Entscheidungsstichwort (Thema)

Kündigung. Anwendung des Einigungsvertrages

 

Leitsatz (amtlich)

Auf ein Arbeitsverhältnis, das nach dem Wirksamwerden des Beitritts zwischen einem öffentlichen Arbeitgeber i. S. von Art. 20 Einigungsvertrag und einem Arbeitnehmer, der zu diesem Zeitpunkt in keinen arbeitsvertraglichen Beziehungen zu einem solchen Arbeitgeber im Beitrittsgebiet stand, neu begründet wird, finden die Kündigungsregelungen des Einigungsvertrages keine Anwendung.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 20; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1; KSchG § 1; ZPO § 256

 

Verfahrensgang

Sächsisches LAG (Urteil vom 19.02.1993; Aktenzeichen 3 (5) Sa 120/92)

KreisG Leipzig-Stadt (Urteil vom 26.06.1992; Aktenzeichen 17 Ca 300/91)

 

Tenor

  • Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 19. Februar 1993 – 3 (5) Sa 120/92 – wird zurückgewiesen.
  • Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 28. November 1991, die dem Kläger unter Berufung auf Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Kapitel XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 der Anl. I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) erklärt worden ist.

Der Kläger hat die Lehrbefähigung als Fachlehrer für Mathematik und Physik erworben. 1988 erwarb er zusätzlich einen Abschluß als Diplom-Philosoph. Im Anschluß an sein erstes Studium war der Kläger zwischen 1959 und 1987 hauptberuflich in verschiedenen Positionen tätig (an einer Hochschule, als Lehrer, hauptamtlicher Mitarbeiter der FDJ-Kreisleitung, freiberuflicher Unterhaltungskünstler). Vom 1. September 1987 bis zum 31. August 1990 war er Lehrkraft für Politikwissenschaft und Politische Ökonomie an der Fachschule für Tanz Leipzig.

Am 10./11. Januar 1991 schlossen die Parteien einen Vertrag, der als “Arbeitsvertrag” überschrieben ist. In Ziff. 2 heißt es wörtlich: “Frau/Herr R… nimmt die Tätigkeit am 14.1.90 -30.7.91 auf.” Beschäftigungsbeginn war entgegen der insoweit als Schreibfehler anzusehenden Angabe im Vertrag der 14. Januar 1991. Am 28. Oktober 1991 schlossen die Parteien einen weiteren Arbeitsvertrag. Der Beschäftigungsbeginn wurde auf den 1. August 1991 datiert.

Mit Schreiben des Oberschulamtes Leipzig vom 28. November 1991 kündigte der Beklagte dem Kläger zum 31. März 1992. Zur Begründung nahm er ausdrücklich Bezug auf Abs. 4 Ziff. 1 EV. Mit seiner am 19. Dezember 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht.

Er hat vorgetragen, er sei in der Zeit vom 1. September 1990 bis zum 13. Januar 1991 arbeitslos gewesen. Die Sonderkündigungsregeln des Einigungsvertrages seien nicht auf Arbeitsverhältnisse anwendbar, die nach dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland begründet worden seien. Im übrigen sei die Kündigung unbegründet. Er sei weder fachlich noch persönlich ungeeignet für die Ausübung des Lehrerberufs.

Der Kläger hat beantragt

  • festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 28. November 1991, zugegangen am 29. November 1991, zum 31. März 1992 nicht beendet worden sei, sondern darüber hinaus unverändert fortbestehe;
  • im Falle des Obsiegens zu 1. den Beklagten zu verurteilen, ihn, den Kläger über den 31. März 1992 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger sei bereits ab September 1990 im Bereich des Staatlichen Schulamtes Leipzig beschäftigt gewesen. Dem Kläger fehle die fachliche Qualifikation und er sei persönlich ungeeignet für den Lehrerberuf im Sinne des Abs. 4 Ziff. 1 EV.

Das Kreisgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Kreisgerichtes abgeändert und der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

I. Der Kläger hat klargestellt, daß sein Antrag, über die Unwirksamkeit der angegriffenen Kündigung hinaus den unveränderten Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses festzustellen, keine eigenständige Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO ist. Durch die Antragsformulierung hätten nur die Folgen einer erfolgreichen Klage gem. §§ 4, 7 KSchG verdeutlicht werden sollen. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage.

II. Die Kündigung ist unwirksam. Sie kann nicht auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützt werden. Der Beklagte hat keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen, die die Anwendung dieser Vorschrift rechtfertigen könnten.

1. Gemäß Art. 20 EV gelten für die Rechtsverhältnisse der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zum Zeitpunkt des Beitritts die in Anlage I EV vereinbarten Übergangsregelungen. Nach der Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 gelten für die beim Wirksamwerden des Beitritts in der öffentlichen Verwaltung der Deutschen Demokratischen Republik einschließlich des Teils von Berlin, in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, beschäftigten Arbeitnehmer die am Tage vor dem Wirksamwerden des Beitritts für sie geltenden Arbeitsbedingungen mit den weiteren Maßgaben dieses Vertrages, insbesondere der Absätze 2 bis 7, fort. Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Übergangsregelungen ist, daß der Arbeitnehmer jedenfalls am 3. Oktober 1990 dem öffentlichen Dienst angehörte. Abs. 4 EV findet demnach keine Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, die nach dem Wirksamwerden des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik (3. Oktober 1990) durch Vornahme einer Neueinstellung neu begründet wurden.

2. a) Die Absätze 1 bis 7 der Nr. 1 von Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III des Einigungsvertrages bilden eine einheitliche Gesamtregelung, die in ihrem Gesamtzusammenhang auszulegen ist. Durch den Einigungsvertrag sollte im Interesse der Verwaltungskontinuität die Rechtsgrundlage für die grundsätzliche Fortgeltung der “bisherigen” Arbeitsverhältnisse zu unveränderten Bedingungen geschaffen werden (vgl. Erläuterungen zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990 – Einigungsvertrag –, BT-Drucksache 11/7817, S. 179). Diese Fortgeltung sollte mit den besonderen Maßgaben der Absätze 2 bis 7 verknüpft werden (ebd.). Die in Abs. 1 EV verwendete Formulierung der Fortgeltung der Arbeitsbedingungen setzt voraus, daß die Arbeitsverhältnisse schon bestanden und fortgesetzt wurden. Für nachträglich begründete Arbeitsverhältnisse kann es keine “Fortgeltung” von Bedingungen geben.

b) Die Absätze 2 und 3 EV, die den Begriff “Arbeitsverhältnis” in diesem Zusammenhang erstmals verwenden, regeln die Überleitung und das Ruhen von Arbeitsverhältnissen. Auch dies kann sich nur auf solche Arbeitsverhältnisse beziehen, die schon im Zeitpunkt des Beitritts begründet waren. Die Absätze 4 und 5 enthalten Regelungen, die sowohl von ihrer redaktionellen Anordnung als auch von ihrem Inhalt her in engem Zusammenhang mit den vorhergehenden Absätzen stehen. Da für ein redaktionelles Versehen der Parteien des Einigungsvertrages oder für eine gewollte Unterbrechung des Zusammenhanges keine Anhaltspunkte vorliegen, ist von einer einheitlichen Verwendung und Bedeutung des auch in den Absätzen 4 und 5 wiederkehrenden Begriffes “Arbeitsverhältnisse” auszugehen. Es können damit nur solche gemeint sein, die schon zum Zeitpunkt des Beitritts Bestand hatten.

c) Soweit in Abs. 2 und 3 EV die Weiterverwendung von Arbeitnehmern ggfs. in anderen Verwaltungsbereichen geregelt ist, ist es denkbar, daß in Ausführung dieser Bestimmungen ein geändertes, neues Arbeitsverhältnis begründet wird. Dieses “neue” Arbeitsverhältnis kann gemäß Abs. 6 EV nach den Absätzen 4 und 5 gekündigt werden. Die auf der Grundlage von Abs. 2 und 3 EV begründeten Arbeitsverhältnisse setzen für eine Anwendung von Art. 20 EV jedoch voraus, daß jedenfalls am 3. Oktober 1990 ein zumindest ruhendes Arbeitsverhältnis zu einem der genannten Arbeitgeber bestanden hat.

3. Nach den nicht zulässig angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach dem 3. Oktober 1990 durch eine Neueinstellung neu begründet. Das Landesarbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen festgestellt, der Kläger sei vor Abschluß des Vertrages vom 10./11. Januar 1991 arbeitslos gewesen. Diese Feststellung ist für den Senat bindend, § 561 Abs. 2 ZPO. Die von der Revision insoweit erhobene Verfahrensrüge, das Landesarbeitsgericht hätte über die insoweit widerstreitenden Behauptungen der Parteien den vom Beklagten angebotenen Beweis erheben müssen, ist nach § 554 Abs. 3 Nr. 3b ZPO unzulässig. Bei der Rüge eines übergangenen Beweisangebots müssen Beweisthema und Beweismittel angegeben werden. Dazu gehört neben der Angabe des Beweismittels auch die Angabe der Fundstelle in den vorinstanzlichen Akten nach Schriftsatz und bei umfangreicheren Schriftsätzen auch Schriftsatzseite (vgl. BAGE 12, 328, 331 = AP Nr. 22 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 1a der Gründe; BAGE 41, 338, 341 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Treuebruch, zu I 1 der Gründe). Diese Angaben fehlen in der Revisionsbegründung.

4. Ob mit dem weiteren Vertrag vom 28. Oktober 1991 ein neues Arbeitsverhältnis begründet werden oder das am 10./11. Januar 1991 begründete nur unbefristet fortgeführt werden sollte, bedarf keiner Entscheidung. In beiden Fällen läge ein nach dem 3. Oktober 1990 neu begründetes Arbeitsverhältnis vor.

III. Das Landesarbeitsgericht hat weiter rechtsfehlerfrei festgestellt, daß Tatsachen, die die ausgesprochene Kündigung nach § 1 KSchG rechtfertigen könnten, nicht dargetan sind. Dies wird in der Revision auch nicht beanstandet.

IV. Über die Berechtigung des Anspruchs auf vorläufige Weiterbeschäftigung des Klägers ist nicht mehr zu befinden. Der Antrag war ersichtlich für den Fall gestellt, daß in der Sache nicht abschließend entschieden wird.

V. Der Beklagte hat die Kosten der Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

 

Unterschriften

Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Schömburg, Schmitzberger

 

Fundstellen

Haufe-Index 856680

BAGE, 280

BB 1994, 1424

BB 1994, 868

JR 1994, 484

NZA 1994, 847

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