Entscheidungsstichwort (Thema)

Überstunden für Erzieher nach Caritas-Richtlinien

 

Normenkette

BGB § 611; Caritas-Richtlinien (AVR) § 3; Caritas-Richtlinien (AVR) Anlage 5; Caritas-Richtlinien (AVR) Anlage 6; AZO §§ 3-4, 15

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 24.09.1986; Aktenzeichen 2 Sa 776/86)

ArbG Oldenburg (Oldenburg) (Urteil vom 14.01.1986; Aktenzeichen 1 Ca 2141/85)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. September 1986 – 2 Sa 776/86 – in der Kostenentscheidung und insoweit aufgehoben, als es die Klage in Höhe von DM 790,26 brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit 22. Februar 1985 abgewiesen hat.

In diesem Umfang wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der beklagte Verein betreibt in D. im Kardinal-von-Galen-Haus eine Schule für etwa 150 behinderte Kinder. In dieser Schule beschäftigt der Beklagte etwa 100 Arbeitskräfte, darunter 50 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die mit erzieherischen und/oder pflegerischen Aufgaben betraut sind. Zu diesen Mitarbeiterinnen zählt auch die Klägerin.

Die 30-jährige Klägerin steht seit 1. Januar 1976 als Kinderpflegerin in den Diensten des Beklagten. Im schriftlichen Arbeitsvertrag haben die Parteien vereinbart, daß für das Arbeitsverhältnis die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (AVR) gelten. Im Klagezeitraum erhielt die Klägerin Vergütung nach VergGr. 5 c AVR. Die daraus errechnete Stundenvergütung beträgt DM 13,13 brutto.

Während der gesetzlichen Schulferien für staatliche Schulen des Landes Niedersachsen findet im Kardinal-von-Galen-Haus kein Schulunterricht statt. Deshalb arbeiten auch die dort beschäftigten Arbeitnehmer, darunter die Klägerin, in den Schulferien nicht. Den dadurch bedingten Arbeitsausfall (60 Arbeitstage) verteilt der Beklagte in der Weise, daß er eine Jahresarbeitszeitmenge (260 Arbeitstage in der Fünf-Tage-Woche) bildet, hiervon die auf Erholungsurlaub und gesetzliche Feiertage entfallende Arbeitsmenge abzieht, die verbleibenden Arbeitstage mit acht (Stunden) multipliziert und die so errechnete Soll-Stundenzahl gleichmäßig auf die Schultage (200 Tage) verteilt. Daraus ergaben sich in der Vergangenheit – je nach der Höhe des Urlaubsanspruchs der Mitarbeiter – Arbeitszeiten von 93,5 bis 97,5 Stunden in der Doppelwoche. Nach einer Arbeitszeitvorgabe vom 18. April/30. Juni 1984 ist die Arbeitszeit in der Doppelwoche auf 90 bis 91,6 Stunden festgesetzt worden. Gemäß diesen Anordnungen hat auch die Klägerin beim Beklagten gearbeitet.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie habe nach ihrem Arbeitsvertrag nur 80 Stunden als regelmäßige Arbeitszeit in der Doppelwoche zu leisten. Deshalb schulde ihr der Beklagte für im Jahre 1984 nicht abgefeierte 240,75 Überstunden entsprechende Vergütung. Bei einem Stundensatz von DM 13,13 brutto ergebe dies einen Betrag von DM 3.161,04 brutto zuzüglich eines Überstundenzuschlags in Höhe von DM 790,26 brutto. Ein Abfeiern der Überstunden innerhalb des nach § 3 Abs. 2 der Anlage 6 zu den AVR vorgesehenen Ausgleichszeitraums sei nicht möglich gewesen. Aufgrund der jahrelangen Übung des Beklagten, zur Berechnung von Überstunden das Kalenderjahr zugrunde zu legen, sei das Kalenderjahr als Ausgleichszeitraum stillschweigend vereinbart. Für die Berechnung der Überstunden seien nach den Bestimmungen der Arbeitszeitordnung Zeiträume von zwei Wochen zugrunde zu legen. Danach seien am Ende des Kalenderjahres 1984 240,75 Überstunden noch nicht ausgeglichen gewesen. Hierbei seien auch aufgrund der Überschreitung der Arbeitszeitvorgabe des Beklagten Überstunden angefallen. Die Überschreitung der Arbeitszeitvorgaben sei mit der jeweiligen Gruppenleiterin abgesprochen worden, der es der Beklagte überlassen habe, die Arbeitszeit der Gruppenmitglieder im Einzelfall festzulegen. Ihre Ansprüche habe die Klägerin mit Schreiben vom 28. März 1984 und 21. Februar 1985 schriftlich geltend gemacht.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin DM 3.951,30 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Februar 1985 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, die Klägerin habe überhaupt keine Überstunden im Sinne der AVR geleistet, da sie lediglich dienstplanmäßig gearbeitet habe und der Beklagte die Ableistung von außerdienstplanmäßigen Arbeitsstunden nicht, zumindest nicht in Schriftform, angeordnet habe. Darüber hinaus seien eventuell angefallene Überstunden durch zusammenhängende Arbeitsbefreiungen in belegungsfreien Zeiten ausgeglichen, was die AVR ausdrücklich zuließen. Die sechsmonatige Ausschlußfrist des § 28 AVR sei nicht für die gesamte Klageforderung eingehalten. Erstmals mit Schreiben vom 19. Juni 1985 habe die Klägerin ihre Forderung schriftlich geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in Höhe von DM 800,10 brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Berufung des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den Nettobetrag weiter. Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet, soweit das Landesarbeitsgericht die Klage in Höhe von DM 790,26 abgewiesen hat. In diesem Umfang führt die Revision zur Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Klage insoweit nicht abgewiesen werden. Im übrigen ist die Revision unbegründet, da das Landesarbeitsgericht die weitergehende Klage im Ergebnis mit Recht abgewiesen hat.

Die Klage ist unschlüssig, soweit die Klägerin über die Überstundenzuschläge hinaus Überstundenvergütung begehrt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung die Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) als Vertragsrecht Anwendung. Die Abgeltung von Überstunden richtet sich demgemäß nach den Vorschriften der Anlage 6 zu den AVR (Überstundenregelung), in denen es heißt:

§ 3 Abgeltung von Überstunden

(1) Die vom Mitarbeiter geleisteten Überstunden sind grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung bis zum Ende des nächsten Kalendermonats auszugleichen; im begründeten Einzelfall kann die Frist für den Ausgleich im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter verlängert werden. Für die Zeit der Arbeitsbefreiung zum Zwecke des Überstundenausgleichs erhält der Mitarbeiter die Dienstbezüge (Abschnitt II der Anlage 1 zu den AVR) und die in Monatsbeträgen festgelegten Zulagen fort gezahlt. Zuzüglich ist ihm nach Ablauf des Ausgleichszeitraumes lediglich der Zeitzuschlag für Überstunden (§ 1 Abs. 1 Satz 2 Buchst. a) der Anlage 6 a zu den AVR) zu zahlen. Abweichend von Satz 1 kann in Einrichtungen, die zeitweise ganz oder zum Teil geschlossen sind, der Ausgleich durch zusätzliche zusammenhängende Arbeitsbefreiung in den belegungsfreien bzw. belegungsarmen Zeiten erfolgen. Eine Woche zusätzliche Arbeitsbefreiung entspricht dabei 40 Stunden. Satz 2 und Satz 3 bleiben unberührt.

(2) Ist ein Ausgleich der Überstunden durch entsprechende Arbeitsbefreiung nach Abs. (1) nicht oder nicht im vollen Umfange möglich, erhält der Mitarbeiter für jede nicht ausgeglichene Überstunde die Überstundenvergütung nach § 1 Abs. (3) Unterabsatz 2 der Anlage 6 a zu den AVR gezahlt.

Danach steht der Klägerin Überstundenvergütung nur dann zu, wenn ein Ausgleich der Überstunden durch entsprechende Arbeitsbefreiung nach § 3 Abs. 1 der Anlage 6 zu den AVR nicht oder nicht in vollem Umfang möglich ist. Davon geht auch die Klägerin aus. Der Überstundenausgleich ist grundsätzlich durch entsprechende Arbeitsbefreiung bis zum Ende des nächsten Kalendermonats vorzunehmen. Im begründeten Einzelfall kann jedoch nach § 3 Abs. 1 AVR die Frist für den Ausgleich im Einvernehmen mit dem Mitarbeiter verlängert werden. Auf diese Regelungen des § 3 der Anlage 6 zu den AVR hat die Klägerin in den Vorinstanzen Bezug genommen. Sie hat nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zuletzt vorgetragen, Ausgleichszeitraum seien der Monat, in welchem die Überstunden angefallen seien, und der nächstfolgende Monat. Es könne jedoch ein längerer Zeitraum vereinbart werden. Wenn die Klägerin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Anschluß an diesen Sachvortrag weiter ausführt, angesichts der jahrelangen Handhabe des Beklagten, zur Berechnung von Überstunden das Kalenderjahr zugrunde zu legen, sei das Kalenderjahr als Ausgleichszeitraum stillschweigend vereinbart, nimmt sie damit auf die Verlängerungsmöglichkeit des § 3 Abs. 1 Satz 1 der Anlage 6 zu den AVR Bezug. Wenn aber nach dem eigenen Vortrag der Klägerin das Kalenderjahr gemäß § 3 Abs. 1 der Anlage 6 zu den AVR als Ausgleichszeitraum vereinbart ist, kann sie Überstundenvergütung nur für Überstunden verlangen, die im jeweiligen Kalenderjahr nicht oder nicht in vollem Umfang durch entsprechende Arbeitsbefreiung ausgeglichen sind. Insoweit hat die Klägerin jedoch nicht substantiiert vorgetragen, inwiefern sie im Jahre 1984 unter Berücksichtigung ihres Urlaubs und sonstiger entschuldigter Fehlzeiten durchschnittlich mehr als 40 Stunden in der Woche gearbeitet und damit ihre regelmäßige Arbeitszeit überschritten hat.

Die Vereinbarung eines Ausgleichszeitraums von einem Kalenderjahr für die Abgeltung von Überstunden bedurfte nicht der Mitwirkung der Mitarbeitervertretung des Beklagten. Denn es geht insoweit nicht um die Regelung der betriebsüblichen Arbeitszeit, sondern nur um die Vergütung von Überstunden und damit um die Lohnhöhe, die mitbestimmungsfrei ist (vgl. § 22 der Rahmenordnung für eine Mitarbeitervertretungsordnung).

Soweit das Landesarbeitsgericht der Klägerin auch keine Überstundenzuschläge in der geltend gemachten Höhe von DM 790,26 brutto nebst Zinsen zuerkannt hat, kann der Begründung des Landesarbeitsgerichts nicht zugestimmt werden. Insoweit bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen. Überstundenzuschläge sind für Überstunden nach § 3 Abs. 1 der Anlage 6 zu den AVR über den innerhalb des Ausgleichszeitraums von einem Kalenderjahr vorgenommenen Überstundenausgleich durch entsprechende Arbeitsbefreiung hinaus „zuzüglich” zu zahlen. Was unter Überstunden im Sinne der AVR zu verstehen ist, ist ebenfalls in der Anlage 6 zu den AVR geregelt. Dort heißt es:

§ 1 Anordnung von Überstunden

(1) Die auf Anordnung des Dienstgebers oder seines Bevollmächtigten bzw. des unmittelbaren Vorgesetzten nach Maßgabe des Abs. (3) Satz 1 geleisteten Arbeitsstunden, die über die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 4 der Anlage 5 zu den AVR) für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen, sind Überstunden. Sie dürfen nur angeordnet werden, wenn ein dringendes dienstliches Bedürfnis besteht. Die Mitarbeiter sollen möglichst gleichmäßig zu Überstunden herangezogen werden. Ist die Notwendigkeit von Überstunden voraussehbar, sollen sie spätestens am Vortage angekündigt werden.

(3) Gelegentliche Überstunden können für insgesamt sechs Arbeitstage innerhalb eines Kalendermonats auch vom unmittelbaren Vorgesetzten angeordnet werden. Andere Überstunden sind durch den Dienstgeber oder seinen Bevollmächtigten vorher schriftlich anzuordnen. Ein Anspruch auf Überstundenabgeltung für Arbeitsstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit (§ 1 Abs. 1 bis Abs. 4 der Anlage 5 zu den AVR) hinaus geleistet werden, ohne daß diese als Überstunden nach Satz 1 oder Satz 2 angeordnet waren, besteht nicht. Satz 1 gilt nicht für Mitarbeiter der in § 9 Abs. (1) Satz 1 der Anlage 5 zu den AVR genannten Einrichtungen, die unter die Anlage 2 a zu den AVR fallen.

Überstunden sind danach zunächst die Arbeitsstunden, die über die dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen. Überstunden sind aber auch dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzte Arbeitsstunden, die über den Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit hinausgehen. Denn § 1 Abs. 1 der Anlage 6 zu den AVR läßt den Umkehrschluß zu, daß nicht als Überstunden die Arbeitsstunden gelten, die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit für die Woche dienstplanmäßig bzw. betriebsüblich festgesetzt werden. Was über den Rahmen hinausgeht, ist Überstunde, auch wenn es dienstplanmäßig oder betriebsüblich festgesetzt ist. Überstunden sind aber auch die Arbeitsstunden, die über die dienstplanmäßig oder betriebsüblich festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen, auch wenn sie sich noch im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit halten. Vorliegend geht es nur um Überstunden, die über den Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit nach Auffassung der Klägerin geleistet worden sein sollen.

Die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter des Beklagten ist in der Anlage 5 zu den AVR (Arbeitszeitregelung) geregelt. Dort heißt es:

§ 1 Regelmäßige Arbeitszeit

(1) Die regelmäßige Arbeitszeit der Mitarbeiter beträgt durchschnittlich 40 Stunden in der Woche. Der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit ist in der Regel ein Zeitraum von 8 Wochen zugrunde zu legen. Bei Mitarbeitern, die ständig Wechselschicht- oder Schichtarbeit zu leisten haben, kann ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden.

(2) Die regelmäßige Arbeitszeit kann bis zu 10 Stunden täglich und durchschnittlich 50 Stunden in der Woche verlängert werden, wenn in sie regelmäßig eine Arbeitsbereitschaft von durchschnittlich mindestens 2 Stunden täglich fällt.

(3) Die regelmäßige Arbeitszeit kann bis zu 10 Stunden täglich und durchschnittlich 50 Stunden in der Woche verlängert werden, wenn Vor- und Abschlußarbeiten erforderlich sind.

(4) In Einrichtungen, die in bestimmten Zeiten des Jahres regelmäßig zu saisonbedingt erheblich verstärkter Tätigkeit genötigt sind, kann für diese Zeit die regelmäßige Arbeitszeit bis zu 10 Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich verlängert werden, sofern die regelmäßige Arbeitszeit in den übrigen Zeiten des Jahres entsprechend verkürzt wird (Jahreszeitenausgleich).

(7) Die Arbeitszeit ist durch angemessene Pausen zu unterbrechen. Die Pausen werden nicht in die Arbeitszeit eingerechnet.

(8) Die wöchentliche Arbeitszeit ist unter Beachtung der gesetzlichen Bestimmungen auf die Tage in der Woche zu verteilen, an denen in der Einrichtung regelmäßig gearbeitet wird. Eine Woche ist der Zeitraum von sonntags 6.00 Uhr bis zum folgenden Sonntag 6.00 Uhr. Bei Wechselschichtarbeit beginnt die Woche mit Beginn der dienstplanmäßigen bzw. betriebsüblichen Frühschicht am Sonntag und endet mit Beginn der dienstplanmäßigen bzw. betriebsüblichen Frühschicht des folgenden Sonntags. Die Arbeitszeit kann innerhalb einer Einrichtung für die Mitarbeiter verschiedener Dienstbereiche unterschiedlich verteilt werden, wenn das aus dienstlichen Gründen geboten ist.

Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Voraussetzungen für eine Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 1 Abs. 2 (Arbeitsbereitschaft) oder § 1 Abs. 3 (Vor- und Abschlußarbeiten) der Anlage 5 zu den AVR nicht gegeben. Zutreffend führt das Landesarbeitsgericht auch aus, daß die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 der Anlage 5 zu den AVR nicht vorliegen. Insoweit geht es um die Verlängerung der Arbeitszeit für Einrichtungen, die in bestimmten Zeiten des Jahres regelmäßig zu saisonbedingt erheblich verstärkter Tätigkeit genötigt sind. Der Begriff der Saison ist in den AVR nicht näher erläutert. Er hat auch in der Rechtsterminologie keinen festen Inhalt. Daher ist auf den allgemeinen Sprachgebrauch zurückzugreifen. Danach ist unter Saison ein jahreszeitlicher Abschnitt zu verstehen, in dem etwas bestimmtes gehäuft auftritt, vorzugsweise stattfindet, am meisten vorhanden ist, angeboten wird, Periode des Hochbetriebs, Hauptbetriebs-, Hauptgeschäftszeit (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Bd. 5, 1983, S. 468). Die Jahreszeit muß danach für den vermehrten Arbeitsanfall ursächlich sein. Die Jahreszeit spielt für den verstärkten Arbeitsanfall im Kardinal-von-Galen-Haus des Beklagten keine entscheidende Rolle. Die Schwankungen im Arbeitsanfall beruhen vielmehr allein darauf, daß der Beklagte sich an den Schuljahresrhythmus und die Schulferien der staatlichen Schulen in Niedersachsen angeschlossen hat. Darüber hinaus läßt sich aus den Worten „saisonbedingt erheblich verstärkter Tätigkeit” in § 1 Abs. 4 der Anlage 5 zu den AVR schließen, daß in der übrigen Jahreszeit auch gearbeitet wird, nur eben weniger. Dann aber handelt es sich bei den Arbeiten der Klägerin in den Schulzeiten nicht um saisonbedingt „erheblich verstärkte” Tätigkeiten.

Damit richtet sich die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin nach § 1 Abs. 1 der Anlage 5 zu den AVR. Danach beträgt die regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlich 40 Stunden in der Woche. Der Berechnung des Durchschnitts ist in der Regel ein Zeitraum von acht Wochen zugrunde zu legen. Dies bedeutet, daß innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen die Arbeitszeit durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich erreichen darf. Die Auffassung der Klägerin, alle Arbeitsstunden, die in der Doppelwoche 80 Stunden übersteigen, seien Überstunden, ist mit den AVR nicht vereinbar. Die AVR stellen zur Berechnung des Durchschnitts gerade nicht auf die Doppelwoche, sondern auf acht Wochen ab. Die Klägerin geht offensichtlich von den Bestimmungen der AZO aus. Danach ist für die Frage, ob Mehrarbeit im Sinne der AZO vorliegt, nach den §§ 3, 4 AZO auf die Doppelwoche abzustellen. Die AZO spielt aber für den aus den AVR hergeleiteten Vergütungsanspruch keine Rolle.

Andererseits kann auch nicht der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gefolgt werden, das in den AVR eine Regelung der Frage vermißt, von welchem Zeitpunkt an der jeweilige Berechnungszeitraum von acht Wochen zu laufen beginnt und deshalb einen Berechnungszeitraum analog § 315 Abs. 3 BGB selbst festsetzt. Die AVR können als typische Vertragsbedingungen vom Senat selbständig ausgelegt werden (vgl. BAGE 37, 245, 254 = AP Nr. 2 zu § 42 SchwbG mit weiteren Nachweisen). Aus ihnen ergibt sich, wie das Landesarbeitsgericht insoweit zutreffend erkannt hat, daß sie keine Regelung über den Beginn des jeweiligen Berechnungszeitraums getroffen haben. Das war auch nicht erforderlich. Wenn keine Regelung über den Beginn des Berechnungszeitraums getroffen ist, bedeutet dies, daß in jeder Woche, bezogen auf einen Zeitraum von acht Wochen, die durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit 40 Stunden nicht übersteigen darf. Das bedeutet aber, Mehrarbeit, die in einer Woche geleistet wird, ist innerhalb eines Zeitraums von acht Wochen durch entsprechend verkürzte Arbeitszeit auszugleichen, wenn die regelmäßige Arbeitszeit von durchschnittlich 40 Stunden in der Woche eingehalten werden soll. Das macht bei jeder Woche, in der Mehrarbeit geleistet wird, sowohl die Einbeziehung der vorangegangenen sieben Wochen als auch die Einbeziehung der darauffolgenden sieben Wochen erforderlich. Ist in den vorangegangenen sieben Wochen die Arbeitszeit entsprechend verkürzt worden, ist durch die Mehrarbeit in der achten Woche die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit nicht überschritten. War hingegen in den vorangegangenen sieben Wochen die Arbeitszeit nicht entsprechend der Mehrarbeit in der achten Woche verkürzt worden, sind die folgenden sieben Wochen einzubeziehen. Stellt sich nach Ablauf dieser sieben Wochen heraus, daß die Arbeitszeit entsprechend der Mehrarbeit in der ersten Woche verkürzt wurde, ist wiederum für den Ausgleichszeitraum von acht Wochen die regelmäßige durchschnittliche Arbeitszeit nicht überschritten. Nur wenn die Arbeit in diesen an die Mehrarbeitswoche anschließenden sieben Wochen nicht entsprechend verkürzt wird, kommen Überstunden in Betracht. Dies entspricht auch den Grundsätzen, wie der Ausgleich von Mehrarbeit und verkürzter Arbeitszeit nach den §§ 3, 4 AZO in der Doppelwoche vorzunehmen ist (vgl. Denecke/Neumann, AZO, 10. Aufl. 1987, § 4 Rz 17). Die AVR haben den Ausgleichszeitraum des § 4 AZO praktisch von zwei Wochen auf acht Wochen erweitert. Innerhalb von acht Wochen soll der Ausgleich erfolgen, so daß sowohl in den sieben Wochen vorher verkürzte Arbeitszeit ausgeglichen werden kann als es auch möglich ist, Mehrarbeit in den darauf folgenden sieben Wochen „abzufeiern”.

Entgegen der Auffassung des Beklagten scheidet der Anfall von Überstunden nicht deshalb aus, weil die Klägerin entsprechend dem Dienstplan gearbeitet habe und dieser auf Jahresbasis zu einer durchschnittlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche führe. Damit verkennt der Beklagte, daß nach § 1 Abs. 1 der Anlage 6 zu den AVR auch dienstplanmäßig oder betriebsüblich festgesetzte Arbeitsstunden Überstunden sein können, wenn sie über den Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit hinausgehen. Darüber hinaus kommt die Auffassung des Beklagten der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit auf der Basis einer Jahresarbeitszeit gleich. Das widerspricht der eindeutigen Regelung des § 1 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 5 zu den AVR, nach der zur Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit in der Regel ein Zeitraum von acht Wochen zugrunde zu legen ist.

Der Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit ist zwar nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 5 zu den AVR nur „in der Regel” ein Zeitraum von acht Wochen zugrunde zu legen. Daraus kann geschlossen werden, daß der Zeitraum von acht Wochen im Einzelfall auch überschritten werden kann. Dies ist jedoch durch einseitige Anordnung des Beklagten, wie sie z.B. in der Arbeitszeitvorgabe vom 18. April/30. Juni 1984 festgesetzt ist, nicht möglich. Vielmehr regeln die AVR selbst, wann der Regelzeitraum von acht Wochen überschritten werden kann, z.B. bei Mitarbeitern, die ständig Wechselschicht- oder Schichtarbeit zu leisten haben (§ 1 Abs. 1 der Anlage 5 zu den AVR). In allen anderen Fällen bedarf die Abweichung von dem Regelzeitraum von acht Wochen einer Vereinbarung der Parteien des Arbeitsvertrags. Eine solche Vereinbarung ist hier nicht getroffen worden. Hätten die AVR eine Abweichung von dem Regelzeitraum von acht Wochen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers unterwerfen wollen, hätte dies deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen, da die Festlegung des Ausgleichszeitraums unmittelbare Auswirkungen auf die Vergütung des Arbeitnehmers hat (Überstundenzuschläge) und die Bestimmung der Höhe der Vergütung ohne eindeutige entsprechende Regelung nicht der einseitigen Festsetzung durch den Arbeitgeber unterliegt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind die Überstunden auch formgerecht angeordnet worden. Die erforderliche Schriftform (§ 1 Abs. 3 Satz 2 der Anlage 6 zu den AVR) ist gewahrt. In der als „Arbeitszeitvorgabe” bezeichneten schriftlichen Anordnung vom 18. April/30. Juni 1984 wird für die Mitarbeiter des Beklagten während der Schulzeiten eine Arbeitszeit von 90 Stunden bis 91,6 Stunden pro Doppelwoche festgelegt und damit insoweit auch Überstunden, als durch diese Arbeitszeit im Berechnungszeitraum von acht Wochen eine durchschnittliche Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche überschritten wird.

Ob die von dem Beklagten festgesetzte Arbeitszeitvorgabe wegen fehlender Mitwirkung der Mitarbeitervertretung des Beklagten unwirksam ist, ist unerheblich. Dann wären zwar Überstunden, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen, unwirksam angeordnet. Aber dann gilt der Grundsatz, daß verbotene Mehrarbeit wie zulässige Mehrarbeit zu vergüten ist (BAGE 22, 144, 148 = AP Nr. 12 zu § 15 AZO mit weiteren Nachweisen).

Nach diesen Grundsätzen wird das Landesarbeitsgericht festzustellen haben, ob im Jahre 1984 in irgendeinem Acht-Wochen-Zeitraum die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden überschritten ist und damit Überstunden angefallen sind. Hierbei wird es für die Wochen im Januar und Februar 1984 für die Feststellung der durchschnittlichen Arbeitszeit im Acht-Wochen-Zeitraum auch die Arbeitszeit in den Monaten November und Dezember 1983 und für die Feststellung der durchschnittlichen Arbeitszeit im Acht-Wochen-Zeitraum für die Monate November und Dezember 1984 auch die Arbeitszeit in den Monaten Januar und Februar 1985 berücksichtigen müssen. Insoweit wird es die Parteien zu entsprechendem Sachvortrag anhalten müssen.

Das Landesarbeitsgericht wird ferner beachten müssen, daß Arbeitstage, an denen die Klägerin wegen bezahlter Freistellung von der Arbeit oder wegen entschuldigter Fehlzeit nicht gearbeitet hat, mit der tatsächlichen Arbeitszeit anzusetzen sind, die die Klägerin an diesem Tag hätte leisten müssen.

Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht darin, daß die durch die Schulferien ausgefallenen Arbeitstage vom Jahresbeginn 1984 an zunächst zur Erfüllung des fälligen Erholungsurlaubsanspruchs für 1984 heranzuziehen sind. Der Urlaubsanspruch der Klägerin für 1984 entstand mit Beginn des Kalenderjahres (§ 4 BUrlG). Mangels anderweitiger Festlegung durch die Parteien, für die hier kein Anhaltspunkt ersichtlich ist, wurde der Urlaub der Klägerin mit den arbeitsfreien Tagen in den Schulferien abgegolten. Dies entspricht auch der Arbeitszeitvorgabe vom 18. April/30. Juni 1984. Damit war der Urlaubsanspruch am ersten Schulferientag des Kalenderjahres 1984 fällig. Der Beklagte hatte zwar die Möglichkeit, die Urlaubstage als arbeitsfreie Tage mit null Arbeitsstunden in den Ausgleichszeitraum von acht Wochen zur Berechnung des Durchschnitts der wöchentlichen Arbeitszeit nach § 1 Abs. 1 Satz 2 der Anlage 5 zu den AVR einzubeziehen. Davon hat er jedoch keinen Gebrauch gemacht, da er davon ausging, daß infolge seiner dienstplanmäßigen Festsetzung der Arbeitszeit überhaupt keine Überstunden anfielen. Da somit der Beklagte keine Bestimmung darüber getroffen hat, ob die arbeitsfreien Tage als Urlaub oder als Ausgleichszeit für Mehrarbeit verwendet werden sollten, wurde gemäß § 366 Abs. 2 BGB zunächst die fällige Schuld getilgt. Das sind die Urlaubstage. Hierbei ist für jeden Urlaubstag eine Arbeitszeit von acht Stunden anzusetzen, da der Urlaub der Klägerin nach Arbeitstagen gewährt wird (§ 3 der Anlage 14 zu den ARV), die Arbeitszeit der Klägerin auf fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche verteilt ist und mit einer achtstündigen arbeitstäglichen Arbeitszeit die regelmäßige Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche erreicht wird.

Die Ausschlußfrist des § 23 AVR, nach der Ansprüche aus dem Dienstverhältnis innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden müssen, hat die Klägerin gewahrt, selbst wenn man mit dem Beklagten davon ausgeht, daß die Klägerin ihre Ansprüche erstmals mit Schreiben vom 19. Juni 1985 geltend gemacht hat. Denn nach § 3 Abs. 1 Satz 3 der Anlage 6 zu den AVR ist der Überstundenzuschlag „nach Ablauf des Ausgleichszeitraums”, d.h. vorliegend nach Ablauf des Kalenderjahres 1984, zu zahlen. Damit waren sämtliche Überstundenzuschläge für 1984 erst nach Ablauf des 31. Dezember 1984 fällig und konnten somit noch bis 30. Juni 1985 fristwahrend geltend gemacht werden. Das trifft vorliegend unstreitig zu.

Mehrarbeitszuschläge nach § 15 AZO stehen der Klägerin nicht zu. Die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vortrag keine Mehrarbeit im Sinne der AZO geleistet. Sie hat ausdrücklich vorgetragen, daß sie im Jahre 1984 in der Doppelwoche 93,5 Stunden gearbeitet hat. Damit hat sie die nach den §§ 3, 4 AZO zulässige Arbeitszeit von 96 Stunden in der Doppelwoche nicht überschritten. Die Klägerin hat zwar auch vorgetragen, daß sie im Jahre 1984 über die Arbeitszeitvorgabe von 93,5 Stunden in der Doppelwoche hinaus weitere 16,75 Stunden gearbeitet habe, sie hat aber insoweit nicht substantiiert, daß hierdurch in bestimmten Doppelwochen mehr als 96 Stunden Arbeitszeit angefallen sind. Da sich die Arbeitszeit der Klägerin im Rahmen der §§ 3, 4 AZO hielt, kann offenbleiben, ob die §§ 3, 4 AZO durch die Arbeitszeitregelung der AVR im Sinne einer Tarifordnung nach § 7 AZO verdrängt wurden, wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat.

Das Landesarbeitsgericht wird auch über die in der Revisionsinstanz entstandenen Kosten zu entscheiden haben.

 

Unterschriften

Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Scheerer, Lehmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1490035

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