Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifvorrang bei Teilzeitarbeit

 

Leitsatz (amtlich)

  • Bestimmt ein Tarifvertrag, daß sich die Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer nach dem Arbeitsanfall richtet, ohne zugleich eine bestimmte Dauer der Arbeitszeit festzulegen, so findet die für einzelvertragliche Vereinbarungen geltende Bestimmung des § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG, wonach eine wöchentliche Arbeitszeit von zehn Stunden als vereinbart gilt, keine Anwendung.
  • Eine solche Tarifnorm ist, soweit sie von der Festlegung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit absieht, nicht wegen Verstoßes gegen zwingende Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts unwirksam.
 

Normenkette

BeschFG 1985 Art. 1 §§ 4, 6; Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (TV) vom 1. April 1969 §§ 12-13; BGB §§ 134, 315, 615, 622, 626; KSchG §§ 1-2

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 14.03.1990; Aktenzeichen 7 (13) Sa 1408/89)

ArbG Göttingen (Urteil vom 27.07.1989; Aktenzeichen 1 Ca 158/89)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 14. März 1990 – 7 (13) Sa 1408/89 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es der Klage stattgegeben hat.
  • Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 27. Juli 1989 – 1 Ca 158/89 – abgeändert:

    Die Klage wird in vollem Umfange abgewiesen.

  • Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

Von Rechts wegen !

 

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 1. Juli 1986 im Schlachthof der Beklagten als Fleischbeschauer und Trichinenschauer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen (TV) vom 1. April 1969 Anwendung. Hinsichtlich der Arbeitszeit und der Vergütung ist darin folgendes bestimmt:

§ 12

Arbeitszeit

Die Arbeitszeit des Angestellten richtet sich nach dem Arbeitsanfall. Die möglichst gleichmäßige Heranziehung zur Arbeitsleistung wird vom Arbeitgeber geregelt. Ist der Angestellte verhindert, seine Arbeit aufzunehmen, hat er dies dem Arbeitgeber unverzüglich anzuzeigen.

§ 13

Vergütung

(1) Vergütung wird nur für angeordnete und geleistete Arbeit gezahlt. Ist der Angestellte nach Aufforderung zur Arbeit erschienen und werden seine Dienste aus einem von ihm nicht zu vertretenden Grunde nicht oder weniger als zwei Stunden in Anspruch genommen, wird die Vergütung für zwei Stunden gezahlt.

Bis zum Monat November 1988 arbeitete der Kläger im Jahresdurchschnitt 100 Arbeitsstunden monatlich. Nachdem die landwirtschaftliche F…, die den Schlachthof in großem Umfang nutzte, ihren Betrieb zum Ende des Jahres 1988 in G… – eingestellt hatte, fanden Schlachtungen nur noch in erheblich vermindertem Umfang statt. Bis zum 15. März 1989 zahlte die Beklagte dem Kläger und den übrigen Fleischbeschauern und Trichinenschauern aufgrund einer Übergangsregelung die Vergütung nach dem bisherigen durchschnittlichen Einsatz fort. Seit dem 16. März 1989 werden dem Kläger nur noch die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden vergütet. Für 11,5 Arbeitsstunden in der Zeit bis zum 21. April 1989 erhielt der Kläger 224,37 DM brutto. In der Zeit vom 22. April 1989 bis zum 20. Februar 1990 befand er sich in Erziehungsurlaub.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei verpflichtet, ihm über den 15. März 1989 hinaus den bisherigen monatlichen Durchschnittsverdienst fortzuzahlen. Eine Arbeitszeit von 100 Stunden monatlich sei durch betriebliche Übung zum Inhalt des Arbeitsverhältnisses geworden. Da sich nach dem Tarifvertrag die Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall richte, betrage die Arbeitszeit aber jedenfalls nach § 4 Abs. 1 BeschFG 10 Stunden wöchentlich. Die tarifliche Regelung enthalte keine zulässige Abweichung von dieser Bestimmung und verstoße außerdem gegen die zwingenden gesetzlichen Vorschriften des Kündigungsrechts.

Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 16. März bis 21. April 1989 1.681,63 DM brutto zu zahlen zuzüglich 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 26. April 1989,
  • die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab 21. Februar 1990 für die Dauer des Bestehens des Arbeitsvertrages monatlich mindestens ein Bruttoentgelt in Höhe von 1.524,-- DM zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei tarifgemäß vergütet worden und könne nicht den Lohn für eine Arbeitszeit von 100 Stunden monatlich bzw. 10 Stunden wöchentlich verlangen. Die Regelung des § 12 Satz 1 TV sei wegen des unterschiedlichen Schlachtaufkommens, auf das die Beklagte keinen Einfluß habe, sachlich geboten und daher wirksam. Deshalb werde nach § 13 Abs. 1 Satz 1 TV Vergütung nur für die angeordnete und geleistete Arbeitszeit geschuldet.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 598,59 DM brutto stattgegeben. Dies ist die Differenz zwischen dem für die Zeit vom 16. März 1989 bis 21. April 1989 gezahlten Betrag und einer Vergütung für 10 Arbeitsstunden wöchentlich. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Berufung des Klägers festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet sei, an den Kläger für die Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses wöchentlich mindestens ein Bruttogehalt von 152,40 DM zu zahlen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie begehrt weiterhin Klageabweisung in vollem Umfange. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des berufungsgerichtlichen Urteils und zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils, soweit das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat. Die Klage ist in vollem Umfang unbegründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Vergütung von mindestens 10 Arbeitsstunden wöchentlich zu.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger habe für die Zeit vom 16. März 1989 bis zum 21. April 1989 einen Anspruch auf Zahlung der Differenz zwischen der Vergütung für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und der Vergütung für eine zehnstündige wöchentliche Arbeitszeit in unstreitiger Höhe von 598,59 DM brutto. Die Beklagte habe sich in Annahmeverzug befunden. Da die Dauer der Arbeitszeit nicht festgelegt sei, sondern sich gemäß § 12 Satz 1 TV nach dem Arbeitsanfall richte, gelte nach § 4 Abs. 1 BeschFG eine Arbeitszeit von 10 Stunden wöchentlich als vereinbart. Die tarifliche Regelung sei nicht wirksam. Inhaltlich enthalte sie bereits keine von § 4 Abs. 1 BeschFG abweichende Regelung. Aber selbst wenn man eine solche Abweichung annehme, sei die Bestimmung wegen objektiver Umgehung zwingender kündigungs- und kündigungsschutzrechtlicher Bestimmungen (§§ 1, 2 KSchG, § 622 Abs. 1 und Abs. 5, § 626 BGB) nichtig (§ 134 BGB). Die Tarifvertragsparteien hätten im Hinblick auf den Bestands- und Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses kein schrankenloses einseitiges Bestimmungsrecht des Arbeitgebers in bezug auf die Dauer der Arbeitszeit normieren dürfen. Für die Zeit nach Beendigung des Erziehungsurlaubs bestehe eine Verpflichtung der Beklagten, eine Vergütung auf der Basis einer wöchentlichen 10-stündigen Arbeitszeit zu gewähren.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Die Beklagte ist nur verpflichtet, die angeordnete und geleistete Arbeitszeit des Klägers zu vergüten. Dies folgt aus den auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden tariflichen Bestimmungen. Nach § 12 Satz 1 TV richtet sich die Arbeitszeit des Klägers nach dem Arbeitsanfall. Die Beklagte ist nur verpflichtet, angeordnete und geleistete Arbeitszeit zu vergüten (§ 13 Abs. 1 TV). Diese Vergütung hat der Kläger für die Zeit vom 16. März 1989 bis zum 21. April 1989 erhalten. Ein darüber hinausgehender Anspruch aus Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB) steht dem Kläger nicht zu.

1. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sich das Arbeitsverhältnis nicht durch betriebliche Übung auf eine Mindestarbeitszeit konkretisiert. Die Dauer der Arbeitszeit bestimmt sich deshalb nach den tariflichen Bestimmungen. Sie richtet sich nach dem Arbeitsanfall (§ 12 Abs. 1 TV).

2. Die tarifliche Regelung weicht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts von § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG ab. Sie ist wirksam und findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung.

a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts enthält § 12 Satz 1 TV eine Bestimmung, die von der gesetzlichen Regelung über die Dauer der Arbeitszeit in § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG abweicht. Richtet sich die Dauer einer individualrechtlichen vereinbarten Arbeitszeit nach dem Arbeitsanfall, so wird durch die gesetzliche Vorschrift beim Fehlen einer festgelegten Dauer der Arbeitszeit eine Mindestdauer von zehn Stunden wöchentlich fingiert. Gleiches gilt jedoch nicht für eine von den Tarifvertragsparteien getroffene Regelung, nach der der Arbeitgeber die Dauer der Arbeitszeit entsprechend dem Arbeitsanfall bestimmen kann. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das bei der Auslegung der Tarifnorm zu Unrecht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Individualvereinbarungen entsprechenden Inhalts (BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969) herangezogen hat, läßt sich im Wege der Tarifauslegung ein dem § 4 Abs. 1 Halbsatz 2 BeschFG entsprechender Inhalt des § 12 Satz 1 TV nicht ermitteln. § 4 Abs. 1 BeschFG gilt nach seinem eindeutigen Wortlaut nur für Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nicht aber für Tarifverträge. Die tarifliche Regelung weicht somit von der gesetzlichen Regelung dadurch ab, daß sie dem Arbeitgeber ein einseitiges Bestimmungsrecht einräumt und bei Nichtausübung dieses Bestimmungsrechts eine Mindestdauer der Arbeitszeit nicht festlegt.

b) Die tarifliche Regelung ist wirksam.

aa) Die tarifliche Abweichung von § 4 Abs. 1 BeschFG ist, obwohl sie für den Arbeitnehmer ungünstiger ist als die gesetzliche Regelung, nach § 6 Abs. 1 BeschFG zulässig. Der Wirksamkeit der Tarifnorm steht auch nicht entgegen, daß der Tarifvertrag vor dem Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes abgeschlossen wurde (vgl. GK-TzA-Mikosch, Art. 1 § 6 BeschFG 1985 Rz 11).

bb) Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen zwingende Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts.

Zu Unrecht stellt das Landesarbeitsgericht auf die Grundsätze ab, die der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 12. Dezember 1984 (BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969) für die Wirksamkeit einzelvertraglicher Vereinbarungen aufgestellt hat. Es verkennt dabei, daß die Bestimmungen des Beschäftigungsförderungsgesetzes, soweit nach ihnen der Schutz, den die Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts gewähren, durch Individualabreden (§ 4 BeschFG) und weiter durch kollektive Vereinbarungen (§ 6 BeschFG) eingeschränkt werden kann, die spezielleren Regelungen sind.

Nach der genannten Entscheidung war eine einzelvertragliche Vereinbarung, aufgrund derer der Arbeitgeber die Arbeitszeit teilzeitbeschäftigter Musiklehrer an einer kommunalen Musikschule innerhalb eines bestimmten Rahmens einseitig ohne Fristbindung bestimmen konnte, wegen Umgehung des gesetzlichen Änderungskündigungsschutzes (§ 2 KSchG) und des Verbotes, einzelvertraglich für den Arbeitnehmer eine längere Kündigungsfrist als für den Arbeitgeber zu vereinbaren (§ 622 Abs. 5 BGB) als nichtig anzusehen. Ob tariflich ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit vorgesehen werden könne, hat der Siebte Senat ausdrücklich offen gelassen (vgl. BAGE 47, 314, 328 = AP, aaO, zu II 3d ff der Gründe).

Die vom Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts für einzelvertragliche Vereinbarungen aufgestellten Rechtsgrundsätze können für tarifliche Bestimmungen nach § 6 BeschFG, die zuungunsten des Arbeitnehmers von den Regelungen des § 4 Abs. 1 BeschFG abweichen, keine Geltung beanspruchen. Nicht nur nach seinem Wortlaut, sondern auch nach seiner Entstehungsgeschichte ersetzt § 6 BeschFG den sonst durch das Kündigungsrecht gewährleisteten Schutz des Arbeitnehmers gegen die Änderung von Arbeitsbedingungen durch die autonomen Regelungen der sachkundigen Tarifvertragsparteien. Dies wird auch im Schrifttum verkannt, soweit dort unter Bezugnahme auf das Urteil des Siebten Senats tarifliche Bestimmungen, nach denen der Arbeitgeber berechtigt ist, die Arbeitszeit einseitig nach Bedarf zu reduzieren, für nichtig gehalten werden (vgl. GK-TzA-Mikosch, Art. 1 § 6 BeschFG 1985 Rz 17).

Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Beschäftigungsförderungsgesetz 1985 (BT-Drucks. 10/2102) war für den Fall einer Vereinbarung, nach der Dauer und Lage der Arbeitszeit des Arbeitnehmers dem Arbeitsanfall angepaßt werden können, nur die in § 4 Abs. 2 BeschFG geregelte Vorankündigungspflicht des Arbeitgebers vorgesehen. Die Pflicht zur Festlegung einer bestimmten Dauer der Arbeitszeit und die eine solche Festlegung notfalls ersetzende Fiktion einer wöchentlichen Arbeitszeit von zehn Stunden fehlten. Eine sozialverträgliche Gestaltung der Arbeitsbedingungen bei variabler Arbeitszeit sollte nach dem Regierungsentwurf, wie sich aus seiner Begründung ergibt (aaO, S. 16, 25, 26), allein durch die genannte Vorankündigungspflicht des Arbeitgebers und die in § 4 Abs. 2 des Entwurfs (= § 4 Abs. 3 des Gesetzes) festgelegte Mindestinanspruchnahme gewährleistet werden.

Der Gesetzgeber hat diese Regelung nicht übernommen. Er hat vielmehr den Bedenken des Siebten Senats des Bundesarbeitsgerichts gegen die Vereinbarung von Bedarfsarbeit durch die jetzige Fassung des § 4 Abs. 1 BeschFG Rechnung getragen.

Die in dieser Bestimmung geregelten Einschränkungen der Vertragsfreiheit beziehen sich jedoch nur auf einzelvertragliche Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien. Treffen die Tarifpartner Regelungen über variable Arbeitszeit, so richtet sich deren Wirksamkeit nicht nach § 4 Abs. 1 BeschFG. Dies folgt aus § 6 Abs. 1 BeschFG. Der darin begründete Tarifvorrang wurde im Gesetzgebungsverfahren unverändert beibehalten. Zwar ist nach Auffassung des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts eine Abweichung vom Benachteiligungsverbot des § 2 Abs. 1 BeschFG durch Tarifverträge vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt worden (BAGE 62, 334, 338 = AP Nr. 6 zu § 2 BeschFG 1985). Für eine Einschränkung des Tarifvorrangs in bezug auf § 4 Abs. 1 BeschFG bestehen jedoch keine Anhaltspunkte. Nicht nur aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, sondern vor allem auch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, daß der Schutz des Arbeitnehmers bei Anwendbarkeit eines Tarifvertrags allein durch dessen Regelungen sichergestellt werden soll. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es, daß die Tarifvertragsparteien bei tarifvertraglichen Vereinbarungen über Teilzeitarbeit und deren Sonderformen sachlich gerechtfertigte Ausnahmebestimmungen zu den gesetzlichen Regelungen, insbesondere branchenspezifische Regelungen, besser als der Gesetzgeber treffen können und dabei auch die Schutzinteressen der Arbeitnehmer ausreichend berücksichtigen (BT-Drucks., aaO, S. 26). Daraus folgt, daß bei Vereinbarung einer variablen Arbeitszeit auch über den in § 4 Abs. 1 BeschFG für einzelvertragliche Vereinbarungen festgelegten Rahmen hinaus tarifliche Regelungen zulässig sind. Dadurch, daß der Gesetzgeber dies durch die Begründung des Tarifvorrangs in § 6 BeschFG zugelassen hat, hat er den durch kündigungs- und kündigungsschutzrechtliche Vorschriften im übrigen begründeten Bestandsschutz insoweit eingeschränkt. Eine tarifliche Regelung wie § 12 Satz 1 TV, nach der sich die Arbeitszeit nicht vollbeschäftigter Angestellter nach dem Arbeitsanfall richtet und dem Arbeitgeber insoweit ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit eingeräumt wird, verstößt deshalb nicht gegen zwingendes Kündigungsrecht.

cc) Die Tarifvertragsparteien haben durch die Regelung in § 12 Satz 1 TV auch die sonstigen Grenzen ihres normativen Gestaltungsspielraums nicht überschritten. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob die Tarifvertragsparteien die sachgerechteste und zweckmäßigste Regelung getroffen haben. Die Gerichte haben jedoch zu kontrollieren, ob durch die tarifliche Regelung die Grenzen der Tarifautonomie überschritten werden (vgl. BAGE 54, 210, 213 f. = AP Nr. 3 zu § 52 BAT; BAG Urteil vom 27. November 1991 – 4 AZR 533/89 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Diese können sich nicht nur aus zwingendem Gesetzesrecht, sondern auch aus dem Grundgesetz, den guten Sitten oder tragenden Grundsätzen des Arbeitsrechts ergeben (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., Einl. Rz 127 ff.). Eine tarifliche Regelung kann deshalb auch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtsunwirksam sein (BAGE 63, 100, 110 = AP Nr. 3 zu § 1 TVG Vorruhestand).

Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Tarifvertragsparteien tragen dadurch, daß sie dem Arbeitgeber im Geltungsbereich des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der nicht vollbeschäftigten amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure in öffentlichen Schlachthöfen und in Einfuhruntersuchungsstellen ein einseitiges Bestimmungsrecht hinsichtlich der Dauer der Arbeitszeit der Angestellten entsprechend dem Arbeitsanfall einräumen,

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

 

Unterschriften

Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Freitag, Hilgenberg, Spiegelhalter

 

Fundstellen

Haufe-Index 838601

BAGE, 62

NJW 1993, 348

NZA 1992, 938

RdA 1992, 286

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