Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifliche Abfindung. Anrechnung von Arbeitslosengeld

 

Leitsatz (redaktionell)

Auf eine Abfindung, die ein Angestellter aufgrund eines Sozialplans nach den tariflichen Bestimmungen des Tarifvertrags über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9.1.1987 erhält, sind nach § 10 Abs 1 dieses Tarifvertrags Leistungen anzurechnen, die dem Angestellten nach anderen Bestimmungen zu den gleichen Zwecken gewährt werden. Diese Voraussetzung trifft auf Arbeitslosengeld nicht zu, weil dieses Lohnersatzfunktion hat und nicht wie die Abfindung der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst dient.

 

Verfahrensgang

LAG Hamburg (Entscheidung vom 22.08.1995; Aktenzeichen 3 Sa 99/94)

ArbG Hamburg (Entscheidung vom 24.08.1994; Aktenzeichen 13 Ca 66/94)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, eine Abfindung teilweise zurückzuzahlen.

Der Beklagte war bei der Klägerin, der Freien und Hansestadt Hamburg, seit dem 1. April 1981 im Vieh- und Fleischzentrum Hamburg, zuletzt als Marktaufseher im Angestelltenverhältnis tätig. Das Zentrum wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1993 privatisiert. Ende November 1992 wurde ein Sozialplan für die Beschäftigten zum Ausgleich oder zur Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen, die durch die Privatisierung des Betriebes entstehen, aufgestellt. Dieser Sozialplan hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"§ 1 Grundlagen

Die Privatisierung des Landesbetriebes Vieh- und Fleischzentrum Hamburg ist eine Rationalisie rungsmaßnahme im Sinne der Tarifverträge über den Rationalisierungsschutz für Arbeiter und Angestellte des Bundes und der Länder vom 9.1.1987. Diese Tarifverträge finden mit den nachfolgenden Ergänzungen Anwendung.

...

§ 3 Wahlmöglichkeiten

Die Arbeitnehmer haben folgende Wahlmöglichkei-

ten:

1. Ausscheiden und Abfindung Ausscheiden aus den Diensten der Freien und Hansestadt Hamburg unter Gewährung einer Abfindung nach den Bestimmungen der Tarifverträge Rationalisierungsschutz und unter Erhalt der Anwartschaft auf das Ruhegeld (§ 5).

...

§ 4 Beratung, Unterrichtung

Die Beschäftigten haben Anspruch auf Beratung zur Entscheidungsfindung, insbesondere hinsichtlich der für sie maßgeblichen Bestimmungen des Tarifvertrages über Rationalisierungsschutz und des Ruhegeldgesetzes.

Im Falle der Gewährung einer Abfindung sind die Beschäftigten über die Einkommenssteuerpflicht und die Anrechnung beim Arbeitslosengeld sowie über die zukünftige soziale Absicherung zu unter richten."

Anfang Dezember 1992 fand ein Beratungsgespräch statt, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Am 14. Dezember 1992 meldete sich der Kläger für die Zeit ab 1. Januar 1993 arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld.

Unter dem 21. Dezember 1992 schlossen die Parteien einen Auflösungsvertrag. In diesem heißt es u.a.:

"§ 1

Wegen der Auflösung des Vieh- und Fleischzentrums Hamburg (VFZ) als Landesbetrieb wird das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis im gegenseitigen Einvernehmen mit Ablauf des 31. Dezember 1992 gemäß § 58 BAT/§ 56 MTL II aufgelöst.

§ 2

1. In Anwendung des für die Beschäftigten des VFZ geschlossenen Sozialplans in Verbindung mit den Bestimmungen des Tarifvertrages über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 09.01.1987/des Tarifvertrags über den Rationa lisierungsschutz für Arbeiter des Bundes und der Länder vom 09.01.1987 wird eine Abfindung in Höhe des 11-fachen des Monatsbezugs, der dem Arbeitnehmer/der Arbeitnehmerin im letzten Kalendermonat vor dem Ausscheiden zugestanden hat, gezahlt.

2. Neben der Abfindung steht Übergangsgeld nach dem BAT/MTL II nicht zu.

..."

Der Beklagte erhielt eine Abfindung in Höhe von 38.669,40 DM. Mit Bescheid vom 28. Januar 1993 teilte das Arbeitsamt dem Beklagten mit, sein Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe gemäß § 117 Abs. 2 und Abs. 3 AFG bis zum 27. April 1993. Durch einen weiteren Bescheid vom 13. Mai 1993 wurde dem Beklagten der Eintritt einer Sperrzeit vom 1. Januar 1993 bis zum 25. März 1993 und eine Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld gemäß § 110 Nr. 2 AFG im Umfange von 72 Tagen mitgeteilt. Ab dem 28. April 1993 gewährte das Arbeitsamt Arbeitslosengeld bis zum 1. Februar 1994. Seit diesem Zeitpunkt bezieht der Beklagte Altersrente und Ruhegeld.

Mit Bescheiden vom 12. August 1993 und 6. Juni 1994 machte das Arbeitsamt gegenüber der Klägerin Erstattungsansprüche gemäß § 128 AFG in Höhe von insgesamt 19.893,08 DM geltend. Nachdem der von der Klägerin gegen den ersten Bescheid erhobene Widerspruch erfolglos geblieben und auch der zweite Bescheid bestandskräftig geworden war, zahlte die Klägerin den festgesetzten Erstattungsbetrag.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, in Höhe des Erstattungsbetrages habe der Beklagte die Abfindung ohne Rechtsgrund erhalten. Der Auflösungsvertrag zwischen den Parteien nehme Bezug auf den Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte (TVRatAng). Nach § 10 Abs. 1 dieses Tarifvertrages seien vergleichbare Leistungen Dritter auf Ansprüche nach dem Tarifvertrag anzurechnen. Beim Arbeitslosengeld handele es sich um eine vergleichbare Leistung im Tarifsinne. Deshalb sei es auf die gezahlte Abfindung anzurechnen, worüber der Beklagte in dem Beratungsgespräch auch informiert worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie 19.893,08 DM

zuzüglich 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu zah-

len.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, eine Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Abfindung sei unzulässig, da es sich nicht um eine vergleichbare Leistung i.S.v. § 10 Abs. 1 TVRatAng handele. Die Anrechnung würde auch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, da Arbeitsverdienst, den Arbeitnehmer außerhalb des öffentlichen Dienstes erzielten, nicht anrechenbar sei. Über die möglichen Folgen des Bezugs von Arbeitslosengeld sei er in dem Beratungsgespräch nicht informiert worden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat mit Recht erkannt, daß der Klägerin ein Anspruch auf teilweise Rückzahlung der tariflichen Abfindung nicht zusteht.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der rechtliche Grund für die Zahlung der Abfindung an den Beklagten sei nicht in Höhe des von ihm bezogenen Arbeitslosengeldes weggefallen (§ 812 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dies folge daraus, daß das Arbeitslosengeld nicht nach § 10 Abs. 1 TVRatAng auf die Abfindung anzurechnen sei. Das Arbeitslosengeld diene nicht dem gleichen Zweck wie die tarifliche Abfindung. Es habe eine Lohnersatzfunktion. Demgegenüber solle mit der Abfindung, wie die in § 10 Abs. 1 Satz 2 TVRatAng beispielhaft genannten Leistungen nach §§ 9, 10 KSchG und § 113 BetrVG auswiesen, ein Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst gewährt werden.

Die Erstreckung der Anrechnung des Arbeitslosengeldes auf die Abfindung nach § 10 Abs. 1 TVRatAng würde außerdem gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Arbeitnehmer, die nach dem rationalisierungsbedingten Wegfall ihres Arbeitsplatzes eine neue Beschäftigung bei einem Arbeitgeber außerhalb des öffentlichen Dienstes aufnähmen, könnten die Abfindung in vollem Umfange behalten. Demgegenüber würde bei Arbeitnehmern, die längere Zeit arbeitslos seien, die Abfindung vollständig durch das anzurechnende Arbeitslosengeld aufgezehrt werden. Auch eine Differenzierung bei der Anrechnung, je nachdem, ob der Arbeitgeber das Arbeitslosengeld dem Arbeitsamt nach § 128 AFG erstatten müsse oder nicht, sei gleichheitswidrig.

II. Soweit das Landesarbeitsgericht eine Anrechenbarkeit des Arbeitslosengeldes auf die Abfindung nach § 10 Abs. 1 TVRatAng verneint, ist dem zuzustimmen. Deshalb kann dahinstehen, ob die tarifliche Bestimmung bei anderweitiger Auslegung mit höherrangigem Recht unvereinbar wäre.

1. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der Abfindung in Höhe des vom Beklagten bezogenen und von der Klägerin an das Arbeitsamt erstatteten Arbeitslosengeldes nur § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB sein kann. Danach ist eine Leistung zurückzugewähren, wenn ihr rechtlicher Grund später wegfällt. Dies war jedoch nicht der Fall.

Die Zahlung einer Abfindung war von den Parteien in § 2 Nr. 1 des Auflösungsvertrages vom 21. Dezember 1992 vereinbart worden, mit dem das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992 aufgelöst wurde. Dabei haben die Parteien auf den abgeschlossenen Sozialplan und die Bestimmungen des Tarifvertrages über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9. Januar 1987 verwiesen. Diese haben, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:

"§ 7 Abfindung (1) Der Angestellte, der auf Veranlassung des Arbeitgebers im gegenseitigen Einvernehmen oder aufgrund einer Kündigung durch den Arbeitgeber aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet, erhält nach Maßgabe folgender Tabelle eine Abfindung:

Nach der Tabelle zu § 7 richtet sich die Anzahl der Monatsbezüge, die als Abfindung zu zahlen sind, nach der Beschäftigungszeit und dem Lebensalter des Angestellten.

In § 10 TVRatAng ist bestimmt:

"§ 10 Anrechnungsvorschrift (1) Leistungen, die dem Angestellten nach anderen Bestimmungen zu den gleichen Zwecken gewährt werden, sind auf die Ansprüche nach diesem Tarifvertrag anzurechnen. Dies gilt insbesondere für gesetzliche oder durch Vertrag vereinbarte Abfindungsansprüche gegen den Arbeitgeber (z.B. §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz, § 113 Betriebsverfassungsgesetz).

(2) Der Angestellte ist verpflichtet, die ihm nach anderen Bestimmungen zu den gleichen Zwecken zustehenden Leistungen Dritter zu beantragen. Er hat den Arbeitgeber von der Antragstellung und von den hierauf beruhenden Entscheidungen sowie von allen ihm gewährten Leistungen im Sinne des Absatzes 1 unverzüglich zu unterrichten. Kommt der Angestellte seinen Verpflichtungen nach Unterabsatz 1 trotz Belehrung nicht nach, stehen ihm Ansprüche nach diesem Tarifvertrag nicht zu."

Aus der Verweisung im Auflösungsvertrag auf die tariflichen Bestimmungen folgt, daß auf die Abfindung nach § 10 Abs. 1 TVRatAng Leistungen, die dem Angestellten zu gleichen Zwecken gewährt werden, anzurechnen sind. Im Umfang der Anrechnung entfällt damit der rechtliche Grund für die Gewährung der Abfindung. Das Arbeitslosengeld und die tarifliche Abfindung dienen jedoch nicht den gleichen Zwecken i.S.v. § 10 Abs. 1 TVRatAng.

2. Die Tarifvertragsparteien haben nicht ausdrücklich bestimmt, daß das Arbeitslosengeld auf eine nach § 7 TVRatAng gezahlte Abfindung anzurechnen sei. Sie haben nur geregelt, daß Leistungen, die dem Angestellten nach anderen Bestimmungen zu gleichen Zwecken gewährt werden, der Anrechnung unterliegen. Die Auslegung der die Leistungen regelnden Rechtsgrundlagen ergibt jedoch, daß das Arbeitslosengeld und die Abfindung nicht zu gleichen Zwecken gewährt werden.

a) Das Arbeitslosengeld nach §§ 100 ff. AFG dient der zeitlich begrenzten Sicherung des zuvor durch das Arbeitsentgelt gewährleisteten Lebensunterhalts, wenn auch in gemindertem Umfang. Es hat damit Lohnersatzfunktion (Hennig/Kühl/Heuer/Henke, AFG, Stand Januar 1997, Vorbem. §§ 100 bis 133 AFG).

b) Die Zweckbestimmung der Abfindung nach § 7 TVRatAng läßt sich dem Wortlaut der tariflichen Bestimmung nicht entnehmen. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der bei der Tarifauslegung neben dem Wortlaut maßgebend zu berücksichtigen ist (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung) folgt jedoch, daß die Abfindung nicht Lohnersatzfunktion hat, sondern der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst dient.

aa) Die Tarifvertragsparteien haben in § 10 Abs. 1 Satz 2 TVRatAng bestimmt, daß gesetzliche oder durch Vertrag vereinbarte Abfindungen (z.B. §§ 9, 10 KSchG, § 113 BetrVG) auf die tarifliche Abfindung anzurechnen sind. Daher ist davon auszugehen, daß diese Abfindungen den gleichen Zwecken dienen, wie die Abfindung nach § 7 TVRatAng.

Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG sind nach allgemeiner Ansicht weder Arbeitsentgelt oder Ersatz für entgangenes Arbeitsentgelt noch vertraglicher oder deliktischer Schadenersatz, sondern dienen der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes (BAG Urteil vom 6. Dezember 1984 - 2 AZR 348/81 - AP Nr. 14 zu § 61 KO m.w.N.; Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 10 Rz 21; KR-Spilger, 4. Aufl., § 10 Rz 11). Die Abfindung im Rahmen des Nachteilsausgleichs nach § 113 BetrVG dient nicht nur dem Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern hat auch Sanktionsfunktion (BAGE 31, 176, 207 = AP Nr. 6 zu § 112 BetrVG 1972, zu IV A 3 der Gründe; BAGE 62, 88 = AP Nr. 19 zu § 113 BetrVG 1972; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 113 Rz 25; Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 5. Aufl., § 113 Rz 1). Aus der Zweckbestimmung dieser tariflich genannten, anrechenbaren Abfindungen folgt deshalb, daß auch die Abfindung nach § 7 TVRatAng als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes dient.

bb) Der Zweck der Abfindung nach § 7 TVRatAng, den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes zu entschädigen, wird aber nicht nur aus den in § 10 Abs. 1 Satz 2 TVRatAng beispielhaft genannten Abfindungen nach §§ 9, 10 KSchG und § 113 BetrVG deutlich; er ergibt sich vielmehr auch aus der Bemessung der Abfindungshöhe in § 7 TVRatAng. Diese richtet sich nach der Tabelle in dieser tariflichen Bestimmung. Danach sind für die Höhe der Abfindung allein die Beschäftigungszeit und das Lebensalter des Angestellten maßgebend. Die Abfindung bemißt sich demgemäß nicht nach den wirtschaftlichen Nachteilen, die der Angestellte in Zukunft durch den Verlust seines Arbeitseinkommens erleidet. Sie soll den Angestellten vielmehr für den Verlust des sozialen Besitzstandes entschädigen, den er durch seine bisherige Tätigkeit im öffentlichen Dienst erworben hat. Dies wird auch dadurch deutlich, daß der Abfindungsanspruch entfällt (§ 7 Abs. 3 Buchst. b TVRatAng) oder sich verringert (§ 8 Abs. 3 TVRatAng), wenn der Angestellte eine anderweitige Beschäftigung bei einem Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes aufnimmt. Diese Rechtsfolge tritt hingegen nicht ein, wenn er ein Arbeitsverhältnis außerhalb des öffentlichen Dienstes begründet.

c) Der sich aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergebenden Zweckbestimmung der Abfindung nach § 7 TVRatAng als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes steht nicht entgegen, daß die Parteien im Auflösungsvertrag hinsichtlich der Gewährung der Abfindung auch auf den Sozialplan verwiesen haben. Zwar haben Abfindungen, die in Sozialplänen vereinbart werden, nach der Rechtsprechung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 9. November 1994 - 10 AZR 281/94 - AP Nr. 85 zu § 112 BetrVG 1972) Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion und sind ihrem Zweck nach keine Entschädigungen. Der die Privatisierung des Vieh- und Fleischzentrums regelnde Sozialplan verweist jedoch hinsichtlich der Abfindung in vollem Umfange auf die Bestimmungen der Tarifverträge über den Rationalisierungsschutz. Die in den Sozialplan im übrigen aufgenommenen Ergänzungen der tariflichen Regelungen betreffen nicht die Abfindung. Deren Zweckbestimmung richtet sich deshalb allein nach der tariflichen Regelung.

3. Da es sich beim Arbeitslosengeld und bei der tariflichen Abfindung somit um Leistungen handelt, die nicht zu gleichen Zwecken gewährt werden, ist das Arbeitslosengeld nicht nach § 10 Abs. 1 TVRatAng auf die Abfindung anzurechnen.

a) Diese Auslegung wurde auch vom Arbeitgeberkreis der BAT-Kommission am 27. März 1973 zu der tariflichen Bestimmung des § 10 Abs. 1 TVRatAng 1973, die mit § 10 Abs. 1 TVRatAng 1987 wortgleich ist, vertreten (wiedergegeben bei: Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand Dezember 1996, Teil VI, Rationalisierungsschutz, § 10 Erl. 1). Demgegenüber wird in den Kommentierungen zu § 10 TVRatAng 1987 die Auffassung vertreten, das Arbeitslosengeld sei anzurechnen, wenn der Arbeitgeber zur Erstattung nach § 128 AFG verpflichtet sei (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, aa0, Rationalisierungsschutz, TV 1987, § 10 Erl. 42; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler, BAT, Stand März 1997, Anhang C Nr. 9, Rationalisierungsschutz für Angestellte; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Stand Februar 1997, Teil IV Nr. 1.1, § 10 TV Rationalisierung unter Bezugnahme auf die Durchführungshinweise der Tarifgemeinschaft deutscher Länder). Dem kann jedoch nicht gefolgt werden.

Abgesehen davon, daß die Differenzierung danach, ob der Arbeitgeber das Arbeitslosengeld zu erstatten hat oder nicht, im Hinblick auf den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG schwerwiegenden rechtlichen Bedenken begegnen würde (vgl. BAGE 65, 199 = AP Nr. 56 zu § 112 BetrVG 1972), kommt eine Anrechnungsmöglichkeit in diesen Fällen in der tariflichen Bestimmung des § 10 Abs. 1 TVRatAng in keiner Weise zum Ausdruck. Die Tarifvertragsparteien haben allein darauf abgestellt, ob Leistungen nach anderen Bestimmungen zu den gleichen Zwecken wie die Abfindung gewährt werden. Dies ist beim Arbeitslosengeld nicht der Fall. Weder die Zweckbestimmung des Arbeitslosengeldes noch die der Abfindung ändern sich dadurch, daß das Arbeitslosengeld nach § 128 AFG vom Arbeitgeber der Bundesanstalt für Arbeit zu erstatten ist.

b) Gegen die Anrechenbarkeit des Arbeitslosengeldes auf die Abfindung spricht auch die gesetzliche Regelung über das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in § 117 Abs. 2 u. 3 AFG.

Eine Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung, die der Arbeitslose wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hat, führt nur dann zum Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld, wenn das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist des Arbeitgebers entsprechenden Frist beendet worden ist (§ 117 Abs. 2 AFG). In diesem Falle wird die Abfindung nach näherer Maßgabe des § 117 Abs. 3 AFG in einen Entgeltanteil - und einen Abfindungs-(Entschädigungs)Anteil aufgespalten (vgl. KR-Spilger, 4. Aufl., § 10 KSchG Rz 92). Nur im Umfang des Entgeltanteils ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Demgemäß ruhte der Anspruch des Beklagten auf Arbeitslosengeld, weil das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 1992 ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist beendet worden war, bis zum 27. April 1993. Der darüber hinausgehende Anteil der Abfindung diente deshalb nach der gesetzlichen Bewertung in § 117 AFG der Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes. Dies schließt wegen der unterschiedlichen Zwecksetzung eine Anrechnung des nach dem 27. April 1993 an den Beklagten gezahlten Arbeitslosengeldes auf die Abfindung nach § 10 Abs. 1 TVRatAng aus.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dr. Peifer Dr. Freitag Dr. Armbrüster

Schwarck Kapitza

 

Fundstellen

BB 1997, 1420 (Leitsatz 1)

NWB 1997, 2238

EBE/BAG Beilage 1997, Ls 148/97 (Leitsatz 1)

ARST 1997, 188 (Leitsatz 1)

NZA 1997, 834

NZA 1997, 834-836 (Leitsatz 1 und Gründe)

SAE 1998, 187

SAE 1998, 187 (Leitsatz 1)

ZAP, EN-Nr 678/97 (red. Leitsatz)

ZTR 1997, 419-420 (Leitsatz 1 und Gründe)

AP § 112 BetrVG 1972 (Leitsatz 1), Nr 115

AP § 115 SGB X (Leitsatz 1), Nr 10

AP § 4 TVG Rationalisierungsschutz (Leitsatz 1), Nr 19

AP § 7 TV RatAng (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 2

AP § 9 KSchG 1969 (Leitsatz 1), Nr 31

AR-Blattei, ES 10 Nr 16 (Leitsatz 1 und Gründe)

ArbuR 1997, 335-336 (Leitsatz 1)

AuA 1998, 101 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzA § 112 BetrVG 1972, Nr 94 (Leitsatz 1)

EzA § 4 TVG Abfindung, Nr 3 (Leitsatz 1 und Gründe)

EzBAT, TV Rationalisierungsschutz TV vom 9. Januar 1987Nr 1 (Leitsatz 1 und Gründ

RiA, 116 (Leitsatz 1)

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