Entscheidungsstichwort (Thema)

Invalidenversorgung beim Westdeutschen Rundfunk

 

Leitsatz (amtlich)

  • Eine betriebliche Versorgungsordnung kann vorsehen, daß der Versorgungsfall der Invalidität (Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit) erst dann eintritt, wenn die Pflicht des Arbeitgebers, wegen einer Erkrankung des Arbeitnehmers den Lohn fortzuzahlen, endet.
  • In einem solchen Fall hat die Feststellung des Rentenversicherungsträgers, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sei zu einem früheren Zeitpunkt eingetreten, für den Eintritt des Versorgungsfalls keine Bedeutung.
 

Normenkette

BetrAVG § 1 Invaliditätsrente; ZPO § 256 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LAG Köln (Urteil vom 25.03.1987; Aktenzeichen 5 Sa 1178/86)

ArbG Köln (Urteil vom 16.09.1986; Aktenzeichen 15 Ca 4849/86)

 

Tenor

  • Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. März 1987 – 5 Sa 1178/86 – wird zurückgewiesen.
  • Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Der Kläger will festgestellt haben, daß seine betrieblichen Versorgungsbezüge nach einer Versorgungsordnung zu berechnen sind, die durch eine neue Versorgungsordnung ersetzt worden ist.

Der Kläger ist am 10. April 1926 geboren. Er war seit 1951 bei dem beklagten Rundfunksender beschäftigt. Dieser gewährt seinen Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Der Kläger erhielt erstmals eine schriftliche Versorgungszusage mit Datum vom 16. September 1963, die u. a. in Art. 2 ein Invalidengeld vorsah.

Diese Versorgungszusage wurde durch eine neue Zusage vom 20. März 1984 ersetzt. § 4 dieser Zusage sieht eine Berufsunfähigkeitsrente vor. Es heißt dort:

  • Wird der/die Berechtigte vor Bezug der Altersrente berufsunfähig, so erhält er/sie eine Berufsunfähigkeitsrente; sie wird erstmalig für den Monat gezahlt, der auf den Monat folgt, in dem die Berufsunfähigkeit festgestellt wird, frühestens jedoch für den Monat, für den gegen den W… kein Anspruch auf Krankenbezüge mehr besteht.
  • Der/die Berechtigte hat sich auf Verlangen des W… zur Feststellung, ob Berufsunfähigkeit vorliegt, bei dem Vertrauensarzt des W… oder einem Amtsarzt einer Untersuchung zu unterziehen und diesen zu ermächtigen, dem W… die zur Beurteilung der Versorgungsansprüche notwendige Auskunft zu erteilen.

    Der Nachweis der Berufsunfähigkeit ist erbracht, wenn von der gesetzlichen Rentenversicherung Berufs- oder Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt wird und der Rentenbescheid darüber dem W… vorgelegen hat.

Den Versorgungszusagen lagen Dienstvereinbarungen zugrunde. Grundlage der Versorgungszusage vom 20. März 1984 war die Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979. Der Wortlaut der Versorgungszusage ist Bestandteil der Dienstvereinbarung.

Durch Dienstvereinbarung vom 7. März 1985, rückwirkend in Kraft gesetzt zum 1. Januar 1985, wurde das Versorgungswerk des Beklagten in wesentlichen Teilen geändert. Ziel der Neuregelung war, Überversorgungen bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten abzubauen. Für rentennahe Jahrgänge wurden Übergangsregelungen getroffen. § 25 der Dienstvereinbarung vom 7. März 1985 lautet auszugsweise wie folgt:

“§ 25

  • Ersatz bestehender Versorgungsvorschriften – Übergangsregelungen
  • Bei Berechtigten, die vor dem 1.1.1980 in die Dienste des W… eingetreten sind und bei denen der Anspruch auf Altersrente vor dem 1.1.1990 eintritt (rentennahe Jahrgänge), wird zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalles zunächst die Höhe der Gesamtversorgung nach den Vorschriften der Dienstvereinbarung vom 29.6.1979 errechnet und der Unterschiedsbetrag zwischen diesem Anspruch und der Summe der Gesamtversorgung (brutto) festgestellt, die der/die Berechtigte gemäß Abs. 2 2b Satz 1 zu erhalten hätte (Ausgleichsbetrag). Dieser Ausgleichsbetrag wird dem/der Berechtigten in gleichbleibender Höhe ausgezahlt …
  • Tritt der Versorgungsfall aufgrund einer Berufsunfähigkeit bei Berechtigten ein, die vor dem 1.1.1984 in die Dienste des W… eingetreten sind, so gilt folgendes:

    • Tritt die Berufsunfähigkeit nach dem 31.12.1984 und vor dem 1.1.1990 ein, so gilt für die Zahlungen der Berufsunfähigkeitsrente Abs. 3 entsprechend …

Der Kläger will erreichen, daß sich seine betriebliche Versorgung nach der Zusage vom 20. März 1984 richtet. Das hätte für ihn zur Folge, daß seine Berufsunfähigkeitsrente in voller Höhe dynamisiert wäre, d.h. an den Gehaltssteigerungen der aktiven Arbeitnehmer teilnähme. Nach der Neuregelung bliebe der sog. Ausgleichsbetrag (§ 25 Abs. 3 der Dienstvereinbarung vom 7. März 1985) unverändert. Deswegen will der Kläger festgestellt haben, daß bei ihm der Versorgungsfall der Berufsunfähigkeit schon am 8. Oktober 1984, vor Inkrafttreten der Neuregelung eingetreten ist, während der Beklagte den 28. März 1985 als maßgebliches Datum ansieht:

Der Kläger war im Oktober 1984 schwer erkrankt. Er wurde am 8. Oktober 1984 in die Universitätsklinik Köln eingeliefert und ist seither arbeitsunfähig. Er erhielt Gehaltsfortzahlung für die Dauer von 26 Wochen. Am 14. Dezember 1984 beriet er sich mit dem Versicherungsältesten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA). Im Hinblick auf die Lohnfortzahlung über 26 Wochen erschien die Angelegenheit nicht übermäßig eilbedürftig. Der Kläger stellte aber noch am selben Tage bei der BfA einen Rentenantrag wegen Erwerbsunfähigkeit.

Als Ende März 1985 – die Lohnfortzahlung endete am 7. April 1985 – über den Rentenantrag des Klägers noch nicht entschieden war, veranlaßte der Beklagte die betriebsärztliche Untersuchung des Klägers. Diese fand am 28. März 1985 statt. Der Betriebsarzt stellte die Berufsunfähigkeit des Klägers fest. Die BfA stellte mit Bescheid vom 22. April 1985 die Erwerbsunfähigkeit des Klägers rückwirkend auf den 8. Oktober 1984 fest.

Der Kläger hat geltend gemacht, hiermit sei der Nachweis geführt, daß er seit dem 8. Oktober 1984 berufsunfähig sei. Damit sei gleichzeitig der Versorgungsfall eingetreten. Daß die BfA seinen Rentenantrag nicht früher beschieden habe, sei nicht von ihm zu verantworten. Ebensowenig sei ihm zuzurechnen, daß der Beklagte über den 1. Januar 1985 hinaus mit der betriebsärztlichen Untersuchung zugewartet habe. Der Beklagte handele treuwidrig, wenn er sich hierauf berufe.

Der Kläger hat sinngemäß beantragt

festzustellen, daß seine Versorgungsbezüge nach der Versorgungszusage vom 20. März 1984 zu berechnen sind.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, nach sämtlichen Versorgungsregelungen gehöre zum Versorgungsfall der Berufsunfähigkeit nicht nur die gesundheitlich bedingte objektive Unfähigkeit zur Ausübung des Berufs, sondern auch deren Feststellung. Der früheste in Betracht kommende Zeitpunkt sei daher der Tag der betriebsärztlichen Untersuchung, also der 28. März 1985. Damit finde die neue Dienstvereinbarung vom 7. März 1985 Anwendung. Die sog. Abschmelzungsklausel in § 25 Abs. 2b der neuen Versorgungsordnung treffe den Kläger allerdings nicht nennenswert. Von den betrieblichen Versorgungsbezügen in Höhe von 3.529,21 DM entfielen 1.987,65 DM auf den dynamischen und 1.541,56 DM auf den statischen Teil. Bei der ersten Rentenerhöhung habe sich hieraus eine Differenz von 46,25 DM ergeben. Dem Kläger bleibe noch für viele Jahre eine Versorgung von mehr als 100 % des Nettoeinkommens eines vergleichbaren aktiven Arbeitnehmers erhalten.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet.

A. Die Klage ist zulässig. Der Kläger begehrt die Feststellung eines Rechtsverhältnisses (§ 256 Abs. 1 ZPO). Es soll – nach dem in der Verhandlung vor dem Senat klargestellten Antrag – festgestellt werden, daß sich die betriebliche Altersversorgung des Klägers nach der Zusage vom 20. März 1984 und der dieser Zusage zugrundeliegenden Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979 richtet. Da diese Dienstvereinbarung im Unterschied zu der Dienstvereinbarung vom 7. März 1985 eine Dynamisierung des vollen betrieblichen Ruhegelds vorsieht und sich mithin künftig auf die Höhe des Ruhegelds auswirkt, hat der Kläger ein berechtigtes rechtliches Interesse an der Entscheidung der Frage, nach welcher Versorgungsordnung seine Ansprüche zu berechnen sind.

B. In der Sache hat das Begehren des Klägers keinen Erfolg. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage zu Recht abgewiesen. Der Versorgungsanspruch des Klägers richtet sich nicht nach der Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979.

1. Die Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979 ist durch diejenige vom 7. März 1985 ersetzt worden (§ 25 Abs. 1 der Dienstvereinbarung vom 7. März 1985). Die Neuregelung ist am 1. Januar 1985 in Kraft getreten (§ 27). Sie gilt u. a. für alle unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer (§ 1 Abs. 1). Zur Zeit des Inkrafttretens gehörte der Kläger noch zu diesem Personenkreis. Sein Arbeitsverhältnis ist nicht vor dem 1. Januar 1985 beendet worden.

Das Landesarbeitsgericht hat keine Feststellungen darüber getroffen, zu welchem Zeitpunkt der Kläger aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist. Das genaue Beendigungsdatum läßt sich auch dem § 37 Abs. 2 des Manteltarifvertrags für den Westdeutschen Rundfunk nicht entnehmen. Dort ist nur bestimmt, daß ein Arbeitsverhältnis ruht, wenn ein Bescheid des Rentenversicherungsträgers zugestellt wird, in dem die Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit des Arbeitnehmers festgestellt ist. Nähere Feststellungen hierzu sind aber auch nicht erforderlich, da das Arbeitsverhältnis des Klägers jedenfalls über den 1. Januar 1985 hinaus angedauert hat.

2. Ob die neue Versorgungsordnung auch die Ansprüche der Betriebsrentner erfassen wollte und konnte, deren Versorgungsfall vor dem Abschluß der Dienstvereinbarung eingetreten war, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Der Versorgungsfall, der Ansprüche auf Invalidenrente auslöst, ist nicht vor dem 7. März 1985 eingetreten.

Das Berufungsgericht hat angenommen, der Versorgungsfall als anspruchsbegründendes Tatbestandsmerkmal sei erst am 28. März 1985 eingetreten. Eine betriebliche Versorgungsordnung könne vorsehen, daß der Versorgungsfall der Invalidität nicht nur vom Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abhänge, sondern auch von zusätzlichen Voraussetzungen. Das sei hier nach sämtlichen in Betracht kommenden Versorgungsregelungen der Fall. Der objektive Eintritt der Berufsunfähigkeit allein reiche nicht aus.

Der Auffassung des Berufungsgerichts ist zu folgen. Die Rügen der Revision sind unbegründet:

a) Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß eine betriebliche Ruhegeldordnung den Versorgungsfall der Invalidität von zusätzlichen zu der Invalidität hinzutretenden Voraussetzungen abhängig machen kann. Es ist Sache der Vertrags- oder Betriebspartner, den Versorgungsfall in der Versorgungsordnung zu beschreiben und die Bedingungen festzulegen, bei deren Erfüllung die Anwartschaft zum Vollrecht erstarken, d. h. der Anspruch auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung entstehen soll. Davon ist der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgegangen (BAG Urteil vom 5. Juni 1984 – 3 AZR 376/82 – AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente). Hieraus folgt zugleich, daß die Vertrags- oder Betriebspartner nicht gehalten sind, sich den Regeln der gesetzlichen Sozialversicherung anzuschließen und für die betriebliche Versorgung gleiche oder entsprechende Regeln aufzustellen.

b) In der Regel löst der Versorgungsfall Ansprüche auf Betriebsrente aus. Umgekehrt ist der Zeitpunkt, in dem Versorgungsansprüche erstmals entstehen, auch der Versorgungsfall. So ist es auch hier. In der Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979, die insoweit mit der Neuregelung vom 7. März 1985 übereinstimmt, ist vorgesehen, daß die Berufsunfähigkeitsrente erstmals für den Monat gezahlt wird, der auf den Monat folgt, in dem die Berufsunfähigkeit festgestellt wird, frühestens jedoch für den Monat, für den kein Anspruch mehr auf Krankenbezüge besteht.

Die Revision meint, hierbei handele es sich um eine Regelung, die nur die Fälligkeit der Versorgungsleistungen bis zum Ende der Gehaltsfortzahlung hinausschiebe. Ungeachtet der Fälligkeit könne der Versorgungsfall schon früher eingetreten und damit auch der Versorgungsanspruch schon früher entstanden sein. Eine solche Regelung wäre möglich, ist jedoch hier nicht anzunehmen. Die Revision übersieht, daß Krankenvergütung grundsätzlich nur in einem bestehenden Arbeitsverhältnis verlangt werden kann (§§ 1 und 6 LohnFG; § 616 Abs. 2 BGB). Der Kläger hatte unstreitig Anspruch auf 26 Wochen Gehaltsfortzahlung, sein Arbeitsverhältnis muß daher über den 1. Januar 1985 hinaus fortbestanden haben. Die Gehaltsfortzahlung endete für den Kläger erst am 7. April 1985. Zu diesem Zeitpunkt galt aber bereits die neue Versorgungsordnung vom 7. März 1985.

Zudem läßt die Revision unbeachtet, daß auch die Dienstvereinbarung vom 29. Juni 1979 die Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Voraussetzung für den Eintritt des Versorgungsfalles ansieht. Das ergibt sich aus den Bestimmungen der Versorgungszusage vom 20. März 1984 über die Altersrente, die Berufsunfähigkeitsrente, die vorgezogene Altersrente und die Hinterbliebenenrente (§§ 3, 4, 5 und 6 bis 8): Stets ist vorausgesetzt, daß der Bezug von Lohn oder Lohnersatz endet. Die Versorgungsleistungen schließen hieran an und treten an die Stelle des Arbeitsentgelts. Sie entstehen erst in dem Zeitpunkt, in dem die Lohnzahlung endet.

Unzutreffend ist schließlich die Annahme der Revision, der Versorgungsfall sei schon deshalb am 8. Oktober 1984 eingetreten, weil dieses Datum schließlich als Beginn der Berufsunfähigkeit festgestellt worden sei. Hierauf kommt es nicht an. Die Unfähigkeit des Klägers, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, beendete nicht automatisch das Arbeitsverhältnis. Das bestätigt die tarifliche Regelung in § 37 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für den Westdeutschen Runkfunk; danach soll das Arbeitsverhältnis nur ruhen, und zwar so lange, bis die betrieblichen Versorgungsleistungen einsetzen. Das Ende der Lohnzahlung und der Beginn der betrieblichen Ruhestandsleistungen sollen also, wie bereits erwähnt, übereinstimmen. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann nicht angenommen werden, der Versorgungsfall sei schon im Oktober 1984 eingetreten.

3. Der Kläger hat die Wirksamkeit der Neuregelung vom 7. März 1985 nicht in Frage gestellt und dazu auch in tatsächlicher Hinsicht nichts vorgetragen. Der Senat hat daher keine Veranlassung, hierauf näher einzugehen. Die Übergangsregelung in § 25 Abs. 4 Buchst. b) in Verb. mit Abs. 3 der neuen Dienstvereinbarung bewirkt nur, daß ein Teil des Ruhegelds, der sogenannte Ausgleichsbetrag, nicht an der Dynamisierung der Rentenbezüge teilnimmt. Dies ist kein Eingriff, der es nahelegte, die Kürzung dem Kläger gegenüber als unbillige Härte anzusehen.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Mattes, Dr. Schmidt

 

Fundstellen

Haufe-Index 872064

RdA 1989, 379

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