Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussperrung in der Druckindustrie 1978

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die bundesweite und unbefristete Abwehraussperrung in der Druckindustrie vom 14. bis 20. März 1978 verletzte des Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und war deshalb rechtswidrig (Bestätigung von BAG 10. Juni 1980 1 AZR 822/79 = BAGE 33, 140 = AP Nr 64 zu Art 9 GG Arbeitskampf und Urteil vom 10. Juni 1980 - 1 AZR 690/79 = AP Nr 67 zu Art 9 GG Arbeitskampf).

2. Bei der Prüfung, ob die Arbeitgeberseite bei der Abwehraussperrung das Übermaßverbot verletzt hat, kommt es auf den Aussperrungsbeschluß an und nicht auf die Zahl der Arbeitnehmer, die tatsächlich ausgesperrt wurden. Aussperrungen, die auf einem unverhältnismäßigen Aussperrungsbeschluß beruhen, sind rechtswidrig.

 

Orientierungssatz

Die gegen das Urteil des BAG eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG durch Beschluß vom 26.6.1991 1 BvR 779/85 zurückgewiesen.

 

Normenkette

BGB §§ 133, 400; GG Art. 9 Abs. 3; ZPO § 850c; EuSC Art. 6 Nrn. 2, 4; TVG § 2 Abs. 1, § 1 Abs. 1; BGB § 615 S. 1, § 410 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1 Sätze 2, 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 308 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 09.12.1982; Aktenzeichen 8 Sa 408/79)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 31.10.1979; Aktenzeichen 4 Ca 1873/79)

ArbG Dortmund (Entscheidung vom 07.03.1979; Aktenzeichen 4 Ca 2565/78)

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 26.06.1991; Aktenzeichen 1 BvR 779/85)

 

Tatbestand

Die Klägerin macht Lohnansprüche zweier Mitglieder geltend, die diese nach dem Arbeitskampf in der Druckindustrie im Jahre 1978 an die Klägerin abgetreten haben.

In diesem Arbeitskampf ging es um den Abschluß eines Tarifvertrags über die Einführung und Anwendung rechnergesteuerter Textsysteme. Die technologische Entwicklung führte in weiten Bereichen der Druckindustrie zu einer völlig neuen Form der Satzherstellung, die vor allem die Arbeitsplätze der Maschinensetzer bedrohte. Die Klägerin bemühte sich deshalb seit Herbst 1975 um ein Rationalisierungsschutzabkommen, wonach freigesetzte Arbeitnehmer auf neuartigen Arbeitsplätzen unterzubringen sind und das Besetzungsverfahren tariflich geregelt wird. Nach verschiedenen Vorgesprächen kam es am 11. Januar 1977 zur ersten Tarifverhandlung zwischen dem Bundesverband Druck, dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger und dem Bundesverband Deutscher Zeitschriftenverleger einerseits und der Klägerin andererseits. Beide Seiten legten Tarifvertragsentwürfe vor. Insgesamt sieben Verhandlungsrunden führten jedoch zu keinem Ergebnis. Im September 1977 erklärte die Klägerin die Verhandlungen für gescheitert. Ebenso scheiterte das anschließende Schlichtungsverfahren (17./18. November 1977).

Der Arbeitskampf begann mit kurzfristigen Arbeitsniederlegungen und Überstundenverweigerungen, die in der Zeit nach dem 25. November 1977 die Zeitungsproduktion beeinträchtigten. Während dieser Aktionen wurden die Verhandlungen fortgesetzt. Am 28. Februar 1978 rief die Klägerin nach vorangegangenen Urabstimmungen in vier Verlagen unbefristete Streiks aus. In der Folgezeit wurden mehrere Betriebe bestreikt. Es kam auch zu zeitlich und regional beschränkten Aussperrungen. Am 14. März 1978 waren insgesamt sechs Unternehmen von einem Streik betroffen.

Als es die Klägerin ablehnte, ihre unbefristeten Streiks aus Anlaß der Vermittlungsbemühungen des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit auszusetzen, beschlossen die Arbeitgeberverbände, eine bundesweite und unbefristete Aussperrung mit Wirkung vom 14. März 1978 durchzuführen. Sie sollte sich auf alle im technischen Bereich beschäftigten Arbeitnehmer erstrecken. Dieser Aussperrungsbeschluß wurde jedoch nicht vollständig befolgt. Viele Unternehmen beteiligten sich nicht, einige sperrten nur die Mitglieder der IG Druck und Papier aus. Die Aussperrung endete am 20. März 1978. Über die Auswirkungen der Streiks und der Aussperrungen haben die Parteien unterschiedliche Angaben gemacht: Die Klägerin hat behauptet, daß insgesamt 55.773 Streiktage und 245.819 Aussperrungstage angefallen seien; die Beklagte ist davon ausgegangen, daß 52.255 Streiktagen (ohne Warnstreik) insgesamt 188.000 Aussperrungstage gegenüberstanden.

Auch im Betrieb der Beklagten wurden die im technischen Bereich beschäftigten Arbeitnehmer ausgesperrt. Die Beklagte befaßt sich mit der Satz- und Klischeeherstellung für drei Tageszeitungen. Im März 1978 beschäftigte sie 344 Arbeiter und 35 Angestellte. Aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarungen waren Tarifverträge für die Druckindustrie anzuwenden.

Die Beklagte gehörte keinem Arbeitgeberverband an. Sie gab die Aussperrung durch folgenden Aushang bekannt:

"An die gewerblichen Arbeitnehmer im techni-

schen Bereich

-------------------------------------------

Sehr geehrte Mitarbeiter,

die Industriegewerkschaft Druck und Papier

führt Streiks gegen einzelne ausgewählte

Firmen der Druckindustrie durch. Zur Abwehr

dieser Streiks haben die drei Arbeitgeber-

verbände die unbefristete Aussperrung der

Arbeitnehmer (im technischen Bereich) be-

schlossen. Wir fühlen uns an diesen Be-

schluß bis auf weiteres gebunden.

Wir erklären deshalb die Aussperrung ab 14.

März 1978, 6.00 Uhr.

Von der Aussperrung ausgenommen sind die An-

gestellten sowie solche Arbeiter, die durch

besondere Mitteilung für den Notdienst be-

stimmt werden.

Um soziale Härten zu vermeiden, wird Z

an die gewerkschaftlich organi-

sierten wie an die nicht gewerkschaftlich

organisierten Mitarbeiter Beihilfen zahlen,

über deren Höhe wir Sie im Laufe des heuti-

gen Tages noch unterrichten werden.

Mit der Aussperrung ist eine Auflösung des

Arbeitsverhältnisses nicht verbunden."

Die in diesem Aushang angekündigte Beihilfe wurde wie folgt berechnet: Die Beklagte zahlte 250 gewerkschaftlich organisierten Arbeitern die Differenz zwischen der gewerkschaftlichen Arbeitskampfunterstützung und dem durchschnittlichen Nettolohn. Vier nichtorganisierte Arbeiter erhielten für die ausgefallene Arbeitszeit den vollen Nettolohn. Bei dem organisierten Arbeitnehmer A berücksichtigte die Beklagte eine Arbeitskampfunterstützung von 316,-- DM, beim ebenfalls organisierten Arbeitnehmer Am 325,-- DM.

Beide Arbeitnehmer haben ihre Ansprüche an die "Industriegewerkschaft Druck und Papier, Landesbezirk/Bezirk Dortmund" abgetreten. Die Klägerin hat diese Forderungen mit Schreiben vom 26. Mai 1978, der Beklagten am 29. Mai 1978 zugegangen, geltend gemacht. Die Beklagte weigerte sich mit Schreiben vom 5. Juni 1978 zu zahlen.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Aussperrung der Beklagten sei rechtswidrig gewesen. Sie hat sich insoweit auf das Urteil des Senats vom 10. Juni 1980 (1 AZR 822/79 - BAG 33, 140) zur Aussperrung in der Druckindustrie im Jahre 1978 gestützt. Unabhängig davon seien die geltend gemachten Ansprüche aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes begründet. Da die Beklagte den nichtorganisierten Arbeitnehmern vollen Lohnausgleich gewährt habe, könne sie den organisierten Arbeitnehmern diese Leistung nicht vorenthalten.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 316,-- DM

brutto und 325,-- DM brutto jeweils nebst 4 %

Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage erhoben. Jedenfalls sei die Klage nicht begründet. Die Aussperrung sei rechtmäßig gewesen. Mit ihrer Aussperrung habe sie sich dem Aussperrungsbeschluß der Zentralen Arbeitskampfleitung der Arbeitgeber anschließen dürfen. Da sie das einschlägige Tarifrecht kraft einzelvertraglicher Einheitsregelung grundsätzlich für ihren Betrieb übernehme, sei sie unmittelbar am Ausgang des Arbeitskampfes interessiert gewesen. Dem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber stehe es zudem ebenso wie dem nichtorganisierten Arbeitnehmer frei, sich am Arbeitskampf zu beteiligen. Die Lohnansprüche der Arbeitnehmer A und Am seien im übrigen nicht auf die Klägerin übergegangen. Sie seien nach § 13 des hier anwendbaren Manteltarifvertrags für die Druckindustrie verfallen. Der Geltendmachung stünde das Friedensabkommen vom 20. März 1978 entgegen.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen. Die Berufungen der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihre Sachanträge in den schon vom Landesarbeitsgericht verbundenen Verfahren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der klagenden Gewerkschaft ist begründet. Ihre Mitglieder hatten für die Zeit vom 14. bis 20. März 1978 nach § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf die vereinbarte Vergütung. Während dieser Zeit befand sich die Beklagte in Annahmeverzug. Die Aussperrung der Arbeitnehmer war rechtswidrig.

I. Die Klage ist zulässig. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis zu Recht angenommen, die Klage scheitere nicht aus prozessualen Gründen.

Das Berufungsgericht wendet sich allerdings zu Unrecht gegen die vom Senat vertretene Auffassung, der neue Gläubiger, hier die klagende Gewerkschaft, brauche in einem Zahlungsurteil nur den Bruttobetrag zu nennen; durch die Urteilsformel könne dem beklagten Arbeitgeber vorbehalten werden, die auf den Bruttobetrag entfallenden Steuern und Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten und ordnungsgemäß abzuführen (vgl. BAG 33, 140, 185 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu D 2 der Gründe; Urteil vom 10. Juni 1980 - 1 AZR 690/79 - AP Nr. 67 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu II 3 der Gründe).

Die hiergegen vom Berufungsgericht erhobenen Bedenken sind nicht begründet. Es macht keinen Unterschied, ob der ursprüngliche Gläubiger oder der Rechtsnachfolger die Lohnforderung einklagt. In jedem Fall bleibt dem Schuldner die Möglichkeit, aus der Bruttolohnforderung den dem Arbeitnehmer zustehenden Nettolohn zu errechnen. Er ist verpflichtet, die auf den Lohn entfallende Lohnsteuer abzuführen und Sozialversicherungsbeiträge einzubehalten. An diesen Verpflichtungen und rechtlichen Möglichkeiten ändert sich nichts dadurch, daß die Bruttolohnforderung auf einen Dritten übergeht.

Der Lohnanteil, der auf die Klägerin übergegangen ist, ist in der Klage bestimmt genug bezeichnet (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Beklagte hat ihren Arbeitnehmern eine Lohnabrechnung erteilt. Von dem errechneten Nettolohn hat sie die mit der Klage geltend gemachten Teile, nämlich 316,-- DM und 325,-- DM, einbehalten. Der Streit geht also nur um diese einbehaltenen Lohnanteile. Das ist unstreitig. Daß die Klägerin diesen Lohnanteil "brutto" fordert, führt nur dazu, daß das Gericht nicht mehr als beantragt zusprechen kann (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

II. Die Klageforderung ist schon deshalb begründet, weil die bundesweite und unbefristete Abwehraussperrung der Arbeitgeber in der Druckindustrie und im Verlagsgewerbe insgesamt rechtswidrig war; sie hat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Der Senat braucht deshalb nicht zu entscheiden, ob die Beklagte sich einer rechtmäßigen Aussperrung anschließen durfte, ob die Beklagte bei dem von ihr eingesetzten Kampfmittel in unzulässiger Weise zwischen Mitgliedern der streikenden Gewerkschaft und nichtorganisierten Arbeitnehmern unterschieden hat (vgl. dazu BAG 33, 195, 203 = AP Nr. 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf), und ob den benachteiligten organisierten Arbeitnehmern eine Beihilfe in der Höhe zustünde, wie sie an nichtorganisierte Arbeitnehmer gezahlt wurde (zur Gleichbehandlung vgl. zuletzt Urteil des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 25. Januar 1984 - 5 AZR 251/82 - zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts und zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt).

1. Zu beurteilen ist eine Aussperrung zur Abwehr begrenzter Teilstreiks. Den Arbeitgebern steht zur Abwehr solcher begrenzter Teilstreiks das Kampfmittel der suspendierenden Aussperrung - im Rahmen der Verhältnismäßigkeit - zur Verfügung (vgl. Großer Senat des Bundesarbeitsgerichts, BAG 23, 292 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG 33, 140, 148 ff. = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A der Gründe).

a) Das Recht der Arbeitgeber, zur Abwehr begrenzter Teilstreiks auch am Arbeitskampf noch nicht beteiligte Arbeitnehmer des Tarifgebiets auszusperren, folgt aus der Tarifautonomie (§ 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 TVG). Die Tarifautonomie ist in ihrem Kernbereich durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet. Die Koalitionen können und sollen Löhne und sonstige materielle Arbeitsbedingungen in eigener Verantwortung und im wesentlichen ohne staatliche Einflußnahme durch Gesamtvereinbarungen regeln (vgl. BVerfGE 44, 322, 340 f. = AP Nr. 15 zu § 5 TVG, zu B II 1 b der Gründe, mit weiteren Nachweisen). Diese grundgesetzlich im Kern gewährleistete Tarifautonomie wird durch das Tarifvertragsgesetz konkretisiert. Arbeitsbedingungen sollen auf kollektiver Ebene ausgehandelt werden, weil zwischen Arbeitgeber und dem einzelnen Arbeitnehmer ein typisches Ungleichgewicht besteht, das ein privatautonomes Aushandeln des Arbeitsvertrags und der Arbeitsbedingungen auf individual-rechtlicher Ebene stört oder unmöglich macht.

Die Funktionsfähigkeit des Tarifvertragssystems setzt voraus, daß zwischen den Tarifpartnern im Grundsatz ein annäherndes Verhandlungsgleichgewicht besteht. Keine Seite darf in der Lage sein, der anderen Seite den Inhalt von Tarifverträgen zu diktieren (BAG, Großer Senat, 23, 292, 308 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu Teil III B 1 der Gründe).

Zur Herstellung des Verhandlungsgleichgewichts sind die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften auf den Streik angewiesen. Tarifverträge kommen nur zustande, wenn sie gegebenenfalls von den Gewerkschaften mit den Mitteln eines Arbeitskampfes erzwungen werden können. Ohne die Möglichkeit des Streiks wären Tarifverhandlungen nicht mehr als "kollektives Betteln". Der Streik muß deshalb in unserem freiheitlichen Tarifvertragssystem zum Ausgleich sonst nicht lösbarer Interessenkonflikte möglich sein. Der Senat hat deshalb das Streikrecht der Gewerkschaften anerkannt (vgl. BAG 33, 140, 150 f. = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A I 2 der Gründe; Urteil des Senats vom 12. September 1984 - 1 AZR 342/83 -, zu B II 2 a der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen). Auch in der Literatur ist das Streikrecht der Gewerkschaften weitgehend anerkannt (vgl. Nachweise in der zuerst genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, aaO, S. 151). Gegen diese rechtliche Beurteilung des Streiks sind denn auch keine weiteren Einwendungen erhoben worden, auf die der Senat noch einmal eingehen müßte.

Aber auch Aussperrungen sind zur Sicherung des Verhandlungsgleichgewichts notwendig. Der Große Senat hat dazu ausgeführt:

"(Es) muß im Prinzip sichergestellt sein, daß

nicht eine Tarifvertragspartei der anderen

von vornherein ihren Willen aufzwingen kann,

sondern daß möglichst gleiche Verhandlungs-

chancen bestehen. Auf andere Weise kann die

Tarifautonomie unter Ausschluß der staatli-

chen Zwangsschlichtung nicht funktionieren."

(vgl. BAG 23, 292, 308 = AP Nr. 43 zu Art.

9 GG Arbeitskampf, zu Teil III B 1 der Grün-

de).

b) Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat daraus abgeleitet, daß Aussperrungen zur Abwehr begrenzter Teilstreiks zulässig sind, weil sonst die Kampfparität gefährdet wäre (vgl. BAG 33, 140, 148 ff. = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu A der Gründe). Schützt die Verfassung die Tarifautonomie, muß die Rechtsprechung sicherstellen, daß die mit der Tarifautonomie aufs engste verknüpfte Arbeitskampfordnung die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gewährleistet (Krejci, Aussperrung, S. 48). Die Arbeitskampfordnung darf deshalb keiner Seite solche Vorteile zukommen lassen, aus denen ein nennenswertes Verhandlungsungleichgewicht entstehen könnte. Denn ohne das grundsätzliche Verhandlungsgleichgewicht wäre die Richtigkeitsgewähr autonomer Rechtsgestaltung in Gefahr. Der Richter kann sich daher der Aufgabe, das Verhandlungsgleichgewicht jedenfalls im Grundsatz zu sichern, nicht entziehen.

Der begrenzte Teilstreik ist eine Streikform, die zur Bildung einer Übermacht auf seiten der Gewerkschaft führen kann. Das hat der Senat aaO aufgrund einer typisierenden Bewertung der tatsächlichen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten ausführlich begründet. Darauf wird Bezug genommen. Zur Abwehr solcher Streiks ist eine Aussperrung zulässig. Davon geht im Ergebnis auch das Landesarbeitsgericht aus.

c) Das Urteil des Senats vom 10. Juni 1980 ist kritisiert worden, weil es Aussperrungen nicht schlechthin für unzulässig erklärt hat. Diese Kritik hat den Senat nicht überzeugt.

Das Grundgesetz verbietet die Aussperrung nicht schlechthin. Wolter (Arbeitskampfrecht, hrsg. von W. Däubler, Rz 897) meint zwar, jede Aussperrung richte sich gegen Bestand und Betätigung der gewerkschaftlichen Koalition. Eine solche Behinderung und Einschränkung des verfassungsrechtlich garantierten Status einer Gewerkschaft sei nur berechtigt, wenn die Aussperrung ihrerseits verfassungsrechtlich geschützt sei. Art. 9 Abs. 3 GG stehe nicht unter Gesetzesvorbehalt. Daran ist richtig, daß jede Aussperrung das Ziel verfolgt, Streiks zu bekämpfen, zu beschränken oder unmöglich zu machen. Doch wird die Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG) "für jedermann und für alle Berufe gewährleistet". Sie steht Arbeitgebern und Arbeitnehmern gleichermaßen zu (vgl. auch BVerfGE 50, 290, 367). Wenn die Gewerkschaft durch bestimmte Kampfformen, wie z. B. Teilstreiks, ein Verhandlungsübergewicht erlangen könnte, kann das Abwehrkampfmittel der Arbeitgeber keine koalitionsfeindliche Maßnahme im Sinne von Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG sein, soweit es nur der Wiederherstellung des Gleichgewichts dient. Ob damit die Abwehraussperrung verfassungsrechtlich geschützt ist, kann weiterhin offenbleiben (vgl. eingehend Huber, Das Problem der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Aussperrung (Diss.), 1983, der auf die bisher zu dieser Frage veröffentlichte Literatur eingeht).

Andere Autoren (vgl. ebenfalls Wolter, aaO, Rz 898; Bobke, AuR 1982, 41, 45) meinen, die kompensierende Aussperrung sei unter dem Blickpunkt der sogenannten Gesamtparität nicht erforderlich. Vertreter der Gesamtparität wollen alle denkbaren Einflußfaktoren des Wirtschafts- und Verteilungsprozesses einschließlich aller Faktoren der gesellschaftlichen und politischen Meinungs- und Willensbildung in die Beurteilung der Paritätsfrage einbeziehen (vgl. Nachweise in BAG 33, 140, 165 und bei Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 167). Der Senat hat sich mit diesen Argumenten bereits auseinandergesetzt. Die Lehre von der Gesamtparität verkennt die begrenzte Funktion des Arbeitskampfrechts im Blick auf die Tarifautonomie. In dem hier zu beurteilenden Sachzusammenhang geht es nur darum, wie sich die Verhandlungsstärke der sozialen Gegenspieler beim Aushandeln von Tarifverträgen auswirkt und durch Arbeitskampfmittel beeinflußt werden kann. Es geht nur um eine tarifbezogene Parität (vgl. BAG, aaO, S. 166 mit Nachweisen aus der Literatur).

Schließlich wird geltend gemacht, die Aussperrung könne nicht mit der Gefährdung der Arbeitgebersolidarität gerechtfertigt werden. Der Senat gehe von einem unzutreffenden Marktmodell aus. Die Wirtschaft der Bundesrepublik sei gekennzeichnet durch Monopole und Oligopole (vgl. Kempen, AuR 1982, 73, 76 f.; Buschmann/Heilmann, AuR 1982, 105, 107 f.; Däubler, AuR 1982, 361, 366). Zumindest für die Druckindustrie treffen diese Behauptungen nicht zu. Im übrigen handelt es sich bei den Erwägungen des Senats um eine typisierende Betrachtung und Bewertung der Rechts- und Wirtschaftsbedingungen.

Die eben genannten Autoren werfen dem Senat außerdem vor, er habe die Solidarisierungsprobleme auf der Arbeitnehmerseite nicht hinreichend beachtet, auf der Arbeitgeberseite habe er sie überzeichnet (vgl. Kempen, aaO, S. 77; Däubler, aaO, S. 366). Das Solidaritätsproblem auf der Arbeitgeberseite beruht jedoch auf der Wirtschaftsverfassung. Auf Arbeitgeberseite besteht Wettbewerb um Märkte. Hier kann der Arbeitskampf zu Wettbewerbsverzerrungen führen. Der Arbeitskampf soll jedoch wettbewerbsneutral sein. Auf der Arbeitnehmerseite gibt es diese Probleme des Wettbewerbs nicht.

Auch nach völkerrechtlichen Verträgen ist die Aussperrung nicht verboten. Nach Art. 6 Nr. 4 der Europäischen Sozialcharta vom 18. Oktober 1961 (BGBl. II 1964 S. 1262) anerkennen die Vertragsparteien das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streiks im Falle von Interessenkonflikten, vorbehaltlich etwaiger Verpflichtungen aus geltenden Gesamtarbeitsverträgen. Dies spricht mehr für die Anerkennung von Abwehrkampfmitteln als für ein Verbot solcher Kampfmittel. Andererseits enthält diese Bestimmung keine weiteren Regelungen darüber, unter welchen Voraussetzungen die Arbeitgeberseite von dem Kampfmittel der Abwehraussperrung Gebrauch machen darf.

Verschiedene arbeitsrechtliche Bestimmungen setzen Arbeitskämpfe voraus, sie beschreiben nicht deren Voraussetzungen und insbesondere nicht die Zulässigkeit von Kampfmitteln. Sie regeln nur Folgeprobleme (vgl. BAG, aaO, Abschnitt A II 3 der Gründe).

d) Ein Aussperrungsverbot läßt sich im vorliegenden Fall nicht mit den Besonderheiten des Pressewesens und der Druckindustrie rechtfertigen (vgl. zur Notwendigkeit einer branchenspezifischen Betrachtung Hanau, AfP 1980, 126, 131 f.; Mayer-Maly, Anm. zu AP Nr. 64 bis 66 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, Bl. 946 R; Seiter, RdA 1981, 65, 74). Zwar müssen hier Arbeitskampfmittel der Arbeitgeber in der Druckindustrie und im Verlagswesen beurteilt werden. Arbeitskämpfe in dieser Branche können die Pressefreiheit berühren, ein Spannungsverhältnis zwischen Arbeitskampf und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ist nicht auszuschließen. Deshalb müssen die arbeitsrechtlichen Regeln über Arbeitskämpfe auch im Lichte der Pressefreiheit betrachtet werden.

Doch werden weder das Streikrecht noch die Aussperrungsbefugnis durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG im Bereich der Presse grundsätzlich ausgeschlossen. Die Presse ist privatrechtlich in Wirtschaftsunternehmen organisiert. Art. 9 Abs. 3 GG garantiert auch in dieser Branche den autonomen Lohnfindungsprozeß und damit den Arbeitskampf, der das Erscheinen von Presseerzeugnissen teilweise oder ganz verhindern kann (Brox/Rüthers, aaO, Rz 96 mit weiteren Nachweisen; Rüthers, AfP 1977, 305, 315). Im Interesse einer auch für die Arbeitnehmer im Pressebereich funktionierenden Tarifautonomie muß es die Öffentlichkeit hinnehmen, wenn Zeitungen zeitweise nicht erscheinen können und dadurch das Meinungs- und Informationsangebot reduziert wird (Weiss, AuR 1984, 97, 102). Besonderheiten könnten sich nur dann ergeben, wenn durch einen Arbeitskampf die Informations- und Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) nachhaltig gefährdet würden. Die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Informationsfreiheit sind für die freiheitliche demokratische Grundordnung schlechthin konstituierend, da sie den geistigen Kampf, die freie Auseinandersetzung der Ideen und Interessen gewährleisten, die für das Funktionieren dieser Staatsordnung lebensnotwendig sind (BVerfGE 5, 85, 205; 7, 198, 208). Die Presse ist neben Rundfunk und Fernsehen das wichtigste Instrument der Bildung der öffentlichen Meinung. Die Pressefreiheit genießt deshalb nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG einen besonderen Schutz (vgl. BVerfGE 12, 113, 125; 52, 283, 296 mit weiteren Nachweisen). Die freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse ist für die moderne Demokratie unentbehrlich (BVerfGE 20, 162, 174).

Im vorliegenden Fall wurden diese Grundrechte weder durch den Streik noch durch die Aussperrung ernsthaft gefährdet. Wie zu entscheiden wäre, wenn durch einen Arbeitskampf alle Massenmedien (Presse, Rundfunk und Fernsehen) oder ein unter den Wertungsgrundsätzen des Art. 5 Abs. 1 GG relevanter Teil lahmgelegt würden (vgl. Brox/Rüthers, aaO; Weiss, aaO, S. 103) oder wenn die Pressefreiheit bei einem Streik gerade dadurch gefährdet wird, daß sich dieser erkennbar gegen Unternehmen einer bestimmten Tendenz richtet (vgl. Brox/Rüthers, aaO; Weiss, aaO), braucht hier nicht entschieden zu werden. Hier hat die Abwehraussperrung weder die Informationsfreiheit noch die Pressefreiheit gefährdet.

e) Zusammenfassend: Mit ihrer suspendierenden Aussperrung hat die Arbeitgeberseite auf einen eng geführten Teilstreik der Gewerkschaft reagiert. Abwehraussperrungen gegenüber dieser Streikform sind zulässig. Sie dienen der Abwehr eines sonst auf Gewerkschaftsseite möglichen Verhandlungsübergewichts.

2. Die Arbeitgeber haben jedoch beim Einsatz ihres Kampfmittels den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt.

a) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat eine selbständige Bedeutung neben der Frage, welche Kampfmittel den beiden kämpfenden Parteien zur Verfügung stehen müssen. Letzterenfalls geht es um das "Arsenal zulässiger Kampfmittel"; hier wird entschieden, welche Kampfmittel den Gewerkschaften und Arbeitgebern nach der Kampfordnung überhaupt zur Verfügung stehen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit befaßt sich demgegenüber mit der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Kampfmittel im Einzelfall eingesetzt werden darf.

Gegen diese Betrachtung, wie sie den Urteilen des Senats vom 10. Juni 1980 zugrunde liegt, sind keine grundsätzlichen Einwendungen in der Literatur erhoben worden. Nur Pfarr/Brandt (AuR 1981, 325, 328 ff.) lehnen die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auf Streiks ab. Zu dieser Kritik braucht der Senat hier keine Stellung zu nehmen, da eine Arbeitskampfmaßnahme der Arbeitgeber zu beurteilen ist.

b) Alle Arbeitskampfmaßnahmen stehen unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit (vgl. BAG Großer Senat, 23, 292, 306 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu Teil III A 1 der Gründe). An diesem Grundsatz hält der Senat fest. Er hat ihn in seinem Urteil vom 10. Juni 1980 präzisiert. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit umfaßt danach die Merkmale der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Proportionalität. Die Bezeichnung "Proportionalität" tritt - zur Vermeidung von Mißverständnissen - an die Stelle der bisher gebräuchlichen "Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne".

Der Senat hat sich in den erwähnten Entscheidungen auch mit der Kritik auseinandergesetzt, die sich gegen die Einführung dieses Grundsatzes in das Arbeitskampfrecht wandte. Er weist darauf hin, daß dieser Grundsatz als übergeordnetes Rechtsprinzip des Privatrechts anerkannt worden sei und deshalb auch für das Arbeitskampfrecht gelten müsse. Die Aussperrung beeinträchtigt auch Rechte und Interessen Dritter, der von ihr betroffenen Arbeitnehmer und der Allgemeinheit. Diese Beeinträchtigung muß zur Erfüllung des Koalitionszwecks geeignet und erforderlich sein, sie darf auch nicht unverhältnismäßig sein (vgl. Konzen, AfP 1984, 1, 3).

Das Landesarbeitsgericht zieht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zwar nicht in Zweifel, wendet sich aber gegen die Ausformung und Anwendung dieses Grundsatzes, wie sie in den Entscheidungen des Senats vom 10. Juni 1980 zum Ausdruck gekommen ist. Es meint, der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts habe im Jahre 1955 "vorgegebene Grundtatbestände des Arbeitskampfrechts" richterrechtlich ausgeformt. Dieses Richterrecht habe den Rang einer Rechtsquelle; die "Ausprägung des überkommenen Arbeitskampfrechts" habe "normativen Charakter erlangt". An diese Norm sei der Richter heute gebunden, weiche er ab, handele es sich um Rechtsfortbildung, die nur in Betracht käme, wenn ein Festhalten an der überkommenen Norm zu unerträglichen Ergebnissen führe.

Der Sache nach will somit das Berufungsgericht an den Grundsätzen festhalten, die der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1955 entwickelt hat (vgl. BAG 1, 291 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). Es übersieht dabei, daß diese Entscheidung eine völlige Neuordnung des Arbeitskampfrechts brachte, also nicht auf eine jahrzehntelange Entwicklung und Anerkennung zurückblicken konnte. Die Entscheidung von 1955 hat auch gar nicht den Anspruch erhoben, überkommenes Arbeitskampfrecht zu kodifizieren, den Rechtssätzen normativen Charakter beizulegen. Vielmehr ging es bei dieser richterlichen Tätigkeit, wie auch in den späteren Entscheidungen nur darum, aus vorgegebenen Normen, seien sie auch noch so lückenhaft, das zu erkennen, was rechtens ist (vgl. BVerfGE 34, 269, 287). Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts war deshalb im Jahre 1971 nicht gehindert, andere Erkenntnisse an die Stelle der bisher für richtig gehaltenen Auffassung zu setzen. Der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf angeblich überkommenes und unveränderbares Arbeitskampfrecht kann deshalb nicht überzeugen (wie hier auch Konzen, AfP 1984, 1, 3 und 5 f.). Der Senat bleibt bei den Grundsätzen, die der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts im Jahre 1971 entwickelt hat. Danach müssen sich alle Rechtsregeln zum Arbeitskampfrecht am Grundsatz des Verhandlungsgleichgewichts und der Kampfparität orientieren (vgl. BAG 23, 292, 308 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu Teil III B 1 der Gründe).

c) Wo Abwehraussperrungen in einem Maße eingesetzt werden, durch das die Verhandlungsparität gefährdet oder wieder beseitigt wird, können sie nicht erforderlich und proportional sein. Die Herstellung der Verhandlungsparität gewinnt daher noch einmal im Rahmen der Prüfung, ob das Kampfmittel verhältnismäßig ist, entscheidende Bedeutung. Auch insoweit kann der Senat an den Beschluß des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 21. April 1971 anknüpfen (BAG 23, 292, 307 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu Teil III A 2 b der Gründe):

"Die Mittel des Arbeitskampfes dürfen ihrer

Art nach nicht über das hinausgehen, was

zur Durchsetzung des erstrebten Zieles je-

weils erforderlich ist. Das Prinzip der Ver-

hältnismäßigkeit betrifft also nicht nur

Zeitpunkt und Ziel, sondern auch die Art

der Durchführung und die Intensität des Ar-

beitskampfes."

Allein darum geht es hier. Das Verhandlungsgleichgewicht kann dadurch verletzt werden, daß die Arbeitgeberseite auf einen eng geführten Teilstreik mit einer unbefristeten Aussperrung aller Arbeitnehmer des Tarifgebiets antwortet. Eine solche Kampfmaßnahme kann das Verhandlungsgleichgewicht ihrerseits wieder gefährden, weil sie der Gewerkschaft das Führen eines Arbeitskampfes auf längere Zeit praktisch unmöglich machen kann.

Das Mißverhältnis, das sich aus der Zahl der am Streik beteiligten Arbeitnehmer und der Zahl der von der Aussperrung betroffenen Arbeitnehmer ergibt, kann für die Beurteilung der Einhaltung der Grenzen der Verhältnismäßigkeit ein wichtiges Indiz sein. Störungen der Kampfparität können aber auch andere Ursachen haben und deshalb eine andere Beurteilung der Reaktion darauf erfordern. Die Grenze muß insgesamt dort gezogen werden, wo die legitime Reaktion aufhört. Was nicht mehr der Sicherung des Verhandlungsgleichgewichts dient, ist übermäßige Reaktion. Eine solche Reaktion auf einen Teilstreik ist unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

3. Der Senat hat schon in seinem Urteil vom 10. Juni 1980 bei der Prüfung, ob eine Aussperrung unverhältnismäßig ist, auf den Aussperrungsbeschluß abgestellt (aaO, S. 182 - zu B II 3 der Gründe). Das Landesarbeitsgericht und ein Teil der Literatur (vgl. Kraft, Anm. zu den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, SAE 1980, 297, 301; Lieb, DB 1980, 2188, 2194; Seiter, RdA 1981, 65, 86 f.; neuerdings auch Konzen, AfP 1984, 1, 7 - anders noch Konzen/Scholz, DB 1980, 1593, 1598 f.) sind dieser Auffassung nicht gefolgt. Andere Autoren haben sich dafür ausgesprochen (Weiss, AuR 1984, 97, 100; Konzen/Scholz, DB 1980, 1593, 1598 f.; Gester/Wohlgemuth, Festschrift für Wilhelm Herschel, 1982, S. 117, 128; Wolter, in: Arbeitskampfrecht, herausgegeben von W. Däubler, Rz 970).

Das Landesarbeitsgericht meint, eine am Aussperrungsbeschluß orientierte Berechnung führe zu unrealistischen Einschätzungen, weil nach aller Erfahrung ein Aussperrungsbeschluß nur teilweise befolgt werde. Auch belaste nicht der Aussperrungsbeschluß, sondern erst die effektive Umsetzung des Beschlusses die Streikkasse der Gewerkschaften.

Diese Einwände können nicht überzeugen. An erster Stelle muß geklärt werden, ob der Aussperrungsbeschluß des Arbeitgeberverbands etwas Rechtmäßiges oder Rechtswidriges anordnet. Die Rechtswidrigkeit des Beschlusses kann nicht davon abhängen, ob und in welchem Umfang er tatsächlich befolgt wird. Würde er befolgt, müßte der Vorwurf den Verband treffen, der ihn erlassen hat, nicht den einzelnen Arbeitgeber. Umgekehrt kann auch kein vom Aussperrungsbeschluß nicht gedeckter Exzeß dem Verband zugerechnet werden (vgl. Weiss, aaO; Konzen/Scholz, aaO). Für den Verbandsbeschluß als maßgebliche Grundlage spricht auch das Argument der Rechtsklarheit und der Kalkulierbarkeit des Arbeitskampfgeschehens (Brox/Rüthers, Arbeitskampfrecht, 2. Aufl., Rz 215). Schließlich wird auch der gewerkschaftliche Streikbeschluß als Kampfhandlung angesehen (BAG - GS - 1, 291, 301 = AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu I 4 der Gründe). Die Arbeitgeberseite wird dadurch nicht benachteiligt, wenn sie sich in einem ersten Aussperrungsbeschluß in dem zulässigen Rahmen bewegen muß. Sie kann abwarten, ob und in welchem Umfang ihre Mitglieder den Aussperrungsbeschluß befolgen. Eventuell ist eine zweite Aufforderung an die Mitglieder, weitere Arbeitnehmer auszusperren, möglich.

Zwischen Arbeitgeberseite und Arbeitnehmerseite wird damit nicht in unzulässiger Weise differenziert. Zwar kommt es auf der Arbeitnehmerseite auf die tatsächliche Zahl der Streikenden an; auf der Arbeitgeberseite kommt es darauf an, wie viele Arbeitnehmer ausgesperrt werden sollen. Diese unterschiedlichen Anknüpfungspunkte folgen aus der jeweiligen Situation, aus der heraus die Verhältnismäßigkeit eines Kampfmittels zu beurteilen ist. Dies ist immer eine tatsächliche Größe. Das gilt für beide Seiten. Die Arbeitgeber kennen die Zahl der Streikenden. Sie können auf tatsächlich feststellbaren Druck reagieren und danach Inhalt und Umfang ihrer Abwehrmaßnahmen bestimmen. Umgekehrt kann ein von der Gewerkschaft ausgerufener Vernichtungsstreik rechtswidrig sein, auch wenn er nicht vollständig befolgt wird.

4. Im vorliegenden Fall war die Aussperrung unverhältnismäßig.

a) Bis zur bundesweiten Aussperrung der Arbeitgeberseite waren seit dem 28. Februar 1978 - also in etwa zwei Wochen - nach den Angaben der Beklagten ohne Warnstreiks rund 52.000 Streiktage ausgefallen. Am 14. März 1978 befanden sich etwa 4.300 Arbeitnehmer im Ausstand. Durch die bundesweite Aussperrung sollten unbefristet mindestens weitere rund 130.000 Arbeitnehmer in den Arbeitskampf einbezogen werden. Damit sollten an jedem weiteren Kampftag mehr als 2 1/2 mal so viele Arbeitstage durch Aussperrung ausfallen als bislang in zwei Wochen insgesamt durch die Streiks der Gewerkschaft an Arbeitstagen ausgefallen waren.

Zwischen der Zahl der bestreikten Betriebe und der zum Streik aufgerufenen Arbeitnehmer einerseits und der Zahl der Arbeitnehmer, die nach dem Aussperrungsbeschluß ausgesperrt werden sollten, besteht somit ein auffälliges Mißverhältnis. Teilstreiks in diesem Ausmaß und mit diesem Kampfvolumen können eine bundesweite und unbefristete Abwehraussperrung nicht rechtfertigen (Konzen, AfP 1984, 1, 7).

b) Besonderheiten der Druckindustrie und des Verlagsgewerbes rechtfertigen hier keine andere Beurteilung.

Rüthers meint, im Druck- und Pressebereich seien "partielle Aussperrungen" aus "produktionstechnischen" Gründen nicht möglich. Schließlich könne die Arbeitgeberseite "wegen der bestehenden Wettbewerbsprobleme ... möglicherweise nur bundesweit oder gar nicht zur Aussperrung in der Lage" sein (vgl. Anm. zu den Urteilen des Senats vom 10. Juni 1980, EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 37, zu B II 4).

Soweit die Presse von Arbeitskämpfen berührt wird, muß immer geprüft werden, ob nicht das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) besondere Arbeitskampfregeln notwendig macht. Doch sind Arbeitskämpfe in der privatwirtschaftlich organisierten Presse nicht ausgeschlossen (s.o. Abschnitt II 1 d). Allerdings muß der Wettbewerb besonders geschützt werden, weil gerade dadurch die Meinungsvielfalt gesichert wird. Der Arbeitskampf soll nicht zu irreversiblen Verschiebungen des Meinungsbildes führen (vgl. Lieb, DB 1980, 2188, 2194 f.).

Ob durch unterschiedliche Betroffenheit einzelner Unternehmen im Arbeitskampf tatsächlich die behaupteten nachteiligen Wettbewerbsverschiebungen zu Lasten der Meinungsvielfalt eintreten, kann fraglich sein (zweifelnd Weiss, AuR 1984, 97, 104; nach Auffassung von Däubler/Wolter, AuR 1982, 144, sollen die Arbeitskämpfe, von denen Tageszeitungen betroffen waren, nachweislich keinerlei Einfluß auf Konzentration, Marktanteile und Wettbewerbspositionen der jeweils bestreikten Betriebe im Verlagswesen gehabt haben, dort auch Angaben zu weiteren Marktstrukturen im Verlagswesen). Das braucht der Senat hier jedoch nicht zu entscheiden. Der vorliegende Fall zeigt, daß die Arbeitgeberseite zu gezielten, den Wettbewerb sichernden Aussperrungen in der Lage war. Sie hatte vorher auch gezielt zur Sicherung der Meinungsvielfalt oder aus Gründen der Solidarität ausgesperrt. Sie hätte diese Taktik fortsetzen können. Nichts spricht dafür, daß die Fortsetzung dieser gezielten Aussperrungen nicht mehr möglich gewesen wäre. Nicht alle Unternehmen der Zeitungs- und Zeitschriftenverlage und der Druckindustrie stehen so in Wettbewerb zueinander, daß nur eine bundesweite Aussperrung Solidarität sichern und Wettbewerbsverzerrungen verhindern konnte.

c) Das Landesarbeitsgericht meint, gemessen an der "theoretischen Reichweite eines Arbeitskampfes in der Druckindustrie" sei die Aussperrung nicht unverhältnismäßig gewesen. Theoretisch betroffen gewesen seien 375.000 Arbeitnehmer in der Druckindustrie und im Verlagsgewerbe. Der Arbeitskampf hätte sich auf alle diese Arbeitnehmer erstrecken können. Bei Erlaß des Aussperrungsbeschlusses hätten die Arbeitgeber andererseits nur damit rechnen können, daß aufgrund dieses Beschlusses 90.000 Arbeitnehmer ausgesperrt würden. Das seien weniger als 25 % aller vom Arbeitskampf "theoretisch betroffenen" Arbeitnehmer gewesen. Tatsächlich seien nur 40.000 Arbeitnehmer ausgesperrt worden.

Diese Argumentation überzeugt nicht. Mit der Bestimmung eines "theoretischen" Kampfrahmens ist nichts gewonnen. Die Zahl derjenigen Arbeitnehmer, die von Kampfmaßnahmen der einen oder anderen Seite betroffen sein können, sagt nichts darüber aus, ob das Verhandlungsgleichgewicht durch eine Kampfmaßnahme verletzt oder gefährdet wurde. War schon die Aussperrung von 130.000 Arbeitnehmern unverhältnismäßig, so ist es unerheblich, ob auch 375.000 Arbeitnehmer hätten ausgesperrt werden können.

d) Das dargestellte Zahlenverhältnis ist ein deutliches Indiz dafür, daß nicht nur die Solidarität der Arbeitgeber verteidigt und einzelne Unternehmen vom Streikdruck entlastet werden sollten, sondern daß es den Arbeitgebern darum ging, über die Herstellung der Kampfparität hinaus die Kampfkraft der Gewerkschaft entscheidend zu schwächen. Andere Gründe, die eine solche Ausweitung des Arbeitskampfes rechtfertigen könnten, sind nicht vorgetragen worden.

5. Danach verletzte die bundesweite und unbefristete Abwehraussperrung in der Druckindustrie vom 14. bis 20. März 1978 den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und war deshalb rechtswidrig (vgl. außer dem genannten Urteil des Senats vom 10. Juni 1980 - BAG 33, 140 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf - auch das weitere Urteil vom selben Tage - 1 AZR 690/79 - AP Nr. 67 zu Art. 9 GG Arbeitskampf). In welchem Umfang die Arbeitgeber hätten zulässigerweise aussperren können, hatte der Senat nicht zu entscheiden. Es bestand daher auch kein Anlaß, auf die Kritik an der Quotenregelung einzugehen.

Die von der Aussperrung der Beklagten betroffenen Arbeitnehmer haben daher ihre Lohnansprüche behalten. Die Beklagte befand sich mit der Annahme der Dienste in Verzug (§ 615 Satz 1 BGB).

III. Diese Lohnansprüche der Arbeitnehmer A und Am sind auf die Klägerin übergegangen. Sie sind noch nicht erloschen. Das hat das Berufungsgericht zutreffend entschieden.

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Abtretungserklärungen der Arbeitnehmer seien dahin zu verstehen, daß diese ihre Forderungen an die IG Druck und Papier, die Klägerin dieses Verfahrens, abgetreten hätten. Dies ist eine Auslegung der Abtretungserklärungen, die revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht den objektiven Erklärungswert dieser Erklärungen ermittelt. Dabei hat das Berufungsgericht zutreffend nicht allein auf den Wortlaut abgestellt; es hat auch alle übrigen die Auslegung beeinflussenden Umstände herangezogen (§ 133 BGB).

2. Die Beklagte kann sich nicht auf das Abtretungsverbot des § 400 BGB berufen. Zwar sind Lohnansprüche grundsätzlich nur insoweit übertragbar, als sie die in § 850 c ZPO bestimmten Pfändungsfreibeträge überschreiten. Das gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nach einheitlicher Rechtsprechung und Lehre ist eine Abtretung möglich, wenn der geschützte Zedent den pfändungsfreien Betrag vom Zessionar erhalten hat (vgl. BAG 33, 140, 184 = AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, zu D 1 der Gründe, mit weiteren Nachweisen).

3. Das Friedensabkommen vom 20. März 1978 steht der Klage nicht entgegen. Es hat die in der Person der Arbeitnehmer A und Am entstandenen Lohnansprüche nicht berührt.

a) Die Beklagte ist nicht Mitglied eines Verbands, der das Friedensabkommen abgeschlossen hat. Sie kann keine Rechte aus dem Abkommen herleiten.

b) Keine der Bestimmungen des Friedensabkommens schließt aus, daß Arbeitnehmer, die zu Unrecht ausgesperrt wurden, ihre rückständigen Löhne einfordern können. Auf Nr. 5 des Abkommens kann die Beklagte sich nicht berufen. Diese Regelung befaßt sich nur mit Ansprüchen der Tarifvertragsparteien gegeneinander. Arbeitsvertragliche Ansprüche der Mitglieder bleiben unberührt. Eine andere Auslegung ist auch nach Sinn und Zweck der Regelung nicht geboten. Durch diese Bestimmung könnten zum Beispiel Lohnansprüche der Außenseiter nicht berührt werden. Deshalb erscheint ein Lohnverzicht der organisierten Arbeitnehmer geradezu ausgeschlossen.

4. Die Ansprüche der Klägerin sind nicht nach § 13 MTV ausgeschlossen. Diese Bestimmung lautet:

"1. Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag und

den Lohntarifverträgen sind wie folgt gel-

tend zu machen:

a) Ansprüche auf tarifliche Zuschläge und

Antrittsgebühren innerhalb von zwei Wo-

chen nach Vorliegen der Lohnabrechnung,

bei der sie hätten abgerechnet werden

müssen.

b) Sonstige tarifliche Geldansprüche in-

nerhalb von acht Wochen nach dem Zeit-

punkt, an dem sie hätten erfüllt wer-

den müssen.

2. Eine Geltendmachung nach Ablauf der unter

Ziffer 1 festgesetzten Fristen ist ausge-

schlossen.

3. Ist ein tariflicher Anspruch rechtzeitig

geltend gemacht und lehnt der andere Teil

seine Erfüllung ab, muß der Anspruch in-

nerhalb von zwölf Wochen seit der aus-

drücklichen Ablehnung rechtshängig gemacht

werden. Eine spätere Klageerhebung ist

ausgeschlossen."

a) Diese Ausschlußfrist ist auf das Arbeitsverhältnis der Beklagten mit ihren Arbeitnehmern A und Am kraft ausdrücklicher Bezugnahme anzuwenden.

Lohnansprüche sind "sonstige tarifliche Geldansprüche" im Sinne von § 13 Nr. 1 b MTV. Für diese Ansprüche beginnt die Ausschlußfrist zu dem Zeitpunkt, "an dem sie hätten erfüllt werden müssen". Das ist der Zeitpunkt, zu dem diese Ansprüche fällig werden. Denn im Zeitpunkt der Fälligkeit kann der Gläubiger vom Schuldner die Leistung fordern, der Schuldner muß sie erfüllen.

Über die Fälligkeit hat die Beklagte mit ihren Arbeitnehmern nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Vereinbarung getroffen. Danach kann der Arbeitnehmer fünf Werktage vor dem 28. Kalendertag einen Abschlag in Höhe von 80 % seines zu erwartenden Nettoeinkommens verlangen. Endgültig abgerechnet wird innerhalb der ersten zwölf Kalendertage des nachfolgenden Monats. Der Tarifvertrag selbst enthält keine Vorschriften über den Zeitpunkt der Abrechnung. Nach § 4 Nr. 6 MTV müssen die Löhne monatlich abgerechnet werden. Die Auszahlungszeiträume sind durch Betriebsvereinbarungen festzulegen.

Das Berufungsgericht hat aus dieser Vereinbarung mit Recht den Schluß gezogen, daß die Beklagte die hier streitigen Lohnforderungen erst am 10. April 1978, als sie über die Forderungen abrechnete, hätte erfüllen müssen. Vor dem 10. April 1978 waren die Lohnansprüche nicht fällig. Der Arbeitnehmer hatte nur einen Anspruch auf einen angemessenen Abschlag.

Die Klägerin hat die Lohnansprüche vor Ablauf der Ausschlußfrist von acht Wochen geltend gemacht. Das Schreiben, mit dem sie die Beklagte zur Zahlung auffordert, ist der Beklagten am 29. Mai 1978 zugegangen. Auch die Klage (§ 13 Nr. 3 MTV) ist rechtzeitig erhoben worden. Die ursprünglich getrennt erhobenen Klagen wurden der Beklagten am 28. August 1978 zugestellt.

b) Die Klägerin hat die Forderungen auch ordnungsgemäß geltend gemacht. Sie brauchte keine Abtretungsurkunde vorzulegen.

Der Tarifvertrag enthält keine solche Bestimmung. Nach dem Tarifvertrag muß der Rechtsnachfolger die Forderung so geltend machen, wie das der ursprüngliche Gläubiger auch mußte.

Aus dem Gesetz ergibt sich ebenfalls keine solche Verpflichtung. Zu Unrecht verweist die Beklagte in diesem Zusammenhang auf § 410 Abs. 1 BGB. Nach Satz 1 dieser Bestimmung ist der Schuldner dem neuen Gläubiger gegenüber zur Leistung nur gegen Aushändigung einer von dem bisherigen Gläubiger über die Abtretung ausgestellten Urkunde verpflichtet. Damit soll der Schuldner vor der Zahlung an einen Nichtberechtigten geschützt werden. Bei der Geltendmachung der Forderung durch einen Nichtberechtigten bedarf es eines solchen Schutzes nicht.

Nach § 410 Abs. 1 Satz 2 BGB sind darüber hinaus bestimmte Gestaltungsrechte (Kündigung oder Mahnung) unwirksam. Die Aufzählung dieser Gestaltungsrechte - Kündigung oder Mahnung - ist nicht abschließend. Abs. 1 Satz 2 gilt auch für andere Gestaltungsrechte, wie zum Beispiel die Aufrechnung (BGHZ 26, 246). Die Geltendmachung einer Forderung im Sinne tariflicher Ausschlußklauseln ist aber kein Gestaltungsrecht im Sinne von § 410 Abs. 1 Satz 2 BGB. Gestaltungsrechte verändern unmittelbar die Rechtsstellung des Erklärungsempfängers ohne dessen Zutun. Die Kündigung führt zur Fälligkeit der Forderung. Die Mahnung führt zum Verzug des Schuldners und zu weiteren Ansprüchen. Bei der Geltendmachung im Sinne der tariflichen Ausschlußfristen ist das nicht der Fall. Diese soll dem Schuldner lediglich Klarheit darüber verschaffen, ob und mit welchen Forderungen er noch rechnen muß. Diesen Zweck erfüllt die Geltendmachung auch dann, wenn keine Abtretungsurkunde vorgelegt wird. Diese ist erst bei der rechtlichen Abwicklung der Forderung von Bedeutung. Die Geltendmachung allein ist noch kein Teil dieser rechtlichen Abwicklung im Sinne von § 410 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nur wenn der Schuldner damit rechnen muß, daß sich seine Rechtslage unmittelbar durch eine Erklärung ändert, oder wenn er - wie bei der Mahnung - mit dem Entstehen weiterer Ansprüche rechnen muß, bedarf er eines Schutzes, wenn sich ein neuer Gläubiger nach einer Abtretung der Forderung meldet.

IV. Die Klage ist daher begründet. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 1 und § 291 Satz 1 BGB. Zinsen können nur aus dem Nettobetrag gefordert werden (vgl. BAG Urteil vom 13. Februar 1985 - 4 AZR 295/83 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse bestimmt).

Dr. Kissel Dr. Heither Matthes

Kehrmann Heisler

 

Fundstellen

Haufe-Index 437388

BAGE 48, 195-215 (LT1-2)

BAGE, 195

BB 1985, 1532-1533 (LT1-2)

DB 1985, 1894-1897 (LT1-2)

NJW 1985, 2548

NJW 1985, 2548-2550 (LT1-2)

ARST 1985, 179-179 (LT2)

BlStSozArbR 1985, 279-280 (T)

EEK, II/162 (ST1-7)

JR 1986, 352

NZA 1985, 537-540 (LT1-2)

SAE 1986, 51-57 (LT1-2)

AP, Arbeitskampf (LT1-2)

AR-Blattei, Arbeitskampf III Entsch 9 (LT1-2)

AR-Blattei, ES 170.3 Nr 9 (LT1-2)

AfP 1985, 235

Arbeitgeber 1986, 66-66 (LT1-2)

EzA, Arbeitskampf Nr 58

MDR 1985, 872-873 (LT1-2)

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