Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung einer Betriebsvereinbarung

 

Leitsatz (redaktionell)

Wegen ihres normativen Charakters sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge gemäß den Regeln für die Auslegung von Gesetzen auszulegen. Maßgeblich ist danach zunächst der Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebspartner im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit dies erkennbar zum Ausdruck gekommen ist. Zu beachten ist dabei der Gesamtzusammenhang der Regelung, weil er auf den wirklichen Willen der Betriebspartner und damit auf den Zweck der Regelung schließen lassen kann.

 

Normenkette

BetrVG 1972 § 77

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 23.10.2001; Aktenzeichen 13 (2) Sa 460/01)

ArbG Köln (Urteil vom 19.02.2001; Aktenzeichen 1 Ca 7742/00)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 23. Oktober 2001 – 13 (2) Sa 460/01 –, soweit es der Anschlußberufung der Klägerin bezüglich der Auslegung der Betriebsvereinbarung „Dienstplanänderung”, gültig ab 1. Oktober 1999, stattgegeben hat, teilweise aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird auf die Anschlußberufung der Klägerin das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 19. Februar 2001 – 1 Ca 7742/00 – wie folgt abgeändert und neu gefaßt:

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist, gemäß der Dienstvereinbarung „Dienstplanänderung”, gültig ab 1. Oktober 1999, an die Klägerin ab der dritten kurzfristigen Dienstplanänderung, die in einen Monat fällt, bis einschließlich der sechsten Dienstplanänderung, die in denselben Monat fällt, als Entschädigung die Vergütung für einen zusätzlichen Arbeitstag (1/30 des Monatsgehaltes + Flugzulage gemäß § 3 VTV Kabine) zu zahlen.

3. Die weitergehende Anschlußberufung der Klägerin bezüglich der Auslegung der Betriebsvereinbarung „Dienstplanänderung”, gültig ab 1. Oktober 1999, wird zurückgewiesen.

4. Von den erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 4/20 und die Beklagte 16/20, von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 3/20 und die Beklagte 17/20 und von den Kosten des Revisionsverfahrens haben die Klägerin 2/20 und die Beklagte 18/20 zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch um die Auslegung einer Betriebsvereinbarung. Dabei geht es um die Frage, wann kurzfristige Dienstplanänderungen zusätzliche Vergütungspflichten für die Beklagte auslösen.

Die Klägerin ist seit dem 20. Mai 1998 bei der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt. Als Mitarbeiterin des fliegenden Personals fällt sie in den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung „Dienstplanänderung” für Bordpersonal, die die Beklagte am 2. März 1999 mit der Personalvertretung Bord abgeschlossen hat und die seit dem 1. Oktober 1999 in Kraft ist. Für kurzfristige Dienstplanänderungen bestimmt die Betriebsvereinbarung (BV):

”§ 3 Zulässigkeit von Dienstplanänderungen

1. Der Arbeitgeber darf bis zu zweimal im Monat den Dienstplan mit einer kürzeren Mitteilungsfrist als 72 Stunden (d.h. heute, morgen, übermorgen) ändern.

Er darf dies innerhalb eines Kalendervierteljahres kumulieren.

Fallen dabei drei oder mehr Planänderungen in einen Monat, erhält der betroffene Mitarbeiter als Entschädigung die Vergütung für einen zusätzlichen Arbeitstag (1/30 des Monatsgrundgehalts plus Flugzulage gem. § 3 VTV).

Sind weitere Planänderungen mit kurzer Mitteilungsfrist erforderlich, kann der Arbeitgeber einzelnen Mitarbeitern je Dienstplanänderung die Bezahlung eines zusätzlichen Tages anbieten.

Die Planänderung darf nur durchgeführt werden, wenn der betroffene Mitarbeiter ihr ausdrücklich zustimmt.”

Die Klägerin hat diese Betriebsvereinbarung dahin verstanden, daß die Beklagte verpflichtet sei, ab der dritten monatlichen kurzfristigen Dienstplanänderung sowie ab der siebten im Quartal für jede Dienstplanänderung einen zusätzlichen Arbeitstag zu vergüten.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt

festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, bei einer kurzfristigen Dienstplanänderung gemäß Betriebsvereinbarung „Dienstplanänderung” an die Klägerin ab der dritten Änderung im Monat bzw. der siebten Änderung im Quartal für jede kurzfristige Änderung des Diensteinsatzes jeweils als Entschädigung die Vergütung für einen zusätzlichen Arbeitstag (1/30 des Monatsgrundgehaltes plus Flugzulage gemäß § 3 VTV) zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, eine Zusatzvergütung falle nach der Betriebsvereinbarung nur an, wenn feststehe, daß im Quartal mehr als sechs solcher kurzfristigen Dienstplanänderungen anfielen, da bis zu dieser Grenze der Arbeitgeber die monatlich erlaubten zwei kurzfristigen Dienstplanänderungen kumulieren dürfe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage insoweit abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin war erfolgreich. Mit der Revision verfolgt die Beklagte das Ziel der Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist teilweise begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zwar die Betriebsvereinbarung in der Frage, wann zusätzliche Vergütungspflichten für die Beklagte eintreten, richtig ausgelegt, jedoch die Höhe dieser Zusatzvergütung falsch bestimmt.

I. Wegen ihres normativen Charakters sind Betriebsvereinbarungen wie Tarifverträge gemäß den Regeln für die Auslegung von Gesetzen auszulegen (st. Rspr., vgl. BAG 21. August 2001 – 3 AZR 746/00 – AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 10 = EzA BetrAVG § 1 Nr. 78; 17. November 1998 – 1 AZR 221/98 – AP BetrVG 1972 § 77 Auslegung Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 112 Nr. 101). Maßgeblich ist danach zunächst der Wortlaut. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebspartner im Hinblick auf Sinn und Zweck der Regelung zu berücksichtigen, soweit dies erkennbar zum Ausdruck gekommen ist. Zu beachten ist dabei der Gesamtzusammenhang der Regelung, weil er auf den wirklichen Willen der Betriebspartner und damit auf den Zweck der Regelung schließen lassen kann.

II. § 3 BV regelt sowohl die Zulässigkeit als auch die Vergütung von Dienstplanänderungen. In § 3 Abs. 1 BV werden dabei die kurzfristigen Dienstplanänderungen behandelt, also die Änderungen mit einer kürzeren Mitteilungsfrist als 72 Stunden.

Für deren Zulässigkeit ergibt sich aus § 3 Abs. 1 BV folgendes: Satz 1 der Vorschrift erlaubt zweimal im Monat eine kurzfristige Dienstplanänderung, die einseitig vom Arbeitgeber vorgenommen wird. Gemäß Satz 2 der Betriebsvereinbarung darf der Arbeitgeber „dies” innerhalb eines Kalendervierteljahres kumulieren. „Dies” kann sich dabei nur auf die Erlaubnis des vorangestellten Satzes 1 beziehen. Hat der Arbeitgeber also erst im dritten Monat eines Quartals die erste kurzfristige Dienstplanänderung vorzunehmen, so sind ihm in diesem Monat noch fünf weitere kurzfristige Dienstplanänderungen im Wege einseitiger Weisung erlaubt. Umgekehrt hat er, wenn er bereits im ersten Monat des Kalendervierteljahres sechs kurzfristige Dienstplanänderungen einseitig angeordnet hat, für den Rest des Quartals sein (einseitiges) Änderungsrecht verbraucht.

Enthalten also die ersten beiden Sätze von § 3 Abs. 1 BV Zulässigkeitsregeln für kurzfristige Dienstplanänderungen, so enthält § 3 Abs. 1 Satz 3 BV die erste Vergütungsbestimmung: Fallen „dabei” drei oder mehr Planänderungen in einen Monat, erhält der betroffene Mitarbeiter als Entschädigung die Vergütung „für einen zusätzlichen Arbeitstag”. „Dabei” bedeutet, daß sich die Zusatzvergütung auf die nach den ersten beiden Sätzen erlaubten – einseitigen – Dienstplanänderungen bezieht. Fallen – wegen der Kumulationsmöglichkeit – drei, vier, fünf oder gar sechs kurzfristige Dienstplanänderungen in einen Monat, so erhält der betroffene Mitarbeiter eine Entschädigung. Diese besteht in der Vergütung „für einen zusätzlichen Arbeitstag”. Im Höchstfall kann die Zusatzvergütung für einseitige Dienstplanänderungen pro Quartal der Vergütung für zwei zusätzliche Arbeitstage entsprechen, wenn nämlich der Arbeitgeber die sechs im Quartal gestatteten, kurzfristigen Dienstplanänderungen auf nur zwei Monate gleichmäßig verteilt, weil dann zwei mal drei Dienstplanänderungen in je einen Monat fallen und somit zweimal die Zusatzentschädigung ausgelöst wird.

Die beiden letzten Sätze von § 3 Abs. 1 BV regeln Zulässigkeit und Vergütung „weiterer” Planänderungen. Ist eine „weitere”, also eine siebte kurzfristige Dienstplanänderung im Kalendervierteljahr erforderlich, so kann der Arbeitgeber diese nicht mehr einseitig vornehmen. Er muß vielmehr um die ausdrückliche Zustimmung des betroffenen Mitarbeiters bitten und dabei „je Dienstplanänderung” die Bezahlung eines zusätzlichen Tages anbieten; er darf die Dienstplanänderung nur vornehmen, wenn der Mitarbeiter seine ausdrückliche Zustimmung erteilt. Nur bei den „weiteren” Dienstplanänderungen des § 3 Abs. 1 Satz 4 BV ist also eine Zusatzentschädigung „je Dienstplanänderung” vorgesehen, nicht dagegen, wie die Klägerin meint, für sämtliche Planänderungen des Quartals, etwa auch für die vorangegangenen sechs einseitig erlaubten. Da der betroffene Mitarbeiter seine Zustimmung zur siebten und den weiteren Planänderungen des Quartals kaum unter Ablehnung der Zusatzvergütung geben wird, löst also ab der siebten jede weitere Planänderung eine Entschädigung in Höhe je eines zusätzlich vergüteten Arbeitstages aus, anders als bei den ersten sechs kurzfristigen Dienstplanänderungen, die nur dann zusatzvergütungspflichtig sind, wenn drei oder mehr in einen Monat des Quartals fallen. Bis zur Höhe von sechs Dienstplanänderungen pro Monat bleibt es aber insoweit bei einer Entschädigung in Höhe der Vergütung „für einen zusätzlichen Arbeitstag”.

 

Unterschriften

Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, Schmidt, H. Frehse

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1134512

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