1 Leitsatz

Ein Wohnungseigentümer kann die Verletzung seiner Rechte als Sondereigentümer geltend machen, wenn seine Wohnung einem Bauvorhaben unmittelbar gegenüberliegt und diese durch von den vorgesehenen Parkplatzflächen verursachten Lärm stärker als das gemeinschaftliche Eigentum oder das Sondereigentum anderer Wohnungseigentümer betroffen ist.

2 Normenkette

§ 42 Abs. 2 VwGO

3 Das Problem

Wohnungseigentümerin K wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der X von der Baubehörde B erteilte Baugenehmigung für den Teilabbruch eines Bürogebäudes sowie den Neubau eines Apartment-Hotels. Es geht um ein Allgemeines Wohngebiet. Das VG lehnt den Antrag ab. Der Antrag sei zwar zulässig. K sei analog § 42 Abs. 2 VwGO zwar nicht in ihrer Eigenschaft als Miteigentümerin am Grundstück, aber in ihrer Eigenschaft als Sondereigentümerin einer Wohnung auf diesem Grundstück antragsbefugt. Es erscheine möglich, dass das Vorhaben der X gerade auch K betreffe und insbesondere gegen das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme verstoße, denn K's Wohnung liege dem Vorhaben der C unmittelbar gegenüber.

Der Antrag sei jedoch unbegründet. Das öffentliche Interesse und das Interesse der X, von der kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Baugenehmigung Gebrauch machen zu dürfen, überwögen das private Interesse der K, von deren Wirkungen vorläufig verschont zu bleiben. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung bestünden in der Hauptsache keine Aussichten auf Erfolg, da die Baugenehmigung aller Voraussicht nach rechtmäßig sei und K nicht in ihren Rechten verletze. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der K.

4 Die Entscheidung

Mit Erfolg! Das VG habe K's Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung zu Unrecht abgelehnt. K sei, wie vom VG ausgeführt, analog § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Nach § 37 Abs. 8 Satz 2 LBO-BW dürfe die Nutzung von Kfz-Stellplätzen und Garagen die Gesundheit nicht schädigen. Auf dieses Recht könne sich K berufen, da ihre Wohnung insbesondere durch den von den vorgesehenen Parkplatzflächen verursachten Lärm stärker als das gemeinschaftliche Eigentum oder das Sondereigentum anderer Wohnungseigentümer betroffen sei.

Der Antrag sei auch ohne Weiteres begründet. Denn mit Blick auf die feststellbare Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung, eine daraus folgende Verletzung der K in eigenen Rechten und die damit bestehenden Erfolgsaussichten der Klage überwiege das Aufschubinteresse der K (§ 80 Abs. 1 VwGO) das Interesse der X an einer sofortigen Vollziehung. Für eine weitergehende Folgenabwägung – unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Folgen für X und der Auswirkungen auf K – bleibe kein Raum, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit kein öffentliches Interesse bestehen könne.

5 Hinweis

Problemüberblick

Wohnungseigentümerin K geht gegen eine Baugenehmigung für das Nachbargrundstück vor. K befürchtet u. a. Lärm, der von den geplanten Stellplätzen ausgeht.

Klagebefugnis: Gemeinschaftliches Eigentum

In Bezug auf das gemeinschaftliche Eigentum ist nach § 9a Abs. 2 WEG nur die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer klagebefugt. Diese Klage muss gem. §§ 18 Abs. 1, 27 Abs. 1 WEG die Verwaltung organisieren. Wenn ein Bau, der auf dem Nachbargrundstück geplant wird, droht, die Interessen der Wohnungseigentümer zu verletzen, muss sie den Wohnungseigentümern vorschlagen, gegen das Vorhaben vorzugehen. Ist es eilig, muss sie nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG sogar selbst das Notwendige veranlassen. Die Verwaltungen legen an dieser Stelle bundesweit noch viel zu häufig ihre Hände in den Schoß und vertrauen darauf, dass sich ein Wohnungseigentümer wehrt.

Klagebefugnis: Sondereigentum

Ein Wohnungseigentümer kann sich gegen eine Baugenehmigung nur in Bezug auf sein Sondereigentum wehren. Maßgeblich ist meines Erachtens dabei jeder dem Sondereigentum drohende Nachteil. Der VGH meint indes – wenigstens mittelbar – eine Wohnung (= das Sondereigentum) müsse stärker als das gemeinschaftliche Eigentum oder das Sondereigentum anderer Wohnungseigentümer betroffen sein. Diese Einschränkungen sind mir nicht nachvollziehbar. Das Sondereigentum ist echtes Eigentum. Ob (auch) das gemeinschaftliche Eigentum betroffen ist – oder das Sondereigentum anderer Wohnungseigentümer – ist für die Klagebefugnis ebenso unerheblich wie das Maß der Betroffenheit.

6 Entscheidung

VGH Mannheim, Beschluss v. 4.4.2022, 5 S 395/22

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