird in § 1 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001) konkretisiert. Danach bestehen besondere Lebensverhältnisse bei Personen, die aus einer geschlossenen Einrichtung entlassen werden. Dies betrifft auch die Entlassung aus der Haft.

2. Bei einem Alleinerziehenden mit sechs Kindern ist bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "sozialen Schwierigkeiten" iS des § 1 Abs 3 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001) auch die in Art 6 Abs 1 iVm Abs 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm zu beachten, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und familiäre Bindungen zu berücksichtigen hat.

3. Maßnahmen iS des § 68 Abs 1 S 1 SGB 12 sind Maßnahmen zur Erhaltung oder Beschaffung einer Wohnung. Zwar bestimmt § 4 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001), dass die Maßnahmen zur Erhaltung einer Wohnung auch Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB 12, insbesondere nach § 34 SGB 12 umfassen. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass sich die Hilfeleistung nach §§ 67, 68 SGB 12 nach den gesetzlichen Voraussetzungen des § 34 SGB 12 bestimmt. § 4 Abs 2 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (juris: BSHG§72DV 2001) ist als Rechtsfolgenverweisung und nicht als Rechtsgrundverweisung zu verstehen (vgl LSG Essen vom 30.6.2005 - L 20 B 2/05 SO ER).

4. Die Notwendigkeit zur Abwendung der sozialen Schwierigkeiten iS des § 68 SGB 12 besteht nur dann, wenn der Eintritt der sozialen Schwierigkeiten unmittelbar droht. Insoweit kann bei einer länger andauernden Inhaftierung - vorbehaltlich der wie hier vorliegenden besonderen Umstände des Einzelfalls - nicht von einer drohenden Obdachlosigkeit gesprochen werden. Dauerhilfen fallen nicht unter § 68 SGB 12.

 

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bayreuth vom 27.07.2009 aufgehoben und der Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin die Kosten der Unterkunft F. in P. ab 01.05.2009 bis 28.11.2009 einschließlich Nebenkosten in Höhe von monatlich 900,00 EUR vorläufig zu zahlen.

II. Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin beider Instanzen trägt der Antragsgegner.

III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten einer Wohnung während der Zeit der Inhaftierung.

Die 1970 geborene Antragstellerin (ASt) ist allein erziehend und bewohnt gemeinsam mit ihren sechs minderjährigen Kindern seit 2006 eine Wohnung in P.. Sie hat an Grundmiete 700,- € und an Nebenkosten pauschal 200,- € an den Vermieter monatlich zu entrichten.

Die ASt befindet sich seit dem 03.04.2009 in Haft. Das voraussichtliche Haftende war zunächst der 18.06.2009, nach Widerruf der Bewährung einer anderen Strafe ist das voraussichtliche Haftende nunmehr der 18.02.2010. Frühest möglich kommt eine Entlassung am 28.11.2009 in Betracht (Auskunft der Justizvollzugsanstalt vom 30.06.2009). Aufgrund der Inhaftierung der ASt wurden die Kinder in Pflegefamilien untergebracht.

Mit Antrag vom 09.04.2009 beantragte die ASt bei dem Antragsgegner (Ag) die Übernahme der Miete ab Mai 2009 auf Darlehensbasis für die Dauer der Inhaftierung. Mit Bescheid vom 30.06.2009 lehnte der Ag den Antrag ab. Nach § 34 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) könnten für Insassen von Justizvollzugsanstalten Leistungen zur Beibehaltung einer Wohnung gewährt werden, wenn es sich um einen kurzfristigen Freiheitsentzug handelt, d.h. bis maximal sechs Monate (Hinweis auf Nr 34.05 der Sozialhilferichtlinien des Bayer. Städtetages, des Bayer. Landkreistages und des Verbandes der Bayer. Bezirke -SHR-). Aufgrund der Haftdauer und Abwägung der zu gewährenden Leistungen sei der Antrag abzulehnen.

Zur Begründung des am 07.07.2009 erhobenen Widerspruchs wies die ASt darauf hin, dass die Aufgabe der Wohnung für sie eine unzumutbare Härte darstellen würde. Sie habe erhebliche Schwierigkeiten...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge