Leitsatz (amtlich)

  • Reisen von Angestellten eines Rationalisierungsunternehmens im Außendienst zu den auswärts belegenen, von dem Rationalisierungsunternehmen betreuten Firmen gelten in aller Regel als Arbeitszeit, sofern sich nicht aus Gesetz, Kollektiv- oder Einzelvertrag etwas anderes ergibt.
  • Wenn aus einer Vielzahl von Vergütungsansprüchen für Reisestunden ein Teilbetrag eingeklagt wird, muß der Kläger, um dem Bestimmtheitserfordernis des §253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO zu genügen, angeben, für welche Reisestunden er Vergütung verlangt. Eine solche Angabe kann auch noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (Bestätigung von BAG 8, 333 [338] 0 AP Nr. 56 zu § 3 TO.A).
 

Normenkette

BGB § 611; ZPO § 253 Abs. 2 Buchst. 2

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 19.02.1962; Aktenzeichen 5 Sa 457/61)

 

Tenor

  • Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf – 5. Kammer – vom 19. Februar 1962 – 5 Sa 457/61 aufgehoben.
  • Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

  • Der Kläger war in der Zeit vom 12. Januar 1959 bis zum 31. Dezember 1960 in dem von der Beklagten mit Sitz in D… betriebenen Rationalisierungsunternehmen als sogenannter Rationalisierungsfachmann angestellt. Er war im Außendienst tätig.

    In dem Anstellungsformularvertrag des Klägers mit der Beklagten vom 24. März 1959 sind folgende hier interessierende Absprachen getroffen worden:

    • “…

      Der Angestellte verpflichtet sich; bei Weisung des Unternehmers außerhalb des Dienstortes des Unternehmers in Orten des Tätigkeitsbereiches der Firma seine Dienste zu leisten. …

    • Hinsichtlich der Arbeitsweise und des Arbeitseinsatzes gilt folgende Regelung:

      • Die Geschäftsleitung ordnet an, ob, wann und wo der Angestellte im Außendienst eingesetzt wird; ein Anspruch auf Einsatz im Außendienst besteht nicht.

        Ist der Angestellte nicht im Außendienst eingesetzt, so ist er verpflichtet, seine Arbeitskraft dem Unternehmer zur Dienstleistung nach Anweisung des zuständigen Abteilungsleiters zur Verfügung zu stellen. ...

      • Für seine Tätigkeit im Außendienst erhält der Angestellte bei Entstehen von Reisekosten eine Vergütung solcher Kosten zum und vom zugewiesenen Einsatzort. …

        Für Verpflegung und Unterkunft einschließlich der anfallenden Nebenkosten (Trinkgelder u.ä.) wird ein Pauschalsatz von DM 25,- je Tag bzw. der Satz, der nach den innerbetrieblichen Regelungen abweichend hiervon festgelegt ist, gewährt. Für nicht volle Tage wird der zulässige Anteil gewährt.

        Erfolgt die Außendiensttätigkeit im Stadtbereich D , so ermäßigt sich der Pauschalsatz auf DM 9,- je Tag oder den zulässigen Anteil für nicht volle Tage. …

    • Hinsichtlich der Nähe, der Art und Zahlungsweise der Vergütung wird unter Abänderung des bisherigen Vertrags – unter Aufrechterhaltung des Probearbeitsverhältnisses – mit Wirkung vom 8. März 1959 folgendes vereinbart:

      • Der Angestellte erhält ein Gehalt von DM 200,- brutto je Woche.
      • Neben dem Gehalt von DM 200,- (Ziffer A) wird zusätzlich eine Erfolgsvergütung in folgender Weise und unter folgenden Voraussetzungen gezahlt:

        Nach endgültigem Erhalt des Gegenwertes des Rechnungsbetrages, zu dessen fristgemäßer Einziehung (im Sinne der entsprechenden Ziffern des Formulars 56) der Angestellte verpflichtet ist, erhält der Angestellte für die von ihm individuell in einer Woche je Kunde in Rechnung gestellten Rationalisierungsdienst-Stunden bei mehr als 30 Stunden:

        • bei Regular Business:

          DM 7,

          – für jede Stunde von der 31. bis 40. Stunde einschließlich,

          DM 11,

          –für jede Stunde von der 41. bis 45. Stunde einschließlich,

          und

          DM 16,

          –für jede Stunde ab 46. Stunde.

          Bei einer Tätigkeit über 48 Stunden hinaus in einer Woche erhält der Angestellte zusätzlich zu den obigen Sätzen die gesetzlich vorgeschriebene Überstundenvergütung.

        • bei Small Business:

          DM 9,

          – für jede Stunde von der 31. bis 35. Stunde einschließlich,

          DM 16,

          – für jede Stunde von der 36. bis 40. Stunde einschließlich,

          und

          nach endgültigem Erhalt des Gegenwertes des Rechnungsbetrages eine Beteiligung von 1% für 110 und mehr Rationalisierungsdienst-Stunden je Kunde.

          Bei Arbeitsleistungen über die 40. Wochen-Arbeitsstunde hinaus werden dem Arbeitnehmer vom Unternehmen neben dem Gehalt lediglich DM 9,- je Stunde gezahlt.

          Bei Überstunden (Tätigkeit von mehr als 48 Stunden in einer Woche), die von der Geschäftsleitung angeordnet bzw. genehmigt sind, erhält der Angestellte zusätzlich zu den obigen Sätzen die gesetzlich vorgeschriebene Überstundenvergütung. …

    • Für den vorliegenden Vertrag gelten im übrigen die gesetzlichen Bestimmungen. …”

    In einem späteren Vertrag der Parteien vom 19. Mai 1960 ist die vorstehend mitgeteilte Ziffer 3 A und 3 B des Vertrages vom 24. März 1959 mit Wirkung vom 8. Mai 1960 wie folgt geändert worden:

    • “Der Angestellte erhält ein Gehalt von DM 150,- je Woche.

      • Neben dem Gehalt von DM 150,- (Ziffer A) wird zusätzlich eine Erfolgsvergütung in folgender Weise und unter folgenden Voraussetzungen gezahlt:

        Nach endgültigem Erhalt des Gegenwertes des Rechnungsbetrages, zu dessen fristgemäßer Einziehung (im Sinne der entsprechenden Ziffern des Formulars 56) der Angestellte verpflichtet ist, erhält der Angestellte für die von ihm individuell in einer Woche je Kunde in Rechnung gestellten Rationalisierungsdienst-Stunden bei mehr als 30 Stunden:

        • bei Regular Business:

          DM 7,

          – für jede Stunde von der 31. bis 40. Stunde einschließlich,

          DM l4,

          – für jede Stunde von der 41. bis 45. Stunde einschließlich,

          und

          DM 10,

          – für jede Stunde ab 46. Stunde,

          und – nach endgültigem Erhalt des Gegenwertes des Rechnungsbetrages – eine Beteiligung von 3% des dem Kunden für die eigene Tätigkeit in Rechnung gestellten Betrages.

          Bei einer Tätigkeit über 48 Stunden hinaus in einer Woche erhält der Angestellte zusätzlich zu den obigen Sätzen die gesetzlich vorgeschriebene Überstundenvergütung.”

  • Der Kläger hat behauptet, er habe bei seinem Außendienst im Jahre 1959, insgesamt 207, 15 Stunden und im Jahre 1960 insgesamt 288, 70 Stunden auf die Anreise von D aus zu den von ihm betreuten auswärtigen Unternehmen oder auf den Weg zwischen den einzelnen Einsatzorten verwendet. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senates vom 8. Dezember 1960 – 5 AZR 304/58 – AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit – hat er den Standpunkt vertreten, diese Zeiten müsse die Beklagte insoweit bezahlen, als er wöchentlich mehr als 30 Stunden im Einsatz gewesen sei. Er hat behauptet, er habe regelmäßig mehr als 45 – 60 Einsatzstunden wöchentlich geleistet. Außerdem habe er für die Beklagte noch sonstige Tätigkeiten ausgeführt, die unberechnet geblieben seien. Deshalb hätten seine Reisezeiten fast stets über einem Wochenpensum von 30 Stunden gelegen. Erleichterungen bei seinen Reisen durch Benutzung von Schlafwagen seien selten gewesen. Er hat den Standpunkt vertreten, deshalb müßten seine Reisezeiten als Vollarbeit gelten.

    Als Stundensätze für seine Reisezeiten seien die Beträge anzusetzen, die in Ziffer 3 B I der oben mitgeteilten Verträge für Regular Business vorgesehen sind. Soweit die Reisezeiten auf Sonn- und Feiertage fielen, stehe ihm zu diesen Stundensätzen noch ein Aufschlag von 50% zu.

    Hiervon ausgehend hat der Kläger im einzelnen dargelegt, daß ihm noch eine Vergütung in Höhe von 6.676,45 DM zustehe; mit der Klage hat er die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 1.008,- DM begehrt.

    Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Darstellung des Klägers über den Umfang seiner Reisen bestritten. Sie hat behauptet, ein Teil der vom Kläger erwähnten Reisezeiten sei dadurch bedingt gewesen, daß er in Köln und später in Linz a.Rh. gewohnt habe. Auch seien nicht alle Reisen für Regular Business durchgeführt worden, sondern zum Teil auch für Small Business. Die-Beklagte hat den Rechtsstandpunkt vertreten, sie brauche nach dem Inhalt der mit dem Kläger geschlossenen Verträge in keinem Falle Reisezeiten des Klägers zu bezahlen.

  • In den beiden Vorinstanzen ist der Kläger unterlegen. Mit der Revision verfolgt er sein Klageziel weiter.
 

Entscheidungsgründe

I.

  • Wenn, wie vorliegend, aus einer Vielzahl von Vergütungsansprüchen für Reisestunden im Gesamtbetrag von 6.676,45 DM ein Teilbetrag. von 1008,- DM geltend gemacht wird, muß der Kläger gemäß § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO im einzelnen angeben, für welche Reisestunden er Vergütung verlangt. Er kann dabei den eingeklagten Teilbetrag betragsmäßig bis zur Höhe der Klagesumme auf die einzelnen Reiseposten verteilen oder den geltend gemachten Anspruch als Hauptanspruch aus bestimmten Reiseposten und als Hilfsanspruch aus anderen bestimmten Reiseposten herleiten. Jedenfalls genügt es dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO nicht, wenn der Kläger weder das eine noch das andere tut (vgl. statt aller: BGH JZ 60, 28 mit Nachweisen und Anm. von Baumgärtel; ferner Baumbach-Lauterbach, ZPO, 27. Aufl., 1963 § 253 Anm. 5 B). Denn ohne eine solche Bestimmung bleibt ungewiß, in welchem Umfang der geltend gemachte Teilanspruch an der Rechtskraft eines klageabweisenden oder klagezusprechenden Urteils teilnimmt. Eine alternative Geltendmachung der verschiedenen für die Teilklage vorgetragenen Klagegründe ist aus den von Baumgärtel a.a.O. angeführten Gründen ebenso für unzulässig zu erachten wie die Überlassung der Bestimmung der Reihenfolge der verschiedenen möglichen Klagegründe durch das Gericht (vgl. Baumgärtel und Baumbach-Lauterbach, a.a.O).

    • Einer weiteren Vertiefung dieser Gesichtspunkte bedarf es jedoch vorliegend nicht. Auch noch in der Revisionsinstanz kann der Kläger den bisher aus § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO sich ergebenden Bestimmtheitsmangel dadurch beseitigen, daß er angibt, er verteile den Klagebetrag anteilsmäßig auf alle oder eine Reihe von bestimmten Reiseposten oder er stütze die Klage in der Hauptsache bis zur Erreichung des Klagebetrages auf die an erster Stelle angeführten Reiseposten und hilfsweise auf die später angeführten Reiseposten (vgl. BAG 8, 333 [338] = AP Nr. 56 zu § 3 TO.A mit Nachweisen).

      Von dieser Möglichkeit hat der Kläger in der Revisionsinstanz Gebrauch gemacht. Er verlangt den Klagebetrag von 1.008,- DM in erster Linie für Reisezeiten aus dem Jahre 1959 und hilfsweise für Reisezeiten aus dem Jahre 1960. Dabei sind die Reisezeiten gemeint, wie sie der Kläger in den Vorinstanzen in einer Anlage A (Bl. 5 VA) für beide Jahre chronologisch zusammengestellt hat, jedoch mit der Einschränkung, daß nur die Posten geltend gemacht werden, die mit dem jeweils ersten Posten für 1959 und 1960 angefangen – in ihrer chronologischen Reihenfolge zusammengerechnet für 1959 und 1960 nach dem vom Kläger aufgemachten Rechenwerk je 1.008,- DM ergeben.

II.

1. Das Landesarbeitsgericht hat die Berechtigung der vom Kläger verfolgten Ansprüche mit einer doppelten Begründung verneint. Es hat die Anstellungsverträge des Klägers in erster Linie dahin ausgelegt, darin sei vereinbart, daß Reisen der vom Kläger geltend gemachten Art überhaupt nicht abzugelten seien. Hilfsweise hat das Landesarbeitsgericht angenommen, die hier in Rede stehenden Reisen des Klägers seien durch die ihm gewährte Vergütung mit abgegolten.

a) Für seine Hauptannahme, es sei vereinbart daß die Reisen überhaupt nicht abzugelten seien, hat das Landesarbeitsgericht eine Reihe von Gründen angeführt: Es hat ausgeführt, für eine solche Annahme spreche, daß der Kläger während der langen Dauer seines Arbeitsverhältnisses keine Vergütung für die Reisen verlangt habe; auch sprächen die Verträge dafür, daß nur die am Einsatzort vom Kläger abgeleisteten Stunden zu bezahlen seien; bei einem Außendienst; wie er gemäß Ziffer 2 der Anstellungsverträge dem Kläger obgelegen habe, lägen Hin- und Rückreise zum Einsatzort nicht lediglich im Interesse der Beklagten. Es sei auch nicht außer acht zu lassen, daß die dem Kläger gewährte “Erfolgsvergütung gleich der von der geschuldeten Arbeitszeit nur mittelbar abhängigen Provision des Handlungsgehilfen das Einkommen wesentlich bestimmt, wie die zu den Akten gereichten Abrechnungen des Klägers zeigen, mit einem Einkommen von 1.027,- DM – 1.250,- DM = 907,- DM statt nur 400,- DM Gehalt” (Bl. 7 der Urteilsgründe). Auch sei zu beachten, daß es sich im vorliegenden Fall nicht um solch kurze Reisen handele wie in dem vom Bundesarbeitsgericht in AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit entschiedenen Fall, sondern um längere Reisen. Solche längeren Reisen entzögen sich aber, wie Schnorr von Carolsfeld in der Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit ausgeführt habe, einer Anrechnung auf die Arbeitszeit, insbesondere wenn es sich um solche von 14 Stunden handele, wie sie der Kläger zum Teil angegeben habe. Es sei auch rechtlich zulässig, zu vereinbaren, daß Reisezeiten nicht zu vergüten seien. Wenn dabei die in § 12 AZO vorgesehenen Ruhepausen nicht eingehalten würden, sei das nur im Hinblick auf die in § 25 AZO enthaltene Strafandrohung von Bedeutung. Privatrechtlich sei das unerheblich, solange nicht aus dem Gesichtspunkt des § 276 BGB Schadenersatz verlangt werde. Da nach der Darstellung des Klägers ein wesentlicher Teil der Reisen an Sonntagen stattgefunden habe, gelte die AZO überhaupt nicht, weil die AZO die Sonntagsarbeit überhaupt nicht regele. In Anbetracht der gesamten Vergütungsregelung und ihrer besonderen Staffelung bei Bezahlung der tatsächlichen Arbeitsstunden, soweit es sich um sogenannte Rationalisierungsstunden handele, sei auch eine Sittenwidrigkeit der Verträge nach § 138 BGB nicht gegeben.

b) Zu seiner Hilfsbegründung, die hier im Streit befindlichen Reisezeiten des Klägers seien durch die ihm gewährte Vergütung mit abgegolten, hat das Landesarbeitsgericht folgendes ausgeführt: Selbst wenn der Ausschluß einer Vergütung für die Reisestunden nach den vorliegenden Verträgen zu verneinen sei und diese Stunden in die vertraglich geschuldete Arbeitszeit einzurechnen seien, entfalle ebenfalls ein Anspruch des Klägers. Die in Ziffer 3 der Anstellungsverträge vorgesehene Vergütung diene der Abgeltung eines vertraglich vorausgesetzten und in Ziffer 2 der Verträge näher festgelegten Arbeitsumfanges. Nehme man an, die Reisestunden seien Arbeitszeit, so gehörten sie auch zu dem in Ziffer 2 der Verträge geregelten Aufgabengebiet des Klägers. Deshalb müsse der Kläger darlegen und beweisen, daß der zeitliche Umfang der von ihm geschuldeten Dienste von ihm überschritten worden sei, daß er also Überarbeit geleistet habe. Für das ihm gewährte Gehalt habe der Kläger 48 Stunden Arbeit wöchentlich leisten müssen und nicht, wie er annehme, nur 30 Stunden wöchentlich. Das ergebe sich klar aus Ziffer 3 B I letzter Absatz der Verträge, in dem für eine Arbeit von mehr als 48 Stunden wöchentlich die gesetzlich vorgeschriebene Überstundenvergütung vorgesehen sei. Soweit in Ziffer 3 B I für jede Rationalisierungsstunde ab der 31. Stunde eine gestaffelte Erfolgsvergütung vorgesehen sei, ändere das nichts daran, daß der Kläger für sein Gehalt 48 Stunden Arbeit schulde. Für 30 Rationalisierungsstunden habe er keine Sondervergütung nach näherer Maßgabe der Ziffer 3 B I beanspruchen können. Bei 31 oder mehr Rationalisierungsstunden habe er die in Ziffer 3 B I genannten Sätze zu beanspruchen gehabt, die neben sein Gehalt getreten seien. Ab der 49. Arbeitsstunde werde jede Rationalisierungsstunde mit 16,- DM und Überstundenzuschlag vergütet. Daß der Kläger etwa wegen der Reisezeiten den “Verkauf” von mit der Erfolgsvergütung zu bezahlenden Rationalisierungsstunden erst in der 50. oder späteren tatsächlichen Arbeitsstunde habe erreichen können, ergebe sein Vortrag nicht. Die höchste von ihm angegebene Reisezeit habe 14 Stunden betragen. Sie habe also Raum “für bisher bezahlte Rationalisierungsstunden” gelassen.

2. Die vom Landesarbeitsgericht gegebene Hauptbegründung ist fehlerhaft.

a) Wie der erkennende Senat (AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit mit weiteren Nachweisen) ausgeführt hat, sind Wegezeiten des Arbeitnehmers von der Betriebsstätte zu einem außerhalb der Betriebsstätte gelegenen Arbeitsplatz regelmäßig als Arbeitszeit zu vergüten, sofern nichts anderes vereinbart oder gesetzlich zulässig bestimmt ist (vgl. außer den in AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit genannten Nachweisen, auch BAG AP Nr. 4 zu § 2 TO.A). Diese Rechtsprechung hat auch in der Rechtslehre überwiegend Zustimmung gefunden (vgl. Herschel in AR-Blattei, Arbeitszeit I, Entscheidungen 1; Sommer, ArbuSozR 1961, 135, 136; Wlotzke, BABl.1961, 334). Auch Schnorr von Carolsfeld (Anm. AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit) ist ihr im Ergebnis voll und in der Begründung im wesentlichen beigetreten. Von ihr abzugehen sieht der Senat daher keinen Anlaß.

1b) Wenn das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall annimmt, für die hier in Rede stehenden Wegezeiten des Klägers sei eine Vergütung vertraglich abbedungen worden, so verstößt das gegen allgemeine Erfahrungssätze und enthält das daher einen Auslegungsfehler nach § 157 BGB. Es spricht wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Ausführungen des Senates in BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit ergibt, eine Vermutung dafür, daß ein Arbeitnehmer im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses wesentliche Dienstleistungen und damit auch Wegezeiten nennenswerter Art zu außerhalb der Betriebsstätte gelegenen Arbeitsplätzen nur gegen Entgelt erbringt (vgl. auch Urteil des erkennenden Senates vom 7. Mai 1962 – AZR 427/61 – AP Nr. 2 zu § 65 HGB). Bei Reisen des vom Kläger behaupteten Umfanges standen auch wesentliche Dienstleistungen in Rede. Der Inhalt der Anstellungsverträge bietet zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß. Daß längere Reisen mit größerer Berechtigung als entgeltfähige Arbeitsleistungen bewertet werden müssen als kürzere Reisen, ergibt sich schon aus der Überlegung, daß ein Arbeitnehmer darauf Bedacht nehmen muß, seine Freizeit und Arbeitskraft für seinen Lebensunterhalt zu verwerten und sie nicht zu verschenken. Die gegenteilige Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist daher abzulehnen. Daß der Kläger während des Bestehens seines Anstellungsverhältnisses die Bezahlung der Reisen nicht gefordert hat, läßt sich vielleicht mit rechtlicher Urkenntnis und mit der bei Arbeitnehmern manchmal anzutreffenden Einstellung erklären, einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses nach Möglichkeit aus dem Wege zu gehen. Für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, daß nach dem Inhalt der Verträge nur die am Einsatzorte zu leistende Arbeit des Klägers zu bezahlen gewesen sei, ergibt sich aus den Anstellungsverträgen kein Anhaltspunkt. Daß in ihnen (vgl. Ziffer 2 B) nur der Ersatz vor Reiseunkosten geregelt ist, besagt nichts darüber, daß die Reisezeiten keine Arbeitszeiten sein sollten. Wenn etwas Derartiges von den Parteien gewollt gewesen wäre, hätte das klar zum Ausdruck gebracht werden müssen. Anderenfalls muß die Regel gelten, daß derartige Wegezeiten entgeltfähige Arbeitsleistungen sind. Auch die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Reisen des Klägers zum Einsatzort hätten nicht lediglich im Interesse der Beklagten gelegen, ist unrichtig. Die Beklagte betreibt die Unternehmensrationalisierung, für deren Durchführung sie sich der Dienste von Angestellten bedient. Den aus diesem Unternehmenszweck erstrebten Verdienst kann sie für sich nur erreichen, wenn sie ihre Angestellten in die betreffenden Unternehmen, die sie betreut, entsendet. Deshalb bewertet wirtschaftliches Denken eine derartige Reiseleistung vor Angestellten, als die Überwindung von Raum und Zeit im Interesse des Arbeitgebers, weil der Arbeitnehmer damit Unternehmensinteressen wahrnimmt, die außerhalb der Betriebsstätte liegen (BAG AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit). Die Erfolgsbeteiligung, die dem Kläger eingeräumt war, rechtfertigt solange keine andere Beurteilung, als diese – wie hier – im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses gewährt wird. Diese Erfolgsbeteiligung orientierte sich der Höhe nach nicht an dem Umfang der vom Kläger getätigten Reisen, sondern lediglich an der Zahl der dem Kunden in Rechnung gestellten Rationalisierungsstunden, wenn diese pro Woche mehr als 30 Stunden betrugen. Sie war somit nur eine Prämie dafür, daß es dem Kläger gelang, seine Arbeiten insgesamt so einzuteilen, daß er auf die von ihm betreuten Kunden möglichst viele (sogenannte produktive) Rationalisierungsstunden verwenden konnte.

2

a) Zusammengefaßt ergibt sich somit, daß auch im vorliegenden Fall nichts gegen die erörterte allgemeine Regel spricht, daß Wegezeiten des Arbeitnehmers zu außerhalb der Betriebsstätte belegenen Arbeitsplätzen Arbeitsleistungen darstellen und als solche zu vergüten sind.

13.

2a) Die Hilfsbegründung des Landesarbeitsgerichts geht zusammengefaßt dahin, der Kläger habe für das ihm gewährte Fixgehalt und für die ab der 30. bis zur 48. Rationalisierungsstunde einsetzende Erfolgsvergütung 48 Stunden wöchentlich arbeiten müssen, wobei die Reisen als Arbeitsstunden gelten. Eine – unter Einschluß der Reisezeit – über 48 Wochenstunden hinausgehende Arbeitszeit sei mit dem gesetzlichen Überstundenzuschlag zusätzlich zu vergüten gewesen, wobei Rationalisierungsstunden – ohne Überstundenvergütung – mit 16,- DM zu bewerten seien, sofern sie 46 Stunden oder mehr in der Woche betragen.

3

4b) Diese Auslegung des Landesarbeitsgerichts läßt keinen revisiblen Auslegungsfehler erkennen. Die Anstellungsverträge gehen ausweislich ihrer Ziffer 3 B I und Ziffer 3 B II sowohl für “Regular Business” wie für “Small Business” von einer 48-stündigen Wochenarbeitszeit des Klägers insgesamt aus. Das ergibt sich aus der Stellung dieser Regelung innerhalb der Ziffern 3 B I und 3 B II. Wenn dort die Vergütung für Regular Business und für Small Business in der Form eines Wochenfixgehaltes und einer gestaffelten Erfolgsprämie im einzelnem geregelt ist und dann gesagt wird, bei mehr als 48-stündiger Wochenarbeit sei die gesetzliche Überstundenvergütung zu zahlen, dann läßt sich diese Regelung nur unter dem Gesichtspunkt verstehen, daß die 48-stündige Wochenarbeitszeit die Regel sein solle, innerhalb deren jedenfalls das Fixgehalt und gegebenenfalls; nämlich bei mehr als 30 in Rechnung gestellten Rationalisierungsstunden, für diese die gestaffelte Erfolgsprämie anfallen solle. Es spricht kein vernünftiger Grund dafür, weshalb die Beklagte sich herbeigelassen haben sollte, die regelmäßige Wochenarbeitszeit auf die ungewöhnlich niedrige Zahl von 30 Wochenstunden zu beschränken, zumal sie, wie der Kläger selbst für sich mit Recht in Anspruch nimmt, die Reisen des Klägers als Arbeitszeit des Klägers gegen sich gelten lassen muß. Es spricht andererseits auch nichts dafür, daß die Überstunden hätten pauschaliert abgegolten sein sollen, wie das rechtlich zulässig ist (vgl. BAG AP Nr. 5 zu § 611 BGB Mehrarbeitsvergütung).

5

6c) Fehlerhaft ist jedoch, wie auch die Revision zutreffend rügt, die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe nicht dargelegt, daß er Überstunden geleistet habe, die über 48 Wochenstunden hinausgingen. Nach dem eigenen Tatbestand des Urteils des Landesarbeitsgerichts (Bl. 4 der Urteilsausfertigung) hatte der Kläger behauptet, er habe in vielen Fällen außer 45 – 60 (eigentlichen) Arbeitsstunden noch zusätzlich, vor allem nachts oder sonntags, 5 bis 10 Stunden Reisezeit für die Beklagte wöchentlich erbracht. Dafür hatte er sich im einzelnen auf die von ihm zu den Akten gereichten Aufstellungen bezogen (Bl. 5 ff. VA), die – was allerdings nicht ganz klar ist – möglicherweise ebenfalls dahin zu verstehen sind, der Kläger habe – unter Ausschluß der Reisezeiten – in einer Reihe von Fällen mehr als 48 Stunden wöchentlich gearbeitet (VA Bl. 5, 6, Liste 1959 Nr. 3, 5, 6, Liste 1960 Nr. 15). Unter diesen Umständen hätte das Landesarbeitsgericht im einzelnen prüfen müssen, inwieweit die vom Kläger angeführten Einzelposten – soweit sie nach dem zu Ziffer I 2 dieser Entscheidungsgründe Ausgeführten im Streit sind – eine Überstundenbezahlung rechtfertigen, wenn man davon ausgeht, das die Reisezeiten als Arbeitszeit gelten und daß der Kläger für eine Arbeit von mehr als 48 Stunden in der Woche Überstundenvergütung fordern konnte.

7

a) Das Revisionsgericht kann diese vom Landesarbeitsgericht unterlassene Prüfung nicht vornehmen, weil es an tatsächlichen Feststellungen darüber fehlt, in welchem Umfang der Kläger gereist ist und sonstwie gearbeitet hat. Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, die die entsprechenden Feststellungen und Prüfungen nachzuholen haben wird (§§ 564, 565 Abs. 1, Abs. 3 Ziffer 1 ZPO)

4. Hinweise für die weitere Behandlung der Sache erscheinen unangebracht. Der Kläger hat sein Rechenwerk unter Gesichtspunkten aufgezogen, die unzutreffend sind, weil er davon ausgegangen ist, er habe nur eine 30-stündige oder 40- oder 45-ständige Arbeitszeit für sein Gehalt geschuldet. Er wird zur Erleichterung der Prozeßentscheidung seinen Vortrag dahin zu präzisieren haben, in welchen Wochen er unter Einschluß der Reisezeiten mehr als 48 Stunden gearbeitet hat und welche Überstundenvergütung er verlangt. Dabei wird er beachten müssen, das es keine generellen gesetzlichen Vorschriften des Inhaltes gibt, daß Nacht- und Sonntagsarbeit höher als Werktagsarbeit zu bezahlen sei (vgl. Nikisch, ArbR, Bd. 1, 3. Aufl., 1961, § 29 IV 4a und b S. 340, 341)

 

Fundstellen

Dokument-Index HI857011

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