Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerüberlassung. Verwirkung

 

Normenkette

BGB § 242; AÜG Art. 1 § 10 Abs. 1 S. 1; AÜG § 9 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 07.09.1990; Aktenzeichen 15 Sa 51/90)

ArbG Stuttgart (Urteil vom 22.12.1989; Aktenzeichen 3 Ca 4401/89)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 7. September 1990 – 15 Sa 51/90 – wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen aufgrund des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (ÄUG) ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen gilt.

Die Beklagte, ein Unternehmen der Automobilindustrie, betreibt unter anderem ein großes Automobilwerk in S. Die dem Rechtsstreit auf der Seite der Beklagten beigetretene Nebenintervenientin hat ihren Verwaltungssitz und ihre Betriebsstätte in St. Sie befaßt sich mit der Fertigung, dem Vertrieb, dem Service und der Werksinstandsetzung von Elektrofahrzeugen, Elektro-Gabelstablern, Hydraulikteilen, Elektromotorenzubehör, Schalt- und Steuergeräten, Industriemontage sowie Planung und Ausführung von elektro-, meß- und regeltechnischen Anlagen. Sie beschäftigt ca. 150 Arbeitnehmer als Montageschlosser, Elektriker u.a., die hauptsächlich in Fremdfirmen eingesetzt werden. Eine Genehmigung zur gewerbsmäßigen Überlassung von Arbeitnehmern an Dritte gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG besitzt die Nebenintervenientin nicht.

Die Nebenintervenientin und die Beklagte stehen seit Jahren in Geschäftsbeziehungen. Bei der Beklagten fallen ständig Installations- und Instandhaltungsarbeiten an ihren Produktionsanlagen an. Hierzu zieht die Beklagte regelmäßig dritte Unternehmen, darunter die Nebenintervenientin, heran. So schloß die Beklagte mit ihr unter dem 21. November 1980 einen Rahmenvertrag, in dem es die Nebenintervenientin übernahm, Elektro-Installationsarbeiten und Instandhaltungen von Produktionsanlagen zu Festpreisen, die im einzelnen in jeweiligen Ergänzungswerkverträgen festgelegt werden, auszuführen. Die Auftragsvergabe erfolgte jeweils durch schriftliche Bestellungen der Beklagten. Am 8. April 1987 schlossen die Beklagte und die Nebenintervenientin eine weitere Rahmenvereinbarung, die sich auf sämtliche Bauleistungen der Streithelferin aufgrund von Einzelverträgen bezog und die allgemeine Vertragsbedingungen, wie Abnahme, Vergütungsart, Gewährleistung usw. regelte. Als Entgelt für die Nebenintervenientin waren Festpreise und Stundensätze vereinbart.

Zur Ausführung der vertraglich übernommenen Arbeiten entsandte die Nebenintervenientin Facharbeiter und Bauleiter in das Werk S. der Beklagten. Die Werkzeuggrundausstattung stellte die Nebenintervenientin dem Kläger ebenso wie zumindest teilweise Zusatzwerkzeuge zur Verfügung. Für die im Betrieb der Beklagten eingesetzten Arbeitnehmer führte der Betriebsrat der Nebenintervenientin Teilbetriebsversammlungen durch. Die Nebenintervenientin erteilte den im Betrieb der Beklagten eingesetzten Arbeitnehmern mehrfach Hinweise und Belehrungen über Arbeitsschutz und Unfallverhütung. Mit Rundschreiben aus dem Jahr 1979 sowie vom 25. November 1982 wies die Beklagte diese Arbeitnehmer auf das einzuhaltende Verfahren bei Urlaubsgewährung hin. Insbesondere wurden die Arbeitnehmer darauf hingewiesen, daß sie selbst ihre Urlaubsanträge nach Abzeichnung durch den zuständigen Bauleiter an die Nebenintervenientin zu schicken hätten. Mit Rundschreiben vom 13. September 1984 drohte die Nebenintervenientin den bei der Beklagten eingesetzten Arbeitnehmern für den Fall der Nichteinhaltung der Arbeitszeit arbeitsrechtliche Konsequenzen an. Mit Rundschreiben vom 29. April 1985 teilte die Nebenintervenientin den bei der Beklagten eingesetzten Arbeitnehmern den Inhalt einer mit dem Betriebsrat abgeschlossenen Betriebsvereinbarung betreffend Umsetzung der Wochenarbeitszeitverkürzung mit. Mit Rundschreiben vom 28. April 1986 teilte die Nebenintervenientin den Arbeitnehmern mit, daß sie sich bei jedem Fernbleiben von der Arbeit, insbesondere aus Krankheitsgründen, unverzüglich im Personalbüro der Nebenintervenientin zu melden hätten.

Der Kläger schloß mit der Nebenintervenientin einen Arbeitsvertrag, wonach er seit dem 16. April 1973 bei ihr als Elektromonteur angestellt ist. Ab 9. August 1978 wurde er im Werk S. der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der Firma D. AG, in der Abteilung ELA eingesetzt, die für die Instandhaltung und Wartung von Produktionsanlagen zuständig ist.

Das Material, welches der Kläger zur Ausführung seiner Arbeiten benötigte, stellte die Beklagte. Auch während der Zeit seines Einsatzes im Werk S. der Beklagten erhielt der Kläger seinen Arbeitslohn in Höhe von zuletzt 3.800,– DM brutto im Monat einschließlich vereinbarter Zusatzleistungen von der Nebenintervenientin; diese führte auch die vom Lohn des Klägers einzubehaltenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig ab. Während des Einsatzes im Werk S. der Beklagten hatte der Kläger eine Arbeitszeit einzuhalten, die der der dort in Normalschicht beschäftigten Arbeitnehmer der Beklagten entspricht.

Im Jahre 1984 berühmte sich erstmals ein Arbeitnehmer der Nebenintervenientin gegenüber der Beklagten eines nach Art. 1 § 10 ÄUG fingierten Arbeitsverhältnisses zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin. Die Beklagte erkannte den Klageanspruch gegenüber diesem Arbeitnehmer im Januar 1987 vor dem Bundesarbeitsgericht an. Anfang Januar 1987 überprüfte die Beklagte bzw. ihre Rechtsvorgängerin die vertraglichen Vereinbarungen mit der Nebenintervenientin und die praktische Durchführung dieser vertraglichen Vereinbarungen in ihrem Werk in S. Danach haben ab Januar 1987 Arbeitnehmer der Nebenintervenientin in der Regel nur noch in eigenen Arbeitsgruppen, also nicht mehr in Arbeitsgruppen, denen auch Arbeitnehmer der Beklagten oder anderer Firmen angehörten, gearbeitet. Die Arbeitnehmer der Nebenintervenientin wurden in der Regel nur noch durch Vertreter der Nebenintervenientin angewiesen und kontrolliert. In der Folgezeit machten im Jahre 1987 zwölf Arbeitnehmer, im Jahre 1988 ein weiterer Arbeitnehmer der Nebenintervenientin, die wie der Kläger des vorliegenden Verfahrens die jugoslawische Staatsangehörigkeit besitzen, gegenüber der Beklagten geltend, zu ihr in einem infolge unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung fingierten Arbeitsverhältnis zu stehen.

Im Februar 1988 bewarb sich der Kläger vergeblich, bei der Beklagten als deren Arbeitnehmer eingestellt zu werden. Er verwendete hierzu ein Bewerbungsformular der Beklagten, welches er mit dem Datum vom 15. Februar 1988 unterzeichnete. Darin gab er unter der vorgedruckten Rubrik „zur Zeit/zuletzt beschäftigt bei” an … „E. DB-S.”.

Unter „gewünschte Aufgabengebiete” schrieb er „Aufgabengebiet, das ich seit zehn Jahren in der Abteilung ELA im DB-S. wahrnehme”; ferner setzte er unter „angestrebter Einsatzort” „Abteilung ELA DB-S.” ein und unter die Rubrik „Werdegang von – bis/Schule/Firma, Ort” als letztes von „1971” bis „1988 E./Elektriker/Elektromonteur”. Die Beklagte erteilte dem Kläger unter dem 3. März 1988 eine Absage.

Die Nebenintervenientin kündigte das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und dem Kläger am 17. und nochmals am 23. Februar 1989 zum 30. April 1989 aus verhaltensbedingten Gründen. Hiergegen erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und beantragte darin unter anderem die Feststellung, daß das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und der Nebenintervenientin über den 30. April 1989 hinaus fortbesteht. Das Arbeitsgericht Pforzheim wies die Klage durch sein Urteil vom 27. April 1989 ab. Seine erstinstanzlichen Klageanträge verfolgte der Kläger in der Berufung vor dem Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg weiter. Das Landesarbeitsgericht stellte daraufhin durch sein rechtskräftig gewordenes Urteil vom 24. Oktober 1989 fest, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Nebenintervenientin durch die angegriffenen Kündigungen nicht aufgelöst worden ist, wobei es in den Entscheidungsgründen ausführte, daß der Sachvortrag der Parteien das Vorliegen der Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 AÜG, d.h. die Unwirksamkeit ihres Arbeitsvertrages wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung, nicht erkennen lasse.

Auch gegen eine zweite ihm gegenüber am 17. April 1989 zum 30. Juni 1989 ausgesprochene Kündigung der Nebenintervenientin hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Durch das Anerkenntnisurteil des Arbeitsgerichts Pforzheim vom 24. April 1990 ist rechtskräftig festgestellt worden, daß das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Nebenintervenientin fortbesteht.

Am 30. April 1989 hatte der Kläger seine Tätigkeit im Werk S. der Beklagten eingestellt. Unter dem 16. Juni 1989 machte der Kläger gegenüber der Beklagten vergeblich schriftlich geltend, zwischen ihnen bestehe infolge unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung ein Arbeitsverhältnis. Mit seiner am 24. Juli 1989 eingereichten, der Beklagten am 2. August 1989 zugestellten Klage verfolgt der Kläger dieses Begehren weiter. Er nimmt die Beklagte zudem auf seine Weiterbeschäftigung in Anspruch.

Der Kläger hat vorgetragen: Ab August 1978 sei er im Werk S. der Beklagten zunächst in Arbeitsgruppen eingesetzt worden, welche teilweise aus Arbeitnehmern der Beklagten, teilweise aus Arbeitnehmern von Fremdfirmen, unter anderem der Nebenintervenientin, gebildet worden seien. Vom ersten Tag an habe er seine Anweisungen von bei der Beklagten beschäftigten Vorgesetzten erhalten. In diesen Arbeitsgruppen sei so zusammengearbeitet worden, daß ein dem einzelnen Arbeitnehmer zurechenbares, abgrenzbares Arbeitsergebnis nicht habe bestimmt werden können. Es sei auch nie eine Abnahme der Arbeiten des Klägers erfolgt. Ende 1979, Anfang 1980 habe er vom Vorgesetzten Wolfgang W. den Auftrag bekommen, für die Beklagte ein Material- und Ersatzteillager einzurichten. Dazu habe sich der Kläger Material aus dem Zentrallager der Beklagten im Wert von ca. 100 000,00 DM beschafft. Diesen Lagerbestand habe er nach Anweisung des Vorgesetzten W. ständig aus dem Zentrallager der Beklagten ergänzen müssen. Das zunächst im Bau 40 errichtete Lager sei 1985 in den Bau 16 verlegt worden („Windkanal”). 1988 sei das Lager in den Bau 2 („Weinkeller”) verlegt worden. Zur Materialbeschaffung habe er vom Beklagten-Mitarbeiter W. eine Notiz über die zu beschaffenden Materialien erhalten. Auf dieser Grundlage habe der Kläger Materialanforderungsbelege auf Formularen der Beklagten ausgefüllt und mit diesen gegengezeichneten Belegen das Material im Zentrallager der Beklagten abgeholt. Diese Materialien habe er ohne Beleg sowohl an Mitarbeiter der Beklagten wie auch an Fremdfirmen-Angehörige, auch Mitarbeiter der Nebenintervenientin, ausgehändigt. Arbeitskleidung habe er von der Beklagten erhalten, mit Ausnahme der Arbeitsschuhe, welche gegen Barzahlung die Nebenintervenientin zur Verfügung gestellt habe.

Verantwortliche Mitarbeiter der Nebenintervenientin habe er in den ersten Jahren überhaupt nicht, in späterer Zeit nur gelegentlich im Vorbeigehen getroffen. Zur Zeiterfassung seien zunächst dieselben Stempeluhren verwendet worden, die auch die Beklagten-Arbeitnehmer benutzt hätten. Die Stempelkarten seien täglich vom Werkschreiber der Beklagten, Herrn F., ausgewertet worden. Bei Zuspätkommen habe sich der Kläger bei Werkmeister W. melden und entschuldigen müssen. Urlaubswünsche habe der Kläger durch Herrn W. genehmigen lassen müssen, erst dann sei der Urlaubsantrag an die Nebenintervenientin weitergeleitet worden, deren Genehmigung reine Formsache gewesen sei. Halbjährlich habe der Kläger Unfallverhütungslehrgänge der Beklagten besucht.

Eine grundsätzliche Änderung der Arbeitsorganisation der im Betrieb der Beklagten eingesetzten Arbeitnehmer der Nebenintervenientin habe ab Anfang 1987 stattgefunden, was vermutlich auf die zwischenzeitlich geführten gerichtlichen Verfahren zurückzuführen sei. Seit dieser Zeit habe es keine gemischten Arbeitsgruppen mehr gegeben, und auch der Urlaub habe seither grundsätzlich schriftlich bei der Nebenintervenientin beantragt werden müssen, wenn auch die Anträge weiterhin über Herrn W. eingereicht worden seien. Erst seit Anfang 1987 seien auch verantwortliche Mitarbeiter der Nebenintervenientin im Betrieb der Beklagten als Vorgesetzte bezeichnet worden und auch so auf getreten. Der Kläger sei allerdings weiterhin als Lagerverwalter eingesetzt worden und habe Arbeitnehmer der Beklagten wie Arbeitnehmer der Nebenintervenientin mit Material versorgt.

Weil der Kläger als Lagerverwalter – jedenfalls bis Januar 1987 – ausschließlich Herrn W. unterstellt gewesen sei und von Herrn W. – bis 1987 – Anweisungen erhalten habe, werde gemäß Art. 1 § 10 ÄUG ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten fingiert, welches durch die Vorgänge ab Januar 1987 in seinem Bestand nicht berührt werde.

Nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und in seiner Begründung unter anderem darauf abgestellt hatte, der Kläger habe nach seinem eigenen Vortrag ab Januar 1987 nur noch in einer Arbeitsgruppe der Nebenintervenientin, welche in der Regel nur noch durch deren Repräsentantengruppe kontrolliert und angewiesen worden sei, gearbeitet, hat der Kläger im zweiten Rechtszug unter anderem geltend gemacht:

Der Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils sei unzutreffend, wenn dort festgestellt werde, daß auch der Kläger ab Anfang 1987 von der vorgenommenen Neuorganisation der Arbeit der im Betrieb der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer der Nebenintervenientin betroffen gewesen sei. Vielmehr sei gerade der Kläger hiervon nicht betroffen worden, er habe nach wie vor als Lagerverwalter gearbeitet. Die zwischen der Beklagten und der Nebenintervenientin vereinbarten Rahmen-, Ergänzungs- und Einzelverträge seien nicht Grundlage der Zusammenarbeit geworden, sie hätten vielmehr lediglich die wahre Grundlage – Arbeitnehmerüberlassung – verschleiern sollen. Die Verwirkung eines Anspruches setze voraus, daß der Gegner darauf vertrauen durfte und auch tatsächlich darauf vertraut hat, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Darüber hinaus sei erforderlich, daß der Gegner sich auf diese gleichbleibende Einstellung des Anspruchsinhabers einrichten durfte und auch tatsächlich eingerichtet hat und ihm eine Anpassung nicht zuzumuten sei. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich jedoch mit keinem Wort, daß die Beklagte darauf vertraut und sich entsprechend eingerichtet habe, vom Kläger nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.

Ebensowenig stehe der Geltendmachung des Anspruchs des Klägers entgegen, daß er Kündigungen der Nebenintervenientin gerichtlich angegriffen habe. Diese gerichtlichen Verfahren hätten mit dem Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens nichts zu tun, die Verfahren schlössen sich deshalb gegenseitig nicht aus.

Der Kläger hat beantragt,

  1. festzustellen, daß zwischen den Parteien seit dem 09. August 1978 – hilfsweise seit Rechtshängigkeit – ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht,
  2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den Bedingungen des Manteltarifvertrags und des Lohnabkommens für Arbeitnehmer in der Metallindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden in der jeweils gültigen Fassung sowie der bei ihr geltenden Betriebsvereinbarungen und Betriebsübungen als Lagerverwalter – hilfsweise als Elektromonteur – in ihrem Werk S., Abteilung ELA, weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen:

Die Ausführung der durch Rahmen-, Ergänzungs- und Einzelvereinbarungen der Nebenintervenientin übertragenen Aufträge sei vor Ort durch Projektleiter der Nebenintervenientin überwacht worden. Der Kläger sei seit seinem Einsatz bei der Beklagten dem Bauleiter H. der Nebenintervenientin unterstellt gewesen. Soweit Arbeitnehmer der Beklagten tätig geworden seien, hätten sie nur Überwachungs- und Koordinationsfunktionen im Rahmen von § 645 Abs. 1, § 640 Abs. 1 BGB ausgeübt. Gemischte Arbeitsgruppen habe es im Betrieb der Beklagten nicht gegeben. Ebensowenig sei der Kläger von Mitarbeitern der Beklagten angewiesen worden, ein Lager einzurichten. Vielmehr habe der Kläger von der Nebenintervenientin den Auftrag erhalten, ihre Arbeitnehmer mit Material zu versorgen, welches aus wirtschaftlichen Gründen von der Beklagten zur Verfügung gestellt werde. Arbeitnehmer der Beklagten habe der Kläger bereits deshalb nicht mit Material versorgen müssen, weil deren Weg zum Arbeitsplatz sie am Zentrallager vorbeiführe.

Sollte der Kläger im Einzelfall trotzdem Arbeitnehmer der Beklagten mit Material versorgt haben, sei dies nicht auf ihre Anweisung geschehen. Im Januar 1987 habe Herr H. dem Kläger ausdrücklich untersagt, für Arbeitnehmer der Beklagten Material bereitzustellen. Nach Art der Vertragsdurchführung und nach Sinn und Zweck des Art. 1 §§ 9, 10 AÜG könne der Kläger seine Ansprüche auf diese Bestimmungen nicht stützen. Selbst wenn aber ein Eintritt der Fiktion des Art. 1 § 10 AÜG zu unterstellen sei, sei das Begehren des Klägers rechtsmißbräuchlich, nämlich verwirkt.

Die Nebenintervenientin ist dem Klageabweisungsantrag der Beklagten beigetreten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren vollen Umfangs weiter. Die Beklagte und die Nebenintervenientin beantragen, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat sein Recht verwirkt, sich gegenüber der Beklagten darauf zu berufen, er stehe zu ihr in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis. Dementsprechend ist auch der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers unbegründet.

I. Das Landesarbeitsgericht hat sein klageabweisendes Urteil auf zwei Begründungen gestützt. Es hat zum einen gemeint, die Fiktionswirkung des Art. 1 § 10 Abs. 1 AÜG habe, wenn nach dieser Bestimmung zwischen den Parteien aufgrund der Eingliederung des Klägers in den Betrieb der Beklagten ein Arbeitsverhältnis zu fingieren gewesen sei, mit der Änderung der Arbeitsorganisation im Betrieb der Beklagten Anfang 1987 geendet. Zum anderen hat es gemeint, der Anspruch des Klägers, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses gegenüber der Beklagten geltend zu machen, sei materiell-rechtlich verwirkt.

II. Der Klageanspruch ist verwirkt.

1. Dem Landesarbeitsgericht ist zunächst darin zu folgen, daß auch das Recht eines Arbeitnehmers, sich darauf zu berufen, zwischen ihm und demjenigen, in dessen Betrieb er tätig war, gelte ein Arbeitsverhältnis als zustande gekommen, wie jedes Recht verwirken kann (vgl. Becker/Wulfgramm, AÜG, 3. Aufl., Art. 1 § 10 Rz 38 a). Aus der allgemeinen Geltung des Grundsatzes von Treu und Glauben im Sinne des § 242 BGB ist auch der Grundsatz der Verwirkung materieller Rechte herzuleiten. Materielle Verwirkung liegt vor, wenn der Berechtigte mit der Geltendmachung seines Rechts längere Zeit zugewartet hat und der Schuldner deswegen annehmen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden, er sich hierauf eingerichtet hat und ihm die gegenwärtige Erfüllung des Rechts oder Anspruchs unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist (vgl. statt vieler: BAG Urteil vom 30. Januar 1991 – 7 AZR 497/89 –, zur Veröffentlichung bestimmt, unter I 2 der Gründe; BAG Urteil vom 27. November 1987 – 7 AZR 314/87 – RzK I 9a Nr. 29, zu II 1 der Gründe; BAGE 57, 329, 332 = AP Nr. 17 zu § 630 BGB, zu I 2 der Gründe, jeweils m.w.N.).

2. Die Verwirkung des Rechts, sich auf das Bestehen eines kraft Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fingierten Arbeitsverhältnisses zu berufen, setzt nicht voraus, daß der Arbeitnehmer den Eintritt der gesetzlichen Fiktionswirkung kennt. Die Kenntnis seines Rechts ist in Fällen der vorliegenden Art für den Eintritt der materiellen Verwirkung ebensowenig erforderlich wie in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses mit der Begründung geltend macht, dessen Befristung sei unwirksam. Auch in Fällen der Unwirksamkeit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses kann das Recht des Arbeitnehmers, sich hierauf zu berufen, verwirken, ohne daß der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit der Befristung kennt; vielmehr kommt es nur darauf an, ob das Zeitmoment und das Umstandsmoment vorliegen und die erforderliche Abwägung ergibt, daß dem Schuldner die gegenwärtige Erfüllung des Rechts oder Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. BAG Urteil vom 27. November 1987 – 7 AZR 314/87 –, a.a.O.; siehe auch BAG Urteil vom 25. Oktober 1989 – 7 AZR 578/88 –, unter II 1, 2 der Gründe, n.v. sowie Urteil vom 30. Januar 1991 – 7 AZR 239/90 –, unter II 2 der Gründe, n.v.).

3. Bereits aus diesem Grund kann der Auffassung der Revision nicht gefolgt werden, es komme für den Eintritt der Verwirkung auf die Kenntnis des Klägers von den Umständen an, aus denen auf die Arbeitgeberstellung der Beklagten zu schließen sei. Die Revision verkennt die Bedeutung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Juli 1983 (BAGE 43, 198 = AP Nr. 6 zu § 10 AÜG). In diesem Urteil ging es allein um die Frage, wann Lohnansprüche aus einem kraft Art. 1 § 10 AÜG fingierten Arbeitsverhältnis im Sinne der Ausschlußfristenregelung des § 16 des allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV-Bau) fällig werden. Aus dem Sinn und Zweck tarifvertraglicher Verfallfristen und weiteren tarifrechtlichen Erwägungen hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, die tarifvertragliche Fälligkeit im Sinne der Ausschlußfristenbestimmung des § 16 BRTV-Bau trete erst ein, wenn der Entleiher seine Schuldnerstellung gegenüber dem Arbeitnehmer eingeräumt habe (BAGE 43, 198, 202 ff. = AP Nr. 6 zu § 10 AÜG, unter II 3 der Gründe). Hieraus läßt sich nicht ableiten, für die Verwirkung des Rechts, sich gegenüber dem Entleiher auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnissses kraft Fiktion des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 ÄUG zu berufen, komme es darauf an, daß der Entleiher dem Arbeitnehmer gegenüber seine Arbeitgeberstellung anerkannt oder der Arbeitnehmer von den Tatsachen, aus denen sie folgt, Kenntnis habe.

Das Recht, sich gegenüber dem Entleiher auf das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses kraft gesetzlicher Fiktion nach Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu berufen, unterliegt auch keiner Fälligkeit im Rechtssinn. Für das Zeitmoment der materiellen Verwirkung kommt es allerdings darauf an, wann dieses Recht objektiv geltend gemacht werden konnte, d.h., wann seine Voraussetzungen objektiv gegeben gewesen sein sollen. Zu diesen Voraussetzungen zählt aber nicht, daß der Entleiher seine Arbeitgeberstellung eingeräumt hat oder auch nur, daß dem (Leih-)Arbeitnehmer die Möglichkeit bewußt war, zum Entleiher im Arbeitsverhältnis zu stehen.

III. Gemessen an diesen Voraussetzungen, die der Senat in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit in seinem Urteil vom 30. Januar 1991 zusammengefaßt hat (7 AZR 239/90 –, unter II 1 bis 3 der Gründe, nicht zur Veröffentlichung bestimmt), erweist sich auch im vorliegenden Fall der Anspruch des Klägers als materiellrechtlich verwirkt. Er kann sich gegenüber der Beklagten nicht mehr darauf berufen, zwischen ihnen bestehe kraft der Fiktion des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis.

Zu Unrecht meint die Revision, der Einwand der Verwirkung greife schon deshalb nicht durch, weil die Beklagte und die Nebenintervenientin zum Nachteil des Klägers kollusiv zusammengewirkt hätten. Für eine solche Annahme fehlt es an Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht. Der Sachvortrag des Klägers gibt auch keinen Anlaß, den Sachverhalt unter diesem Gesichtspunkt aufzuklären. Allein aus dem denkbaren Eintritt der Rechtsfolge des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG läßt sich auf ein kollusives Zusammenwirken der Beklagten mit der Nebenintervenientin nicht schließen.

1. Das Zeitmoment ist erfüllt. Der Kläger hat sich erst mehr als sechs Wochen nach völliger Einstellung seiner Tätigkeit bei der Beklagten dieser gegenüber berühmt, zu ihr infolge seiner vormaligen Tätigkeit kraft der Fiktion des Art. 1 § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG in einem Arbeitsverhältnis zu stehen, nämlich erstmals mit seinem Schreiben vom 16. Juni 1989. Seine Tätigkeit bei der Beklagten hatte er spätestens aufgrund der im Februar 1989 erklärten Kündigungen seines Arbeitsverhältnisses mit der Nebenintervenientin zum 30. April 1989 beendet. Der Zeitraum von mehr als sechs Wochen genügt hier für das Zeitmoment der Verwirkung. Der Arbeitgeber muß über seine Arbeitsplätze disponieren können und deshalb alsbald wissen, ob ein Arbeitnehmer nach seinem tatsächlichen Ausscheiden aus dem Betrieb sich noch auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses berufen will.

2. Auch das Umstandsmoment liegt vor. Die Beklagte durfte und hat sich darauf verlassen, der Kläger werde nie nicht als seine Arbeitgeberin in Anspruch nehmen. Der Kläger ist insoweit gegenüber der Beklagten nicht nur bis zum 16. Juni 1989 völlig untätig geblieben, sondern er hat durch sein vorheriges Verhalten auch gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht, daß er sie nicht als seine Arbeitgeberin betrachte.

Zum einen hat der Kläger mit seiner schriftlichen Bewerbung bei der Beklagten vom 15. Februar 1988 objektiv den Eindruck erweckt, daß er selbst nicht davon ausgehe, im Arbeitsverhältnis zur Beklagten zu stehen und damit ihr Arbeitnehmer zu sein. Die Ansicht der Revision, das Landesarbeitsgericht habe insoweit den Sinngehalt der Angabe über den bisherigen Arbeitgeber auf Seite 1 des Bewerbungsformulars verkannt, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Hieraus ist nicht zu erkennen, daß der Kläger zum Ausdruck bringen wollte, bereits Arbeitnehmer der Beklagten zu sein. Zudem hat der Kläger in demselben Formular auf Seite 4 in der Auflistung der Arbeitgeber als derzeitige Arbeitgeberin die Kurzbezeichnung der Nebenintervenientin angegeben. Insgesamt ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Kläger mit seiner Bewerbung selbst zum Ausdruck gebracht hat, nicht Arbeitnehmer der Beklagten zu sein. Zum anderen hat der Kläger nochmals dadurch gegenüber der Beklagten zum Ausdruck gebracht, sie nicht als seine Arbeitgeberin anzusehen, daß er seine Tätigkeit bei der Beklagten allein aufgrund der Kündigungen der Nebenintervenientin vom Februar 1989 zum 30. April 1989 eingestellt hat. Damit hat der Kläger Umstände gesetzt, auf Grund derer die Beklagte darauf vertrauen durfte und vertraut hat, daß der Kläger selbst nicht sie, sondern die Nebenintervenientin als seine Arbeitgeberin angesehen hat.

3. Hierauf durfte die Beklagte umso mehr vertrauen, als andere Arbeitnehmer der Nebenintervenientin, insbesondere auch solche, die in derselben Abteilung in gleicher Weise wie der Kläger bei ihr tätig waren, eben deswegen bereits seit mehr als zwei Jahren arbeitsgerichtlich gegen die Beklagte vorgingen, als sich der Kläger mit dem entsprechenden Begehren erstmals bei ihr meldete. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die anderen Arbeitnehmer noch während ihres Einsatzes bei der Beklagten schriftlich geltend gemacht hatten, zu ihr im Arbeitsverhältnis zu stehen, und sodann Klagen erhoben hatten, während der Kläger seine Tätigkeit bei ihr vorbehaltlos eingestellt hat. Angesichts der Gesamtumstände ist es der Beklagten nicht mehr zuzumuten, dem Begehren des Klägers nachzukommen.

IV. Aus den vorgenannten Gründen ist die Klage nicht nur hinsichtlich des Feststellungsantrags, sondern auch hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsantrags unbegründet. Der Weiterbeschäftigungsanspruch setzt das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Daran fehlt es hier.

V. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91, 97 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Seidensticker, Kremhelmer, Schliemann, Trettin, Dr. Gerschermann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1070656

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