Leitsatz (amtlich)

  • Wenn § 65 HGB für die Handlungsgehilfen mit Provision auf § 87 Abs. 1 und 3 sowie §§ 87a bis e HGB Bezug nimmt, so folgt daraus, das diese Bestimmungen grundsätzlich in demselben Umfange unabdingbar sind wie für den Handelsvertreter.
  • Vereinbaren die Vertragssehließenden neben einer festen Vergütung für den Handlungsgehilfen eine Provision, so steht es frei, die Provisionsbedingungen im einzelnen beliebig zu regeln, soweit dem nicht zwingendes Recht entgegensteht.
  • Eine Gesetzesumgehung und damit ein Verstoß gegen zwingendes Recht liegt dann vor, wenn einem Handlungsgehilfen mit Provision durch eine unsachliche, d.h. durch objektive Umstände nicht gerechtfertigte Gestaltung der Provisionsabrede allein wegen Zeitablaufs nach Vertragsende bis dahin bereits erarbeitete Provisionsansprüche gekürzt oder genommen werden.
 

Normenkette

HGB §§ 65, 87 Abs. 1, 3, §§ 87a, 87b, 87c, 87d, 87e, 354; BGB § 612 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Berlin (Urteil vom 01.08.1961; Aktenzeichen 55 Sa 57/61)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 1. August 1961 – 5. Kammer – 55 Sa 57/61 – insoweit aufgehoben, als es die Klage in Höhe von 2.199,13 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Dezember 1960 abgewiesen hat. Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Der Kläger war bis zum 30. September 1958 bei dem Beklagten als Handlungsgehilfe im Kraftwagenverkauf tätig.

Das Anstellungsverhältnis wurde im gegenseitigen Einvernehmen aufgelöst.

Der Kläger erhielt monatlich 300,- DM Gehalt sowie Provision nach besonderer Staffel aus den von ihm hereingebrachten Geschäften mit einer Provisionsgarantie von monatlich 300,- DM. Im schriftlichen Vertrage vom 2. Januar 1959 wurde u.a. vereinbart:

“§ 13: Provisionspflichtig sind Wagen- und Zubehör-Geschäfte, die der Angesbellte während der Dauer des Dienstverhältnisses abschlußreif vorlegt und die von der D-B-AGdurch. eine gegenüber dem Auftraggeber schriftlich erteilte Annahmeerklärung (Auftragsbestätigung) abgeschlossen werden …

§ 15: Der Provisionsanspruch entsteht, sobald und soweit der Kunde den Kaufpreis entrichtet hat …

§ 17: Im Falle des Überganges eines Kunden aus der Bearbeitungs-Zuständigkeit des provisionsberechtigten Angestellten in die Zuständigkeit eines Dritten, z.B. wegen Änderung des Verkaufsgebietes sowie nach Beendigung des Dienstverhältnisses, hat der Angestellte aus provisionspflichtigen Geschäften zu beanspruchen:

  • bei Auslieferung binnen 6 Monaten nach Übergang bzw. Ausscheiden die volle Provision;
  • bei Auslieferung in der Zeit vom 7. bis 12. Monat nach Übergang bzw. Ausscheiden die Hälfte der Provision;
  • bei Auslieferung zu einem späteren Zeitpunkt als einem Jahr nach Übergang bzw. Ausscheiden keine Provision …”

Aus solchen Geschäften, bei denen der Wagen erst nach dem 1. April 1960, also nach Ablauf von sechs Monaten nach dem Ende des Vertragsverhältnisses, ausgeliefert wurde, berechnete der Beklagte dem Kläger die Provision gemäß den vorstehenden Vertragsbestimmungen.

Der Kläger hält den § 17 des Anstellungsvertrages für unwirksam und verlangt von allen von ihm hereingebrachten Geschäften, bei denen der Wagen erst nach dem 1. April 1960 ausgeliefert worden ist, die volle Provision in unstreitiger Höhe von 2.199,13 DM. In den Vorinstanzen ist der Kläger unterlegen. Beide Urteile halten § 17 des Anstellungsvertrages für rechtswirksam und deshalb den Anspruch des Klägers für unbegründet.

Mit der Revision erstrebt der Kläger die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an der Kläger 2.199,13 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. Dezember 1960 zu zahlen.

 

Entscheidungsgründe

Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob, wie das Landesarbeitsgericht meint, § 17 des Anstellungsvertrages rechtsbeständig oder, wie der Kläger meint, unwirksam ist, weil darin für den Fall des Ausscheidens des Klägers Kürzungen von Provisionsansprüchen vorgesehen sind.

Der Ausgangspunkt zur Entscheidung der Rechtsfrage ist § 65 HGB. Danach sind auf den Handlungsgehilfen mit Provision die §§ 87 Abs. 1 und 3 und 87a bis e HGB anzuwenden. Diese sind deshalb auch grundsätzlich nur in demselben Umfange für den Handlungsgehilfen mit Provision unabdingbar die für den Handelsvertreter (vgl. die Entscheidung des Senats vom 12. April 1962 – 5 AZR 345/61 –). Das ergibt sich aus der Überlegung, daß es nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit den Arbeitsvertragsparteien freisteht, ob sie allein eine feste Vergütung vereinbaren oder ob sie zusätzlich eine Provisionsabrede treffen wollen. Besteht aber die Freiheit, das eine oder das andere zu wählen, so steht es auch frei, bei Wahl einer zusätzlichen Provisionsabrede die Provisionsbedingungen im einzelnen beliebig zu regeln, soweit dem nicht zwingendes Recht entgegensteht.

Eine zwingende Grenze für die Ausgestaltung von Provisionsabreden im einzelnen ergibt sich für den Handlungsgehilfen mit Provision aus dem Gesichtspunkt, daß die freie Vertragsgestaltung nicht zur Gesetzesumgehung führen darf (vgl. dazu die Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Oktober 1960 – GS 1/59 – BAG 10, 65 [70] = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, unter C). Dabei kommt es nicht darauf an, ob eine oder beide Vertragsparteien eine Umgehungsabsicht hatten; entscheidend ist die objektive Funktionswidrigkeit der Abrede.

Bei der Prüfung, ob eine Gesetzesumgehung in diesem Sinne vorliegt, ist der Sinngehalt der unverzichtbaren Vergütungsbestimmungen im Arbeitsrecht zu ermitteln. Solche unverzichtbaren Vergütungsbestimmungen finden sich positivrechtlich in den §§ 612 Abs. 1 und 2 BGB, 354 HGB. Darin kommt der Grundsatz zum Ausdruck, daß jede geleistete geldwerte Arbeit auch angemessen entlohnt werden muß. Daraus ergibt sich wiederum das Verbot, unter dem Vorwande der Vertragsfreiheit durch eine unsachliche, d.h. durch objektive Umstände nicht gerechtfertigte Vertragsgestaltung dem Arbeitnehmer das Entgelt für seine geleistete Arbeit vorzuenthalten.

In diesem Sinne könnte § 17 des Anstellungsvertrages eine Gesetzesumgehung enthalten, wenn nämlich dem Handlungsgehilfen mit Provision ohne vernünftigen Grund allein wegen des Zeitablaufes nach Vertragsende seine bis dahin bereits erarbeitete Provision gekürzt oder genommen würde.

Ob ein solcher Fall der Gesetzesumgehung hier vorliegt, ist den tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht zu entnehmen. Der Kläger hat dies zwar behauptet, indem er vorgetragen hat, der Beklagte behalte ohne Grund die erarbeitete Provision für sich. Andererseits hat aber der Beklagte sich schon in der Tatsacheninstanz darauf berufen, die in § 17 des Anstellungsvertrages vorgesehenen Provisionskürzungen hätten ihren sachlichen Grund darin, daß er den beim Kläger weggefallenen Provisionsanteil an den Nachfolger des ausgeschiedenen Klägers als Entgelt für dessen sogenannte Nachbearbeitungstätigkeit abführen müsse.

Sollte der vom Beklagten behauptete Sachverhalt vorliegen, so kann nicht verkannt werden, daß beim-Ausscheiden eines Handlungsgehilfen mit Provision der hier in Rede stehenden Art noch Arbeiten zu erledigen sind, die der ausscheidende Handlungsgehilfe mit Provision beim Verbleiben im Arbeitsverhältnis ohne zusätzliche Vergütung neben seiner Provision noch hätte erbringen müssen; solche Arbeiten müssen dann von dem Nachfolger erledigt werden. In diesem Fall würde die Vertragsbestimmung des § 17 eines sachlichen Hintergrundes nicht entbehren und ihr Inhalt keine Gesetzesumgehung in dem eben erörterten Sinne bedeuten; denn dann besteht ein vernünftiger Grund für eine der jeweiligen Arbeitsleistung entsprechende Verteilung der Provision zwischen dem Handlungsgehilfen und seinem Nachfolger. Es kommt also für die Gültigkeit einer Vertragsabrede, wie sie hier zwischen den Parteien getroffen wurde, darauf an, ob zunächst überhaupt erhebliche und geldwerte Nachbearbeitung der bereits vom ausscheidenden Handlungsgehilfen hereingebrachten Verträge erforderlich ist. Dann ist abzuwägen, ob Umfang und Wert der erforderlichen Nachbearbeitung auch in einem ausgewogenen Verhältnis zu Umfang und Wert der beim ausscheidenden Handlungsgehilfen wegfallenden Provisionsansprüche stehen. Nur dann und in diesem Umfang kann eine Gestaltung der Provisionsabrede der vorliegenden Art als sachlich gerechtfertigt anerkannt werden.

Der Umstand allein, daß der Beklagte dem Nachfolger des Klägers möglicherveise eine feste Vergütung und eine garantierte Mindestprovision gezahlt hat, würde jedoch als sachlicher Grund im vorbezeichneten Sinne nicht genügen. Feste Vergütung und Provisionsgarantie sind nicht Entgelt für Nachbearbeitungstätigkeit, weil der Beklagte diese Vergütung auch zahlen muß, wenn keine Nachbearbeitung erforderlich ist. Auch sind feste Vergütung und Provisionsgarantie ihrem Wesen nach nicht Bezahlung erfolgsvergüteter Arbeit, sondern Sicherung eines sozialen Mindestlohnes.

Weil es zur Entscheidung darüber, ob § 17 des Anstellungsvertrages wegen Gesetzesumgehung nichtig ist oder ob diese Vertragsbestimmung einen sachlichen Hintergrund hat und deshalb in vollem oder beschränktem Umfang gültig ist, an tatsächlichen Feststellungen fehlt, war das angefochtene Urteil in dem Umfange, wie es mit der Revision noch angefochten war, aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidungan das Landesarbeitsgericht zurückverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI857012

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